Kultur/Oscar

"Selma": Streitfall für die Oscar-Academy

Für viele wäre die Oscar-Nominierung zum besten Film ein gewaltiger Erfolg. Bei "Selma" (ab Freitag im Kino) aber war die geringe Zahl der Nominierungen – zwei – trotzdem eine Enttäuschung. Und wurde zum Auslöser einer erbitterten Diskussion über die Relevanz der Oscars, die Zusammensetzung der Academy. Und die Rolle von schwarzen Künstlern im Filmbusiness. Ein Gespräch mit Hauptdarsteller David Oyelowo.

KURIER. Es gab zuletzt prominente "schwarze" Filme wie "The Help", "Der Butler", "Twelve Years a Slave". Herrscht verstärktes Interesse?

David Oyelowo: Ja, und das hat mit der Obama-Regierung zu tun. Die weißen Amerikaner haben nun einen positiven Kontext, innerhalb dessen sie Fragen stellen können, die eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit leichter machen: Welche Entwicklung ermöglichte einen schwarzen Präsidenten? Diese Filme wären vor Obama nicht möglich gewesen. Übrigens habe ich in allen mitgespielt – und als ich Obama traf und wir ihm "Selma" zeigten, habe ich mich bei ihm für meine Karriere bedankt.

Es gab viel Verwunderung darüber, dass Sie nicht als Darsteller Oscar-nominiert wurden?

Die Academy besteht zu 74 Prozent aus weißen Männern. Und ich glaube, dass der Oscar-Gewinn von "12 Years a Slave" im letzten Jahr mit "Selma" nicht zu vergleichen ist. Schwarze wurden immer als Sklaven und Diener gefeiert – der erste Oscar ging an Hattie McDaniel, die ein Dienstmädchen in "Vom Winde verweht" spielte. Aber ein Schwarzer als Anführer? Das ist etwas ganz anderes.

In den USA wird ja der Martin-Luther-King-Tag gefeiert ...

Ich habe mit Kindern gesprochen, die nicht wussten, wofür die Abkürzung vom MLK-Tag steht. Die meisten Menschen wissen über King nur, dass er die Rede "Ich habe einen Traum" hielt oder dass er ermordet wurde. Über die blutigen Vorfälle in Selma, Alabama, im Sommer 1965 wissen die wenigsten, dabei war es Kings erfolgreichste Kampagne und setzte die Gleichberechtigung im Wahlrecht durch.

Hier finden Sie unser Special zur Oscar-Verleihung 2015

Am Sonntag werden die 87. Oscars vergeben. Der KURIER begleitet sie live durch die Oscar-Nacht.

Sie zeigen King nicht nur politisch, sondern auch privat?

Ja, zum Beispiel die Sache mit seinen Affären: Er war Prediger und Bürgerrechtsaktivist, aber er war nicht perfekt. Als Prediger war man damals in seiner Gemeinde wie ein Rock-Star, und die Frauen haben sich einem an den Hals geworfen. Ansonsten wurde man als Schwarzer nicht gefeiert, es sei denn, man hieß Sidney Poitier. Für mich sind solche Details wichtig – nicht, um Dr. King zu diffamieren, sondern um ihn als Menschen zu zeigen.

Sie haben auch Einfluss auf das Drehbuch genommen?

Bis vor Kurzem hatten die meisten Filme, die von der Bürgerrechtsbewegung und Rassenunruhen erzählen – abgesehen von "Malcolm X" – einen Weißen im Mittelpunkt : Filme wie "Mississippi Burning" oder "Glory". Auch hier stand ursprünglich Präsident Johnson im Zentrum, aber das haben Ava DuVernay und ich umgeschrieben.

Sie sind Brite und spielen ein amerikanisches Freiheitsidol ...

Falls sich wer aufregt: Wenn Meryl Streep Margaret Thatcher spielen konnte, dann kann ich auch Martin Luther King spielen.

Ava DuVernay war nicht die erste – und auch nicht die zweite Wahl, um bei dem Film "Selma" Regie zu führen. "Ich war die siebente Wahl", prustet die 42-jährige Afro-Amerikanerin im KURIER-Interview los: "Zuerst hätten weiße Männer Regie führen sollen, dann schwarze, und zuletzt sind sie auf mich gekommen. Ich glaube, denen gingen einfach die Möglichkeiten aus."

Hätte "Selma" es auf eine Oscar-Nominierung für beste Regie gebracht, Ava DuVernay wäre sogar die erste nominierte schwarze Frau in dieser Kategorie geworden. So geht "Selma" "nur" für den besten Film und den besten Original-Song ins Rennen.

DuVernays stimmungsvolles, unpathetisches Porträt ist der erste Spielfilm über das Leben von Martin Luther King und fokussiert auf drei Monate: Von Jänner bis März 1965, als King und seine Mitstreiter die Gleichberechtigung im Wahlrecht für schwarze US-Bürger erkämpften.

Im Mittelpunkt stehen dabei die blutige Auseinandersetzungen in dem kleinen Ort Selma (Alabama) und die Folgen dieses "Bloody Sunday", der im Fernsehen übertragen wurde und die ganze Nation aufrüttelte: "Ich habe unglaublich viel Respekt für Martin Luther King", erzählt die Regisseurin: "Er war immer schon ein Held von mir. Ich habe an der Uni im Hauptfach afro-amerikanische Geschichte studiert und mich sehr viel mit der Bürgerrechtsbewegung beschäftigt. Außerdem ist mein Vater aus Alabama, insofern ist mir die Gegend dort sehr vertraut."

Um ihren Schauspieler die Reden des Bürgerrechtskämpfers sprechen zu lassen, musste DuVernay sie in eigenen Worten neu schreiben: "Es klingt verwunderlich, aber es liegt ein Copyright auf den Reden von Dr. King. Und das hat Steven Spielberg gekauft: Er plant ein Bio-Pic, das dessen Leben von der Wiege bis zum Grab erzählen soll."

Zurück auf die Straße

Das Gegenteil von dem, was DuVernay beabsichtigte, die King nicht als "Denkmal", sondern "emotional" und als "interessanten Menschen" erzählen wollte: "Mir schien es als beste Idee, mich zeitlich einzuschränken, ähnlich wie Spielberg bei ,Lincoln‘ . Wenn mein Film anfängt, hat King bereits seine ,I have a dream‘-Rede gehalten und bekommt gerade den Nobelpreis. Eigentlich hätte er alle Karriere-Optionen, doch er entscheidet sich dafür, zurückzukehren – auf die Straße und zu seinen Mitstreitern. Ich finde, da erfährt man sehr viel darüber, was er für eine Art von Mensch war."