Kultur

Netrebkos Nacht im Museum, Teil 2

Darf man es ganz salopp formulieren? Ja, sie macht tatsächlich den großen Unterschied aus. Sie, das ist Anna Netrebko, die aufgrund ihrer künstlerischen und stimmlichen Qualitäten auch eine simple Wiederaufnahme in den Rang einer Opernpremiere von Weltformat erheben kann.

So geschehen im Großen Festspielhaus, wo Anna Netrebko wieder die Leonora in Giuseppe Verdis Reißer "Il Trovatore" gibt. Doch was heißt schon geben? Die russische Sopranistin singt diese Partie nicht einfach, sie ist diese unglückliche, zwischen zwei verfeindeten Männern stehende Frau, die um ihrer Liebe treu zu bleiben, letztlich den Gifttod wählt.

Wunschloses Glück

Wie schon bei der Premiere 2014 liefert Netrebko eine Leonora ab, die ihresgleichen sucht. Wunderschöne Koloraturen, makellose Spitzentöne, traumhafte Legato-Bögen, perfekte Register-Übergänge, eine unendlich schöne Tiefe und hinreißende Lyrisem – Netrebkos in allen Lagen fabelhafter, inzwischen auch wunderbar samtener Sopran lässt keine Wünsche offen. Dass diese Ausnahmekünstlerin zudem auch noch darstellerisch alles gibt, dass sie eine Frau aus Fleisch und Blut auf die Bühne bringt, mit der man mitfiebert und mitleidet, macht Netrebkos Leistung noch einzigartiger. Diese Sängerin braucht den Vergleich mit den ganz großen Leonora-Interpretinnen vergangener Tage nicht zu scheuen. Im Gegenteil!

Dabei hat sie es in dieser Salzburger Produktion alles andere als leicht. Und das ist der Regie und der Ausstattung von Alvis Hermanis anzulasten. Denn dieser hatte zwar eine theoretisch spannende Idee für Verdis wirres Drama um Liebe, Hass, Eifersucht und Rache, die in der Praxis aber auch im zweiten Jahr nicht aufgeht.

Hermanis siedelt das Geschehen in einem Museum der Marke Kunsthistorisches oder Prado an. Alle Protagonisten der Oper (mit Ausnahme von Manrico) sind Museumsangestellte, die von Eva Dessecker in wenig vorteilhafte Kostüme gesteckt wurden. In diesem Museum – beeindruckend die riesigen Reproduktionen berühmter Gemälde von Tizian über Botticelli, Raffaello bis Leonardo – flanieren Touristen vorbei, träumt sich die biedere Museumswärterin Leonora in die Welt des Troubadours hinein.

Braves Bildergeschiebe

Das hätte an sich durchaus Charme, würde Hermanis die diversen Zeitebenen miteinander verbinden oder irgendetwas aus diesem Gedanken machen. Doch das ist nicht Fall. Denn da stehen in Tizian-Rot gewandete Rebellen neben heutigen Menschen, da schauen die einen den anderen zu, ohne, dass es einen tieferen Sinn ergäbe. Die angedachte Verschränkung der Zeiten funktioniert nicht. Dafür schiebt Hermanis die diversen Bilder munter hin und her. Auf eine stringente Personenführung verzichtet diese Inszenierung dafür völlig. Übrig bleibt ein museales Steh-und Gehtheater, auch der eigentlichen Geschichte verweigert sich Hermanis.

Das Salzburger Publikum aber hat sich scheinbar an diese Interpretation gewöhnt. Im Gegensatz zum Vorjahr wurde auch Hermanis in den finalen Schlussjubel ohne irgendwelche Proteste miteinbezogen.

Absolut zur Recht bejubelt wurden dagegen Netrebkos Mitstreiter. Etwa der ausgezeichnete, fein phrasierende und auch dem gefürchteten "Di quella pira" gewachsene Tenor Francesco Meli, der den Manrico nicht brüllt, sondern tatsächlich auf Linie singt. Und das ist bekanntlich keine Selbstverständlichkeit. Ähnliches gilt auch für seinen Bühnen-Gegenspieler Graf Luna, der wiederum souverän und mit kernigem Bariton von Artur Ruciński gegeben wird, der diese Partie bereits 2014 von Plácido Domingo übernommen hatte. Ein schon damals sehr kluger Sängertausch.

Furiose Rache

Ganz neu im Museum ist hingegen Ekaterina Semenchuk als rachsüchtige Zigeunerin Azucena. Die Mezzosopranistin singt diese Rolle sehr expressiv, mit höchster Dramatik und einem vokalen Furor, der in den Bann zieht. Die kleineren Partien sind mit Adrian Sâmpetrean (Ferrando), Diana Haller (Ines), Matthias Winckhler (alter Zigeuner) und vor allem mit Bror Magnus Tødenes (Ruiz) adäquat besetzt; die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger)agiert ebenfalls stets solide.

Gleiches lässt sich über Dirigent Gianandrea Noseda sagen, der am Pult der animierten Wienert Philharmoniker aber ruhig noch mehr Akzente setzen darf. Noseda ist vor allem um die Balance zwischen Bühne und Graben bemüht, nimmt nicht immer ganz plausible Tempi, spult Verdi eher routiniert herunter. Da gelingen viele Passagen gut, andere aber bleiben Stückwerk. Egal, denn die Netrebko macht ja ohnehin den Unterschied aus.

KURIER-Wertung: