Nachts im Museum: All-Star-"Parsifal“ in München
Der Maler und Bildhauer Georg Baselitz (80), einer der größten Stars der internationalen Kunstwelt, sagte vor dem neuen „Parsifal“ an der Bayerischen Staatsoper, für den er das Bühnenbild entworfen hatte, sinngemäß: Er wünsche sich, dass die Besucher während der Aufführung einschlafen. Abgesehen davon, dass dieser Gedanke der Transzendenz, des Eintauchens in andere Geisteszustände, nicht neu ist: Dieses Vorhaben ist ihm gelungen. So betrachtet geriet die Premiere von Richard Wagners Bühnenweihfestspiel zum veritablen szenischen Erfolg.
Jenseits von erkenntnistheoretischen Debatten kann man über diese Inszenierung aber auch sagen: Sie ist schrecklich fad. Was vor allem die Schuld von Regisseur Pierre Audi ist, bei dessen Arbeit man den Eindruck hat, er sei vor dem Werk der großen Künstler (Baselitz und Wagner) erstarrt. Wie in einem Museum sind die Bühnenbild-Elemente hier ausgestellt und brüllen: Fass’ mich nicht an, sonst geht die Alarmanlage los. Der Regisseur war hier mehr Museumswärter als Analytiker.
Was diese Neuproduktion in München aber auch dokumentiert: Ein All-Star-Team ist noch kein Garant für einen durchschlagenden Erfolg. Mehr Stars als bei dieser Premiere wird man selten vereint sehen. Aber Südkorea gibt es offenbar auch in der Oper.
Die Werkschau
Dennoch ist die optische Qualität dieser Produktion grandios – nichts anderes hätte man bei Baselitz als Bühnenbildner auch erwartet. Die zwei Montsalvat-Akte sind mit einer Skulptur im Zentrum und Bäumen wie Scherenschnitte gestaltet. Klingsors Burg ist ein gemalter Vorhang, den Zaubergarten gibt es nicht. Andere Zwischenvorhänge wirken wie Zitate aus Baselitz’ „Helden“-Serie, mit auf den Kopf gestellten Figuren. Und am Ende sind auch die Bäume umgedreht – wie bei seinem berühmten Bild „Wald auf dem Kopf“.
Baselitz hat sich definitiv über Jahrzehnte intensiv mit Wagner beschäftigt. Aber diese Arbeit ist wie eine Baselitz-Werkschau und zu wenig Auseinandersetzung mit dem Komponisten. Ein Parselitz bestenfalls, kein „Parsifal“.
Angesichts des künstlerischen Gewichts kann man jedenfalls leicht in Ehrfurcht erstarren – das ist hier szenisch passiert. So eine Stehpartie sieht man selten. Der zweite Aufzug spielt überhaupt nur auf den ersten paar Metern der Bühne. Auch der (sehr gute) Chor ist extrem statisch. Es gibt keinen Gral, der Speer ist ein Staberl. Für die erste Verwandlungsmusik braucht es einen Vorhang. Bei der zweiten gibt es den visuell besten Moment, wenn sich der sieche Gralskönig Amfortas mit seinem Gefolge noch einmal mit Krücken aus den Tiefen der Unterbühne herauf schleppt.
Die genannten Einwände sind nun freilich kein Plädoyer gegen das Engagement bildender Künstler als Bühnenbildner, im Gegenteil. Aber es braucht dazu kühnere Regisseure, ergänzend und auch widersprüchlich zur Bekunstung, damit diese ja nicht museal wird. Audi hat es schon mehrfach versucht, wieder ist es nicht gelungen.
Der Dirigent
Musikalisch hingegen ist dieser Abend herausragend. Kirill Petrenko, der Wagners letzte Oper zum ersten Mal dirigierte, sorgt mit dem fabelhaften Bayerischen Staatsorchester für eine denkwürdige Interpretation. Jedes Detail der Partitur ist höchst präzise umgesetzt, jede Preziose hörbar, die Farbenpracht phänomenal. Auch das Zusammenspiel mit den Sängern wird man kaum besser erleben. Bei Petrenko muss niemand forcieren, jede Phrase macht Sinn, bei ihm können die Protagonisten sogar flüstern. Er ist ein Garant, dass es kein anderorts übliches Wagner-Gebrüll gibt. Er räumt dem Werk jedes Pathos ab, die auf genauem Quellenstudium basierende Gestaltung steht im Zentrum. Allerdings gibt es dadurch kaum große Bögen, keinen Klangrausch, den „Parsifal“ auch verträgt. Hier geht es um die Essenz und nicht um die Droge Musik oder die Metaphysik. Man kann über die überpräzise, fast wissenschaftliche Interpretation streiten, nicht aber über deren Qualität.
Die Sänger
Auch die Besetzung ist ein Juwel. Jonas Kaufmann beeindruckt als Parsifal mit seinem traumhaften Timbre, so dunkel wie der Bühnenwald, mit schöner Phrasierung und einem durchaus kraftvollen „Nur eine Waffe taugt“. Man hat diese Partie von ihm aber schon mächtiger, ausdrucksstärker gehört (leider ist er ja immer sein eigener und somit der einzige Maßstab). René Pape ist ein nobler, markanter, wortdeutlicher Gurnemanz. Wolfgang Koch singt den Klingsor exzellent und hat – wie die meisten anderen auch, vor allem die Blümenmädchen in ihren Fatsuits – das Pech, ein schreckliches, comicartiges Kostüm tragen zu müssen. Nina Stemme singt die Kundry berührend und mit vielen Attacken, ist jedoch als Figur ungeführt. Christian Gerhaher ist als Amfortas der Beste. Mit perfekter Diktion und facettenreicher Gestaltung wie beim Liedgesang zeichnet er das Porträt eines bemitleidenswerten, sich jedoch auch in eben diesem Mitleid suhlenden, liebevollen wie zynischen Machthabers.
Sänger und Dirigent wurden bejubelt, Regisseur und Bühnenbildner ausgebuht. Selbst das (teilweise) Scheitern ist hier qualitätsvoller als andernorts ein großer Erfolg.