Kultur

Jugendbücher: Die jungen Turiner haben allen Grund, sich zu empören

Das Arbeiterviertel Barriera di Milano liegt am Rande der Industriestadt Turin. Hier lebt Bet, eigentlich Elisabetta, und sie mag keine Annäherungsversuche. Sie hasst es, angegafft zu werden, kann sinnlose "Konversation" nicht leiden und benutzt ihr Mobiltelefon grundsätzlich nicht. Mit den Tussis in ihrer Klasse will sie nichts zu tun haben. Alles Schwachköpfe, deren überschminkte Gesichter Bet ebenso wenig leiden kann wie die Spießeridyllen der Erwachsenen. Der einzige Lehrer, den sie mag, ist der Literatur-Prof, der von Dantes Inferno spricht und so wirkt, als habe er ganz schön mit sich selbst zu tun.

Daheim ist es nicht besser als in der Schule: Die Mutter nervt und der Vater ist weit weg, lebt seit Jahren in Rom, weil er "Stunk an verschiedenen Fronten" hatte. Darin ist er seiner Tochter nicht unähnlich. Dabei ist die 17-jährige Bet, von der alle sagen, sie sähe aus wie eine junge Apachin, keine Angehörige der "Null-Bock"-Generation: Bet ist tapfer und engagiert und bringt sich gerade deshalb immer wieder in Schwierigkeiten. Als sie eine alte Frau vor der Delogierung rettet, landet sie auf der Polizeiwache – einmal mehr hat sie es nicht geschafft, ihren Mund zu halten.

Schluss mit lustig

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Mit der schwangeren Viola und ihrem Kumpel Andrea treten Freundschaft und das Interesse für Literatur in ihr Leben. Literatur, die ebenso widerborstig ist wie Bet selbst: Boris Vians mutiges Chanson vom "Déserteur" kommt gerade rechtzeitig. Als ihrer Mutter die Kündigung angedroht wird, unterstützt Bet sie mit einer Streikaktion. Nachdem diese ein gewaltsames Ende findet, ist Schluss mit lustig: Bet empört sich! Sie empört sich über diese Welt, über dieses "Volk von Durchgeknallten", über die Chancenlosigkeit junger Menschen und sie wird einen ungewöhnlichen Weg für ihr Engagement wählen.

Der dritte Jugend-Roman des 1973 in Turin geborenen Autors Christian Frascella ist ein Plädoyer für Engagement. In Italien wurde das Buch 2011 veröffentlicht, als die weltweite Bewegung der "Empörten" auf dem Höhepunkt war. Auch die deutsche Übersetzung ist am Puls der Zeit, denn die Krise hat Europa weiterhin fest im Griff.

Die Jugendarbeitslosigkeit erreichte 2014 in Italien mit 41,6 Prozent den höchsten Wert seit Beginn der Erhebungen. Besonders die Industriestadt Turin leidet unter wirtschaftlicher Perspektivenlosigkeit. Früher pilgerten arbeitsuchende Junge in das Zentrum der Autobauer. Nach der Fusion von Fiat und Chrysler 2014 verlegt der italienische Autohersteller seinen Firmensitz nach London und die Piemontesische Stadt ist weiter angeschlagen.

Fabriksarbeiter

Christian Frascella weiß, wovon er schreibt: Er war selbst einst Fabriksarbeiter. Sein Erstling mit dem seltsamen Titel "Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe" zeichnete das hinreißende Porträt eines jugendlichen Antihelden voll Trotz und Macho-Sprüchen. Mit "Bet empört sich" liefert er den Roman zur Krise ab und gibt deren jungen Leidtragenden eine Stimme.

KURIER-Wertung:

24 Jahre nach "Sofies Welt" nun wieder große Philosophen für Junge. Die Herangehensweise ist etwas banal: Ein unkonventioneller Lehrer erklärt Platon und Co mit, erraten, unkonventionellen Methoden.

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Die Sprache wirkt bemüht. Hier sagen die Jugendlichen tatsächlich noch "LOL". Gelungen sind die Themenkreise. Und endlich finden auch Hannah Arendt und Julia Kristeva den ihnen zustehenden Platz in dieser vermeintlichen Männerdomäne.

KURIER-Wertung:

Interessanter Gedanke: Tagebuchschreiben ist angeblich nichts für Burschen. Für erwachsene Männer schon.

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Der 13-jährige Halbwaise Kos setzt sich über dieses Dogma hinweg. Er hat zu viel auf dem Herzen, um es in sich zu behalten. Alles muss raus. Sein Vater hatte gerade einen Herzinfarkt, seine drei Schwestern haben einen Vogel und seine Klassenkameradin Isabel ist das schönste Mädchen, das es gibt. Sjoerd Kuyper findet den richtigen Ton.

KURIER-Wertung:

Die dreiäugige Billie reist mit einer Wahrsagerin und einer Schlange namens Putzi durch die Welt der Varietés und gerät in die Fänge eines SS-Offiziers.

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In der Nazizeit ist es eine Überlebensfrage für "Freaks", wie sich die Zirkus-Leute selbst nennen, ob man sie für Künstler oder "Krüppel" hält. Die 1944 in Klosterneuburg geborene Monika Pelz erzählt aus ungewöhnlicher Perspektive von der NS-Zeit. In knappe 136 Seiten verpackt sie zur spannenden Story klug recherchierte Details.

KURIER-Wertung:

Die fünfzehnjährige Carey und ihre Schwester leben mit ihrer Mutter in einem Wohnwagen inmitten eines Naturschutzgebietes.

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Das Credo der Mutter: Stehlen ist umsonst, wenn man sich nicht erwischen lässt. Wenig fürsorglich, aber sie ist ohnehin selten da. Und doch empfindet Carey dieses Leben als Zuhause. Als ihr Vater die Mädchen zu sich holt, müssen sie sich erst daran gewöhnen, wie sich ein "vernünftiges" Leben anfühlt. Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis.

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