Kultur

Neuer "Tatort“: Regisseur Roth im Interview

Für seinen letzten "Tatort" bekam er die ROMY (Beste Regie). Heute läuft sein neues, hochpolitisches Werk in der erfolgreichen Krimi-Reihe. Der mehrfach preisgekrönte Regisseur und Autor im großen KURIER-Gespräch.

KURIER: "Die Kunst des Krieges" ist bereits der siebente "Tatort", bei dem Sie Regie geführt haben. Auch das Buch stammt von Ihnen. Es geht ums Schleppermilieu, Menschenhandel und Prostitution. Wann haben Sie das geschrieben?

Thomas Roth: Der Film war schon im Mai 2015 abgedreht. Damals war vom großen Flüchtlingsansturm in Österreich noch gar keine Rede.

Wie sind Sie trotzdem auf dieses Thema gekommen?

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Das Thema Flüchtlinge war latent gegenwärtig. Warum der Ansturm an den Grenzen dann für die politisch Verantwortlichen trotzdem so eine Überraschung war, muss man sich schon fragen. Ich wurde vom ORF auch angeregt, dieses Thema aufzugreifen. Ich finde, es ist geradezu die Pflicht eines Künstlers, soziale Probleme zu erkennen und anzusprechen.

Seither ist viel passiert: Das Drama auf der Ostautobahn, offene Grenzen, wieder geschlossene Grenzen, eine Welle der Hilfsbereitschaft, die Stärkung rechter Parteien in ganz Europa. Würden Sie die Geschichte heute anders schreiben?

Wahrscheinlich gäbe es auch eine andere Facette. Oder neue Facetten. An einer Grundsatzeinstellung hat sich für mich aber nichts geändert: Es gibt viele, die aus dem Schaden anderer einen Nutzen ziehen.

Sie zeigen die Betroffenen eindeutig als Opfer. Nun schwingt aber seit langem in der Debatte auch die Frage mit: Wie viele Täter sind gekommen?

Es war ja vorherzusehen, dass durch das Öffnen von Tür und Tor auch Menschen zu uns kommen, die sich nicht assimilieren wollen und die nicht bereit sind, die gesellschaftlichen und sozialen Standards hier zu erfüllen. Ich habe auch nicht verstanden, warum dieser "Tatort" nicht gleich nach Fertigstellung ausgestrahlt wurde. Im Gegenteil: Man entschied sich, eine andere Folge, die erst danach gedreht wurde, vorzuziehen. Jetzt läuft mein "Tatort" in Deutschland parallel zum Fußball-Länderspiel DeutschlandNorwegen, das fühlt sich irgendwie komisch an. Vielleicht will man nicht weiter Öl ins Feuer des Merkel-Kurses gießen.

Das Thema Flüchtlinge wurde auch zu einem zentralen im Hofburg-Wahlkampf. Wie sehen Sie diese Vermischung von internationaler Thematik und innenpolitischem Streit?

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Das ist das Kerngeschäft des Populismus, sich jener Themen zu bedienen, von denen man meint, dass die breite Öffentlichkeit dafür zu vereinnahmen ist. Dabei wäre es die Aufgabe eines Politikers, Lösungen anzubieten. Stattdessen gießen die Rechten tatsächlich Öl ins Feuer, um ihre Wähler in diesem völlig sinnlosen Wahlkampf noch einmal zu motivieren.

Weswegen völlig sinnlos?

Unter den Voraussetzungen, unter denen diese Wahl noch einmal stattfinden muss, kann man in Zukunft jede Wahl anzweifeln. Wenn mir das Ergebnis nicht passt, schalte ich den Verfassungsgerichtshof ein, und die Wahl wird wiederholt. Es hätte doch genügt, die Stimmen noch einmal auszuzählen. Ich sehe in diesem neuen Wahlgang weder einen demokratischen, noch einen politischen Sinn. Für mich hat hier vorauseilender Gehorsam regiert.

Kommen wir zurück zum "Tatort": Da spielt Harald Krassnitzer die männliche Hauptrolle. Er gilt nicht gerade als der facettenreichste Schauspieler. Wie ist die Arbeit mit ihm?

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Ich kenne Harald und diese Figur mittlerweile natürlich schon sehr gut und habe wohl auch zu ihrer Entwicklung beigetragen. Die grantigen, ärgerlichen Anfälle, die Übellaunigkeit. Das ist etwas Urwienerisches, Urösterreichisches. Für mich ist Harald Krassnitzer einer der perfektesten Schauspieler, die ich kenne. Technisch hervorragend. Ich finde auch, dass er mit Adele Neuhauser wunderbar zusammenpasst, diese Kombination hat viel Potenzial für Humor. Das liegt mir sehr.

Ihr "Tatort", der den Titel "Die Kunst des Krieges" nach einer Schrift des chinesischen Philosophen und Militärstrategen Sunzi trägt, ist der 992. Noch im Herbst wird es den 1000. geben. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg über Jahrzehnte?

Als ich meinen ersten "Tatort" drehte, 1999, war das noch verpönt. Da wurde von Kritikern, wenn sie über meine Kinofilme schrieben, als Makel angemerkt, dass ich auch "Tatort" mache. Das hat sich inzwischen geändert. Woran das liegt? Dass sich der "Tatort" ständig erneuert. Dass es neue Ermittler gibt. Und eine große Freiheit an Stoffen. Der "Tatort" kommt noch aus einer Zeit, in der die Generationen gemeinsam ferngesehen haben.

Gibt es nicht mittlerweile schon zu viele Ermittler?

Für mich schon. Die Qualität schwankt sehr. Es gibt Folgen, die sind sehr gut und andere, die sind grauenvoll.

Ist es, wie man etwa auf Netflix sehen kann, nicht so, dass heute amerikanische, teils auch skandinavische Serien den deutschsprachigen punkto Mut und Experimentierkraft, weit voraus sind?

Das sehe ich auch so. Da aber alles aus Amerika irgendwann auch zu uns kommt, gehe ich davon aus, dass dieser Mut irgendwann auch bei uns auftauchen wird. Ich habe selber ein völlig neuartiges Projekt laufen, eine Miniserie, für die die Signale jetzt zumindest vorsichtig positiv stehen.

Grundsätzlich gilt die Fernsehbranche für viele Kreative als eine, die ein großes Frustpotenzial hat. Sehen Sie das auch so?

Klar kommt das immer wieder vor. Ich gelte ja auch als Unbequemer, weil ich für meine Arbeit kämpfe. Das ist kein Beruf, wo man am Ende schulterzuckend geht und sagt: Ist halt so… Mein Antrieb zur Arbeit muss aber stärker sein als der Frust, sonst würde ich es wohl nicht mehr machen. Wenn man sich aber heute nicht jeden Erfolg groß auf die Brust schreibt und in alle sozialen Kanäle reinstopft, fällt er gar nicht mehr auf. Insofern kann man weniger gute Sachen pushen, und wirklich gute werden übersehen. Meine Art ist es halt nicht, mich hinzustellen und zu erklären, wie großartig ich bin. Ich habe nicht einmal eine Facebook-Seite.

Seit einiger Zeit gibt es in Österreich eine Debatte über eine mögliche verpflichtende Quotenregelung für Regisseurinnen. Wie sehen Sie das?

Ich bin für eine Quote in den Kommissionen, Aufsichtsräten, gleiche Bezahlung etc. Aber sicher nicht für eine Quote im künstlerischen Bereich. Die Vorstellung, dass ein Kulturbetrieb so beamtisiert wird, dass Förderstellen eine Quote einhalten müssen, damit die Aufteilung zwischen den Geschlechtern in einer bestimmen rechnerischen Weise korrekt ist, finde ich schlichtweg doof. Ich glaube, dass immer das Projekt im Vordergrund stehen muss. Egal, ob es von einer Frau oder von einem Mann stammt. Außerdem: Zwei der drei größten Theater in Wien werden von Frauen geleitet, das größte österreichische Kunstmuseum ebenso, die mächtigste Fernsehschaltstelle im ORF ist eine Frau, die Filmförderung in Wien wird von einer Frau geleitet. Auch im Bundeskanzleramt ist die Leitung des Referats Film mit einer Frau besetzt, genauso wie der Regieverband von einer Obfrau vertreten wird. Ich frage mich also: Von welcher Quotenregelung ist die Rede? Ich sehe keinen Anlassfall, eine einzuführen. Und wenn sie wirklich kommen sollte, ist es vielleicht für die Männer gar nicht schlecht, dann können sie vermutlich wieder mehr Filme machen. Im Moment hat man nämlich fast das Gefühl, dass alles, wo nur Frau draufsteht, bei den zuständigen Stellen freundlich durchgewunken wird.