Tarantino in Cannes: Hollywood-Hippies und Fernseh-Cowboys
Von Alexandra Seibel
Fünfundzwanzig Jahre ist es her, seit Quentin Tarantino mit „Pulp Fiction“ nach Cannes kam und die Filmgeschichte neu schrieb. Im Schatten dieses Triumphs zählte die Premiere von Tarantinos neuem „Once Upon A Time ... in Hollywood“ zum meist erwarteten Ereignis. Die Anwesenheit des Regisseurs und seiner Stars Leonardo DiCaprio, Brad Pitt und Margot Robbie auf dem Roten Teppich wurde umröhrt wie sonst bei keiner Premiere. Am Ende gab es sieben Minuten lang Standing Ovations.
Wer sich auf typische Tarantino-Thrills eingestellt hat, wurde allerdings enttäuscht. Weder liefert „Once Upon a Time“ Tarantinos pointiert witzige Endlos-Dialoge, noch zeigt er große Lust an explosiven Gewaltstilisierungen. Auch spritzt, zumindest für Tarantino-Verhältnisse, wenig Blut, streckenweise verfällt er fast in melancholische Elegie. Überraschend für eine Geschichte, die sich vor dem Hintergrund einer der größten Blutmorde in Hollywood abspielt, wo Anhänger von Charles Manson 1969 die schwangere Sharon Tate, Ehefrau von Roman Polanski, und ihre Freunde abschlachteten.
Wenn man sich von der Idee verabschiedet hat, ein reißerisches Tarantino-Spektakel zu sehen, tritt allerdings großer Genuss ein. „Once Upon A Time“ ist vollgefüllt mit allem, was Tarantino liebt. Hollywood in den späten 1960er Jahren, Filmstudios, in denen kleine, schmierige B-Movies gedreht werden, Fernseh-Shows mit Cowboys, Bruce Lee und Martial Arts, Poster, Spaghetti-Western und Schauspieler aus der zweiten Reihe, die es noch nicht in die sogenannte A-Liste geschafft haben. Nicht zu vergessen Tarantinos großer Fetisch, nackte (dreckige) Frauenfüße.
Tarantino hat ganzen Straßenzüge in Los Angeles den Look der späten Sixties verpasst und sie mit großem Vintage-Glanz ausgestattet. Die Fassaden von Kinos, Restaurants und Fast-Food-Ketten („Der Wienerschnitzel“) leuchten im nächtlichen Hintergrund in traumtänzerischer Schönheit auf analogem 35mm-CinemaScope-Filmmaterial.
Hippie-Hasser
Leonardo DiCaprio spielt einen leicht heruntergekommen Bösewicht-Darsteller namens Rick Dalton, der durch mittelmäßige Film- und Fernsehproduktionen krebst, mit einem Alkoholproblem kämpft und Hippies hasst. An seiner Seite steht felsenfest Brad Pitt als Stuntman Cliff Booth, Daltons Chauffeur und Mädchen für alles. Rick wohnt in einer vornehmen Villa, gleich neben den Polanskis; Cliff bewohnt einen schäbigen Trailer irgendwo im Niemandsland.
Tarantinos Händchen im Umgang mit Schauspielern ist legendär, und schon lange nicht mehr hat man Leonardo DiCaprio und Brad Pitt in derartig lässiger Entspanntheit ihre Kunst entfalten sehen. DiCaprio als Rick ist nahe am Wasser gebaut und bricht ungefähr alle zehn Minuten in Tränen aus, zum Beispiel dann, wenn er wieder einmal seinen Text vergessen hat und die Aufnahme einer Westernszene versaut. Doch sobald er sich zusammenreißt, beherrscht er die schwierigsten Dialoge meisterlich, und man kann sich beim Zusehen wieder einmal davon überzeugen, was für ein souveräner Schauspieler DiCaprio ist.
Auch Brad Pitt als angeschlagener Feschak Cliff hat sichtlich immenses Vergnügen an seiner Rolle als schlagkräftiger Loser-Typ. Sein Besuch auf einer Ranch, wo die Anhängerschaft von Charles Manson in heruntergekommenen Baracken haust, zählt zu den unheimlichen Höhepunkten von Tarantinos Erzähl-Vignetten. Langhaarige, verwahrloste Hippie-Girls starren den Eindringling hassererfüllt an, und Dakota Fanning als zerraufte Hexe bleibt besonders eindrücklich zombiehaft.
Noch bevor die Vorführung von „Once Upon a Time ... In Hollywood“ begann, trat jemand auf die Bühne und bat im Namen des Regisseurs die Journalisten, keine Details zu verraten. Beleidigte Buh-Rufe kamen als Antwort.
Ein bisschen Vertrauen sollte schon sein.
Ob Tarantino wieder – wie vor 25 Jahren – die Palme pflücken wird, entscheidet die Jury unter Alejandro Iñárritu am Samstag.
Übrigens: In Cannes herrscht während des Filmfestivals auch ein reger Schwarzmarkt für den Verkauf von Party-Tickets. Wer ohne Einladung auf die Tarantino-Sausen will, muss tief in die Taschen greifen. Laut Branchenblatt Screen werden Tickets zwischen 15.000 und 29.000 Dollar angeboten. Da muss man schon ein großer Fan sein.