Regisseur Serebrennikow: "Dieser ,Parsifal’ ist ein Denkmal der Pandemie“
Von Peter Jarolin
Der Gründonnerstag ist zwar schon vorbei; der zu Ostern fast schon obligate „Parsifal“ jedoch kommt erst. Pandemiebedingt wird die Neuproduktion von Regisseur Kirill Serebrennikow kommenden Sonntag ohne Publikum aufgezeichnet. Ö1 strahlt die Aufnahme am 17. April ab 19.30 Uhr aus, ORF 2 zeigt am selben Tag ab 22 Uhr Ausschnitte. Die Gesamtproduktion ist ab 18. April ab 14 Uhr als Stream auf Arte Concert zu sehen. Auch ORF III ist (später) mit an Bord.
Regie führt der mehrfach prämierte russische Starregisseur Kirill Serebrennikow. Am Pult steht Musikdirektor Philippe Jordan; alle Interpreten sind der Papierform nach Weltklasse. So wird Jonas Kaufmann die Titelpartie verkörpern; Elina Garanča gibt als Kundry ihr Rollendebüt. Den Amfortas singt Ludovic Tézier, der Wagner-erprobte Georg Zeppenfeld singt Gurnemanz, und den Klingsor gibt Wolfgang Koch.
Homeoffice
Doch Kirill Serebrennikow ist in Wien gar nicht live dabei. Der Künstler stand in Russland aufgrund von Korruptionsvorwürfen samt Bewährungsstrafe und heftiger Kritik am politischen System lange unter Hausarrest, darf nach wie vor nicht ausreisen. Via Video und Zoom konnte Serebrennikow quasi im Homeoffice in Moskau seine Interpretation des „Parsifal“ realisieren. Und die hat es durchaus in sich, wie Serebrennikow bei einer Zoom-Pressekonferenz erklärte.
„Dieser ,Parsifal’ ist ein Denkmal der Pandemie“, so der 51-jährige Serebrennikow, der auch seinen Posten als Leiter des Gogol-Zentrums räumen musste. „Ich hoffe, dass ich jetzt ein wenig mehr Spielraum für das eigene Arbeiten habe.“ Zu „Parsifal“: „Ich selbst habe die Arbeit an ,Parsifal’ als Übergang von einem persönlichen Lockdown hin zu einem globalen Shutdown erlebt. Durch diese Geschichte bin ich reicher geworden. Die Menschen haben die Erfahrung gemacht, mit sich selbst konfrontiert, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein.“
Gefängnis
Doch wo verortet Serebrennikow dieses Bühnenweihfestspiel? In meiner Interpretation blickt der alte Parsifal auf alle Ereignisse zurück; optisch habe ich für meine Adaption ein Gefängnis ausgewählt.“ Und weiter: „Die dominante Struktur der Gefängnisse ist ein Teil des russischen Systems und aus dessen Geschichte heraus entstanden“, so der Regisseur in Hinblick auf den unlängst verhafteten und sich im Hungerstreik befindlichen Kreml-Kritiker Alexei Nawalny.
Serebrennikow: „Das Gefängnis ist für mich eine Metapher zum berühmten Text ,Zum Raum wird hier die Zeit’ und spiegelt alles perfekt wider. Und es geht um die Reflexion darüber, wie Verstand und metaphysische Weltwahrnehmung in Einklang gebracht werden können. Denn Wagners ,Parsifal’ ist auch eine Oper über die Möglichkeit eines Wunders. Und an Wunder wollen wir doch alle glauben.“
Aber wie laufen „Parsifal“-Proben nur via Video ab? Staatsopern-Chefdramaturg Sergio Morabito: „Kirill kann alle Proben live und in Echtzeit per Video verfolgen und seine Anmerkungen dazu geben.“ Kirill Serebrennikow darauf: „Das ist jedoch keine ideale Dauerlösung und hat keinerlei Vorteile.“
Isolation
Einen Vorteil hat die Sache aber schon. Es wird an der Staatsoper einen neuen „Parsifal“ geben, und auch Serebrennikow sehnt ein Ende der Pandemie, ein Ende der Restriktionen und damit Inszenierungen live vor Ort herbei. Projekte gibt es viele, vorerst aber ist weiterhin die (ziemlich unfreiwillige) Isolation angesagt.
Womit sich der Kreis wiederum schließt und nochmals das Thema „Gefängnis“ auftaucht. Serebrennikow dazu: „Jeder Mensch in einem Gefängnis ruft bei mir nur Mitgefühl hervor. Umso mehr, wenn er ein Mensch ist, der aufgrund seiner Überzeugungen in einem Gefängnis sitzt.“ Herr Alexei Nawalny lässt da wieder grüßen.
Und Parsifal, dieser reine Tor, der seine Mitleidsfrage lange nicht stellt, um dadurch die Erlösung zu bringen? „Er ist eben ein Tor.“