Opernstar Nina Stemme: „In Wirklichkeit singt das Gehirn“
Von Peter Jarolin
Ein Literaturnobelpreis wurde heuer aus gut bekannten Gründen nicht verliehen. Dafür aber erlebte Stockholm wieder die Verleihung des Birgit Nilsson Preises. Jener mit einer Million Dollar (etwa 869.100 Euro) dotierten Auszeichnung, die nach der schwedischen Jahrhundertsängerin (1918 – 2005) benannt ist und von der Birgt Nilsson Foundation in unregelmäßigen Abständen vergeben wird.
Nina Stemme, ebenfalls eine Schwedin, ist nach dem von Nilsson selbst gekürten Plácido Domingo, dem neapolitanischen Stardirigenten Riccardo Muti und den Wiener Philharmonikern die vierte Preisträgerin. Wobei sich anlässlich der Wiederkehr von Birgit Nilssons 100. Geburtstag für Nina Stemme ein Kreis geschlossen hat. Denn bei der ersten Preisübergabe durch König Carl XVI. Gustaf von Schweden im Jahr 2009 war es Nina Stemme, die ihren Kollegen Plácido Domingo musikalisch gewürdigt hatte. Bei der diesjährigen Gala wurde wiederum Stemme von Bassbariton Bryn Terfel mit Wagner und Verdi gefeiert.
Waghalsig
„2009 dachte ich mir noch ängstlich: Was mache ich denn hier? Das ist doch viel zu waghalsig. Heute ist dieser Abend im Opernhaus von Stockholm eine wunderschöne Erinnerung“, so die hochdramatische Sopranistin.
Im Alter von sechs Jahren hat Stemme einst die Stockholmer Oper erstmals mit ihren Eltern betreten. „Es war eine Aufführung von Puccinis ,La Bohème’“, erinnert sich die Künstlerin, die an der Wiener Staatsoper ab 25. Mai 2019 auch in einer Neuproduktion der „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss zu erleben sein wird.
Zuhörend
Die große Birgit Nilsson hat Stemme noch persönlich gekannt. „Sie hat mich gefördert. Und ich habe immer noch das Gefühl, dass sie über mich wacht und mir zuhört, von ihrem Platz im Opernhimmel“, so Stemme.
Birgit Nilsson und Nina Stemme – die Parallelen sind offensichtlich. Beide Sängerinnen haben sich ihr Repertoire angeeignet. Langsam, planvoll und methodisch. Beide waren bzw. sind im hochdramatischen Fach zu Hause. Und Stemme hält auch Birgit Nilssons Motto „hurry slowly“ hoch. „Ich habe mir das Motto zurechtgelegt, als ich auf der internationalen Karte präsent geworden bin. Mir war klar: Da kommen zu schnell zu viele Angebote. Viele habe ich abgelehnt.“ An dieser Birgt Nilsson verpflichteten Haltung werde sich auch nichts ändern. Aber, so Stemme: „Birgit war Birgit und unvergleichlich. Ich bin Nina Stemme. Und das bleibt so“, so die glücklich verheiratete Mutter dreier Kinder.
Geerdet
Dass sowohl Nilsson als auch Stemme als „Botschafterinnen Schwedens“ gesehen werden, lässt Stemme gelten. Auch, dass sie wie Birgit Nilsson stets am Boden geblieben ist, eint die beiden Opernikonen. „Meinen Erfolg verdanke ich vor allem harter Arbeit und meiner Disziplin. Und der Politik der kleinen Schritte“, meint Stemme denn auch. Dabei sei sie „nie so besonders talentiert“ gewesen. „Ich bin eben eine Arbeiterin.“
Diese Einstellung kommt ihr auch bei Mammutprojekten wie mehreren Aufführungsserien von Richard Wagners „ Ring des Nibelungen“ (aktuell in London) zugute. „Wenn man die Brünnhilde singt, muss man besonders aufpassen. Aber in Wirklichkeit ist es das Gehirn, das singt. Das Gehirn kontrolliert den Körper, es imaginiert die Phrasen, bevor sie gesungen werden. Sobald die Luft zu fließen beginnt, ist es zu spät.“ Stemme weiter: „In den Pausen bereite ich mich intensiv auf die nächsten Szenen vor. Es ist alles eine Sache des Kopfes. Und nach einer ,Ring’-Serie braucht die Stimme einfach Ruhe.“
Ruhig
Die findet Stemme auf ihrem Hausboot, mit dem sie stundenlang durch die Gegend fahren kann. Und in ihrer Familie, der sie in ihrer Dankesrede bei der Preisverleihung in der Stockholmer Oper viel Raum einräumte. Doch was macht Stemme eigentlich mit dem Preisgeld? „Das muss ich mir erst überlegen. Ich muss darüber nachdenken, was einmal von mir bleiben soll. Aber ich werde das Preisgeld sicher im Sinne von Birgit Nilsson verwenden.“
Transferiert
Wann der Birgit Nilsson Preis das nächste Mal vergeben wird, steht übrigens noch nicht fest. Denn es gibt strukturelle Änderungen. So wird die Birgit Nilsson Foundation, die auch das Preisgeld ausschüttet, nach Schweden transferiert und in die Royal Academy of Music eingegliedert. Der Wiener Rutbert Reisch, Präsident der Stiftung und enger Vertrauter Nilssons, hört auf, bleibt dem Unternehmen aber im Vorstand erhalten.
Den Preis sowie die dazugehörigen Feierlichkeiten finanziert die Stiftung allein aus ihren Gewinnen am Aktienmarkt. Das Stiftungskapital selbst bleibt dabei jedoch unangetastet. Zukünftiges Ziel werde es aber auch sein, zwischen den Preisjahren das Erbe Birgit Nilssons zu pflegen. Vor allem in Hinblick auf junge Sängerinnen und Sänger. Denn, so Reisch: „Wir haben gegenüber Birgit eine Verpflichtung einzulösen.“