Kultur

Ripley, ein Seelenverwandter

Bücher über das Privatleben bekannter Persönlichkeiten haben es an sich, dass man sich als Leser manchmal fragt, ob einem dieses Wissen zusteht. "Details über sein Privatleben preiszugeben ist für einen Schriftsteller, als würde er sich nackt in der Öffentlichkeit zeigen", schrieb Patricia Highsmith.

Nachzulesen ist dieser Satz nun ausgerechnet im Vorwort einer sehr detailreichen Biografie, die die amerikanische Autorin Joan Schenkar über das ungewöhnliche Leben der am 19. Januar 1921 in Texas geborenen Schriftstellerin geschrieben hat.

Man wusste schon bisher, dass Patricia Highsmith eine fantastische (Krimi-)Autorin war, Katzen lieber als Menschen mochte und dass unter anderen Peter Handke zu ihren Bewunderern gehörte. "Die talentierte Miss Highsmith" (Diogenes, 1072 Seiten, 30,80 €, ab 9. Februar) beginnt mit den Worten: "Sie war nicht nett. Sie war selten höflich. Und niemand, der sie kannte, hätte sie großzügig nennen können" und bestätigt auf den ersten Blick die Vorurteile vom menschenscheuen Genie. Auf den zweiten zeigt sie, wie zwiespältig die leutselige Eremitin Highsmith wohl tatsächlich war.

Alter Ego

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Patricia Highsmith lebte zwischen ihren Liebesaffären sehr zurückgezogen, wurde aber nicht zuletzt mit ihrem geistigen Alter Ego Tom Ripley weltberühmt. Fünf ihrer 30 Romane widmete sie ihm. Bisher 23-mal wurden ihre Bücher verfilmt, die jüngste Verfilmung von Carol/Salz mit Cate Blanchett hat im Mai in Cannes Weltpremiere. Eine Neuverfilmung von "Zwei Fremde im Zug" ist in Planung. (Viel Glück dafür: Die erste Verfilmung 1951 besorgte Alfred Hitchcock, das Drehbuch schrieb Raymond Chandler.)

Die Unbeständigkeit Ripleys (benannt nach einer Comic-Figur, Highsmith war auch Comic-Autorin) ähnelte der seiner Schöpferin, die darwinistische Grausamkeit seiner Geschichten bezeichnet Schenkar als "Kehrseite des amerikanischen Traums". Highsmith, die in England, Italien, Frankreich und zuletzt in der Schweiz lebte, machte sich viele Gedanken darüber, was es heißt, Amerikanerin zu sein. Schenkar spricht von einem "Highsmith-Country" – gekennzeichnet von jenem unerbittlichen Blick auf die Welt, den bereits die sehr junge, hübsche "Pat" hatte. Als Leser hoffte man, sich darin nie wiederzuerkennen. Sie war grausam zu ihren Figuren, zu ihrer Umgebung zumindest unkonventionell.

Highsmith sprach zwar nie über sich, zeichnete aber verstörend genau alles auf. Die Haarfarbe ihrer Geliebten, die Eigenschaften einer beendeten Beziehung, der Preis eines Hotelfrühstücks (sie wurde mit dem Alter geiziger, wenn ihr kalt war, hackte sie Holz, anstatt zu heizen). Sie hinterließ 250 unveröffentlichte Manuskripte, 38 Notizbücher, 18 Tagebücher.

In Schenkars Biografie sind nebst Chronologie samt Querverweisen zu ihren Romanen Highsmiths diverse Tabellen, Pläne und Skizzen nachzulesen. "Der Rest dieser Biografie kann erzählen, was sie wirklich lebte" – laut Schenkar "Obsessionen".

Highsmith liebte Katzen, Spinnen, züchtete Schnecken, die sie unter ihrer Kleidung über die Grenze schmuggelte. Essen war ihr zuwider, sie ernährte sich flüssig und von Gauloises. Ihr Verhältnis zu ihren Mitmenschen war zwiespältig, allen voran jenes zu ihrer Mutter – Hass und Liebe zugleich. Sie führte Streitgespräche mit Gott, konnte durchaus gesellig sein, sprach Einladungen aus, war aber froh, wenn sie nicht angenommen wurden.

Sie behauptete, Juden, Araber, Italiener, Latinos, Inder, Schwarze und Kinder zu hassen. Verfasste Anleitungen, wie Kinder ihre Eltern umbringen können. Las Hannah Arendt und "Mein Kampf" gleichzeitig. Litt an Zahnproblemen, Depressionen, war schüchtern und sehnte sich nach Liebe.

Patricia Highsmith starb am 4. Februar 1995 an Krebs. Ihre letzte Katze, Charlotte, soll tagelang geschrien haben.