Kultur

Pandemien und Prävention: Alles schon mal da gewesen!

In der Wagenburg hinter dem Schlosstheater von Schönbrunn sind auch imposante Automobile garagiert, das Gros der Exponate aber bilden prunkvollste Kutschen. Zum Beispiel für Hochzeiten. Oder für Beerdigungen: Man stößt auf den barocken Galawagen für die Hoftrauer aus 1730/’35 und den imperialen Leichenwagen aus 1876/’77.

Letzterer sei, so kann man lesen, im Endeffekt ein Produkt der Seuchenprävention gewesen. Denn jahrhundertelang wurden die Mitglieder des Kaiserhauses auf einer Bahre zu Grabe getragen. Aber schon beim Begräbnis von Ferdinand IV., gestorben 1654 an Pocken, hätten sich die zuständigen Kämmerer über den unerträglichen Gestank beschwert, den sie dabei einatmen mussten.

Doch erst später erkannte man, dass mit dem Geruch auch eine Ansteckungsgefahr verbunden war. 1762 verfügte Kaiserin Maria Theresia daher eine Abänderung des Hofzeremoniells: Für die Bestattung ihrer Tochter Johanna Gabriele – auch sie starb an Pocken – wurde aus Sicherheitsgründen ein Wagen verwendet. In aller Eile tunte man ein bis dahin für Botschafteraudienzen verwendetes Fahrzeug um, das in der Folge standardmäßig bei Begräbnissen zum Einsatz kam.

Geschickt integriert

Und zwischen all diesen Kutschen entdeckt man neuerdings eher unvermutet eine geschickt integrierte Ausstellung über „Masken und Seuchen am Wiener Hof 1500– 1918“, wie sich der Untertitel von „Coronas Ahnen“ nennt. Das KHM reagierte damit – für einen Museumstanker unglaublich rasch – auf die Pandemie. Das Resümee ist simpel, aber trotzdem überraschend: Alles schon mal da gewesen! Ja, wir haben tatsächlich vergessen, dass die Vorfahren mit der Angst vor Seuchen leben mussten.

Die Geschichte, die Direktorin Monica Kurzel-Runtscheiner anhand vieler Objekte und erstaunlicher Dokumente erzählt, beginnt natürlich mit der Pest, übertragen durch Rattenflöhe.

In Wien gab es insgesamt neun Epidemien, die katastrophalste zwischen 1678 und 1680. Die Verwaltung brach zusammen, auf den Straßen lagen die Sterbenden, die Toten warf man in Massengräber. Der Kaiser und viele Bewohner flohen aus der Stadt und wurden „zu Superspreadern im ganzen Reich“.

Cordon sanitaire

Doch man lernte aus den Fehlern: Als die Pest 1712 wiederkehrte, blieb der Kaiser in Wien, um den Untertanen Mut zu machen. Die Kranken und deren Angehörige kamen in ein abgesperrtes Lazarettviertel, das öffentliche Leben wurde auf ein Minimum reduziert. Und zumindest damals kam die Krankheit quasi mit dem Auto: 1728 errichtete man an der Grenze zum Osmanischen Reich ein „Cordon sanitaire“ mit strenger Quarantäne für alle Reisenden (40 Tage). Seither ist die Pest in Österreich ausgerottet – und man dankte dem lieben Gott mit der Errichtung von Pestsäulen allerorts und der Karlskirche in Wien.

Nun witterten die Pocken ihre Chance. Diese Virusinfektion war zwar nicht unbedingt tödlich, doch der Genesene sein Leben lang durch Narben entstellt. Anders als die Pest grassierten die Blattern auch am Hof: König Ferdinand IV. und Kaiser Joseph I. starben daran – wie auch mehrere Kinder von Maria Theresia. Nachdem die Monarchin 1767 selbst eine schwere Pockenerkrankung überlebt hatte, entschloss sie sich, ihre jüngsten Kinder impfen zu lassen.

Das Serum, zunächst im Waisenhaus am Rennweg an wehrlosen Kindern getestet, konnte sich aber nicht durchsetzen. Erst mit dem Kuhserum, um 1800 in England entwickelt, stieg die Impfbereitschaft langsam an. Aber man machte gehörig Druck. Goodies (wie Stipendien) bekam nur, wer geimpft war. Und die Pfarrer wurden angehalten, die Impfung anzupreisen. Die erste Massenimpfung gab es übrigens bereits 1801 in Brunn am Gebirge.

Cholera-Kanäle

Dann kam die Cholera. Da man nun den Zusammenhang zwischen Seuche und Hygiene erkannte, legte man in Wien sogenannte Cholera-Kanäle an; sie waren das erste umfassende Abwassersystem der Stadt (und zugleich ein Beschäftigungsprogramm für die Arbeitslosen sonder Zahl). Dennoch blieb die Cholera rund 100 Jahre lang eine Bedrohung. Die letzte Epidemie gab es 1873. Was zur Folge hatte, dass die damalige Weltausstellung floppte. Doch unmittelbar danach war die Hochquellwasserleitung fertig – und die Cholera besiegt.

Spanische Grippe 

Und 1918 raffte die Spanische Grippe nicht nur Egon Schiele dahin. Wenn man durch die damals erschienenen Zeitungen blättert, hat man so manches Déjà-vu-Erlebnis. Denn man liest zum Beispiel im Prager Tagblatt: „In Lausanne empfiehlt man allen, eine Maske zu tragen, da die spanische Grippe sich durch Speichelstoffe, die in die Nase, den Mund etc. eindringen, verbreitet.“ In der Neuen Freien Presse: „Die Übertragung geht meistens schon zu einer Zeit vor sich, ehe die Kranken selbst sich ihres Leidens bewusst sind.“ In der Arbeiter Zeitung: „Die Schulen bleiben bis zum 4. November geschlossen. Sämtliche Theater, Kinos, Vergnügungslokale etc. werden vom 21. Oktober abends bis zum 4. November geschlossen.“

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Und in der Illustrierten Kronen Zeitung war zu lesen: „Die Einstellung der Straßenbahnen würde zu einer Verkehrskatastrophe führen, während die Wiener die theaterlose Zeit bisher ganz gut vertragen haben.“ Stimmt doch, oder?

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