Kultur

Die geriatrisch-derbe Trauerposse

Wie die Tiere schleichen sie umeinander herum, warten auf den richtigen Moment, dem anderen mit Worten möglichst tiefe Blessuren zu versetzen: „Ich habe Spiegel aufstellen lassen, damit Sie im Plural sterben können.“

Marquise de Merteuil und Vicomte de Valmont, zwei gealterte Libertins, die einander einst liebten und begehrten. Übrig ist davon nur noch Bitterkeit, und ihre von der Zeit geschundenen Leiber sprechen ihrem ständigen Lust-Gerede Hohn.

Donnerstag feierte Heiner Müllers „Quartett“ im Theater in der Josefstadt Premiere. Regie führte Hans Neuenfels. Seine Frau Elisabeth Trissenaar und Helmuth Lohner spielten die kranke Intrigantin und den gebrechlich gewordenen Verführer.

Szenenfotos aus Heiner Müllers "Quartett"

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Skandalerfolg

Müllers Stück ist eine Adaption von Choderlos de Laclos’ Briefroman „Gefährliche Liebschaften“, dem Skandalerfolg des späten 18. Jahrhunderts, der am Vorabend der französischen Revolution als Attacke gegen den sittenlosen Adel gedacht war. Merteuil und Valmont (bekannt auch aus Stephen Frears Verfilmung mit Glenn Close und John Malkovich) treiben darin ein böses Spiel: Sie verführen Jungfrauen und moralische Ehefrauen. Aus purer Langeweile.

Müller konzentriert sich auf das Schlachtfeld der verlorenen Gefühle zwischen Valmont und Marquise. Von ihren Opfern, die man benutzt und ins Unglück stürzt, ist nur die Rede. Die Jungfrau wird als Klosterhaube angedeutet, die tugendhafte Tourvel stellt Valmont selbst dar. „Quartett“ bleibt ein Zwei-Personen-Stück.

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Müllers Bankrott-Erklärung der Liebe ist – auch – eine Klamotte. Über Liebe und Tod. Verkleidet als brachiales Sex-Gerede, oft unter der Gürtellinie. Dabei riecht es doch schon nach Tod in diesem Möchtegern-Boudoir: Die Marquise hat Krebs und Valmont seine besten Tage hinter sich. Das Stück balanciert zwischen Schwank („Tugend wird faul ohne die Fleißarbeit der Versuchung“) und Schwermut. „Wollenwir einander aufessen, Valmont, damit die Sache ein Ende hat, bevor Sie ganz geschmacklos werden.“ – „Ich bedaure, Ihnen sagen zu müssen, dass ich schon gespeist habe.“

Dazu muss man wissen, dass Müller „Quartett“ schrieb, als seine Noch-Gattin mit ihrem neuen Freund im selben Haus logierte. Seine Desillusion war groß: Wenn wir uns „durch fremde Leiber wühlen“, so ist es doch immer bloß „das Nichts in unserer Seele, das nach Futter kräht“.

In Neuenfels’ Inszenierung versetzt man einander auf einer bis auf zwei Kanapees und einen Vorhang leeren, schwarzen Bühne (Reinhard van der Thannen) verbale Kinnhaken. Komisch, derb, traurig. „Ihr Atem schmeckt nach Einsamkeit“...

Trissenaar steht anfangs deutlich auf der Seite der Klamotte. In der Posse der verletzten Eitelkeiten werden Augen gerollt, das Kinn energisch in die Höhe gereckt, die Fäuste geballt. Sie moduliert jede Silbe, Lohner geht es ruhiger an. Das Outfit passt: Sie wirkt schrullig in lila Samt, er grotesk im schwarzen Gehrock und mit silbergrauem Langhaar.

Beleidigung

Auf ihre Beleidigungen („Was er Ihnen voraus hat, ist Jugend. Auch im Bett, wenn Sie es wissen wollen.“) reagiert er mit einem feinen Zucken der Mundwinkel. Und gerade dann, wenn kaum Platz für Zwischentöne zu bleiben scheint, nimmt er ihn sich. Er ist deliziös-maliziös als Valmont, der die tugendhafte Tourvel spielt. Er erlaubt der Marquise, seine Füße zu küssen, sie orgasmiert, als sie seine Schuhe knutscht. Er, verfolgte Unschuld, zupft derweil an seiner Perlenkette, legt den Kopf ein wenig schief.

Neuenfels tariert dieses böse Stück, das in seiner Abgründigkeit auch Zärtlichkeit erahnen lässt, leidlich gut aus. Doch die Balance zwischen Pathos und Klamauk ist schwer zu finden. Für Müllers Derbheit, die selbst die heilige Dreifaltigkeit zweckentfremdet, ist die Josefstadt freilich ein hübscher Ort.

Das Stück

1982 uraufgeführt, ist Heiner Müllers „Quartett“ eine Adaption von Choderlos de Laclos’ „Gefährliche Liebschaften“.

Die Regie

Hans Neuenfels inszenierte nach sieben Jahren Oper nun wieder Theater. Er betont die derben Seiten des Stücks, die verlorene Liebe spürt man erst gegen Ende.

Das Spiel

Elisabeth Trissenaar wirkt zu Beginn sehr aufgedreht, Helmuth Lohner nuanciert fein und wird zunehmend stärker.

KURIER-Wertung:

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