Mutiger Start in Linz – mit Schwächen
Von Georg Leyrer
Man hätte leichter, zugänglicher, konventioneller starten können. Man startete aber mutig im neu gebauten Linzer Musiktheater: Als erste Premiere gab es einen großen Befreiungsschlag, der die Operngeschichte eigentlich für beendet erklärt.
Und das ist schon originell für ein neues Opernhaus, ein würdiger Start, wenn auch mit Schwächen.
Mit „Spuren der Verirrten“, ursprünglich ein Stück von Peter Handke, nun eine Oper von Philip Glass, wurde am Freitagabend der 180-Millionen-Euro-Bau eingeweiht. In der Regie von David Pountney wurde das Werk zum vielgestaltigen, traum-, märchen- und zirkushaft gestalteten Schaulauf dessen, was Oper ausgemacht hat (ja, Vergangenheitsform).
Eine Oper also über die Oper, die Zuseher, die Inhalte – und die großen Gefühle dieser Kunstform, die aber in gut postmoderner Manier gleich abgeschafft wurden. „Tragödien gibt es nach dem neuesten Stand der Forschung nicht mehr“, ruft der Zuschauer (gespielt von Lutz Zeidler) auf die Bühne.
Macht nichts. Oper muss es weiter geben, nicht zuletzt weil sie in Linz soeben ein Haus bekommen hat, das alle Stückerln spielt.
Standortbestimmung
Also wucherten intime Minidramen und große Chorszenen, visuelle Komödien und die antiken Tragödien von Medea und Ödipus im Schnelldurchlauf bunt und vielgestaltig über die Bühne. Aber darum ging es eigentlich nicht. Sondern darum, was Oper war, ist und künftig sein kann. „Wo sind wir? Wo sind wir?“, sangen dazu die Verirrten auf der Bühne. Die Sänger, u.a. Martin Achrainer, Elisabeth Breuer, Gotho Griesmeier, nahmen keine klar definierten Rollen ein, sondern nur mit Buchstaben bezeichnete Partien. Da gesellte sich zur Frage nach dem Aufenthaltsort auch die Frage danach, wer denn wer ist.
Für den Zuseher war die erste („wo sind wir?“) dieser Fragen zumindest vergleichsweise leicht zu beantworten: Man saß in einem ambitioniert dimensionierten Haus, das optisch, klanglich und technisch keine Wünsche offen lässt. Ein enormer Paukenschlag für Linz. Das neue Haus wurde auch weidlich ausgenützt: Dirigent Dennis Russell Davies und das Bruckner Orchester fuhren mitsamt Orchestergraben wie in einem Aufzug auf und ab, ließen, ganz unten angelangt, den Sängern genug Akustik-Raum, um bis ganz nach hinten durchzudringen.
Die Drehbühne holte allerlei Überraschendes – von Alphörnern über Spitalsbetten bis hin zu einem singenden Hasen – aus den Tiefen des Bühnenraums hervor.
Und auf den Libretto-Monitoren bei den Publikumsplätzen konnte man in der Pause Sterne vergeben, wie wohl man sich im neuen Haus fühlt. Einzig die lückenhaften Wegweiser verdienten da keine fünf Sterne.
(Runterscrollen um weiterzulesen)
Szenenfotos aus "Spuren der Verirrten"
Freundlich
Beim Uraufführungswerk hingegen gab es mehr zu bemängeln, es war – mit harmonischer Erwartbarkeit, dick aufgetragener Selbstreflexion und zunehmend redundanten Tanzchoreografien – letztlich mehr gescheit als wirkungsvoll. Das Publikum applaudierte den Sängern und dem Komponisten zuletzt freundlich, dem Regisseur höflich. Orchester und Dirigent bekamen den meisten Applaus. Ungetrübte Premieren-Euphorie sieht jedoch anders aus.
Es war auch keine leichte Kost – obwohl der zeitgenössische Zugang der richtige war: Er könnte dem Haus den dringend benötigten eigenständigen inhaltlichen Raum zwischen Salzburg, Wien und Graz verschaffen.
Zuletzt dann hob sich der Orchestergraben wieder empor, nur noch eine Handvoll Musiker spielte darauf. Das Publikum (nicht das echte, sondern die Statisterie) besetzte daraufhin die Musikerplätze. Und verwies damit auf die wohl spannendste Frage der nächsten Monate: Wie stark das neue Musiktheater vom Publikum angenommen wird.
KURIER-Wertung: **** von *****
Opern-Schaulaufen
Das Werk
Peter Handkes „Spuren der Verirrten“ ist das Libretto der Philip-Glass-Oper. In der Regie von David Pountney ergab das ein Nachdenken über die Möglichkeiten von Oper.
Die Uraufführung
Musikalisch wenig bewegend. Viel Applaus für das Bruckner Orchester und die Sänger. Spannende, aber zu viele Tanzchoreografien von Amir Hosseinpour.