Kultur

Mythos Star-DJ: Wie Avicii lebte, was DJs tun - und verdienen

Die allmorgendliche Fallhöhe muss gewaltig sein.

Star-DJs wie Avicii, dessen Tod am Freitag weltweite Bestürzung ausgelöst hat, David Guetta, deadmau5 oder Calvin Harris bringen Abend für Abend zehntausende Menschen zum Tanzen. Gefeiert werden zwischen Las Vegas und Ibiza laserlichtbefeuerte Großraumpartys – beklatscht und bewundert von zahlreichen kreischenden Fans. Ständig im Mittelpunkt, aber trotzdem alleine. Denn die neuen Superstars im Musikgeschäft sind Alleinunterhalter, die keine Band, keinen Techniker brauchen, ja nicht einmal ein Instrument mitschleppen müssen. Sondern sie fliegen alleine, meist im Privatjet und mit einem fix vorprogrammierten DJ-Set (meist auf zwei Datensticks gesichert), von Auftritt zu Auftritt. Manchmal sind es mehrere pro Tag – so auch bei David Guetta, der bei seinem letzten Wienbesuch unmittelbar vor dem Auftritt eingeflogen wurde, auflegte und gleich nach Konzertende wieder zu einem anderen Gig abhob. Dank Privatjet schafft man drei verschiedene europäische Städte pro Nacht.

Wie die Soundtrackgeber zur Party, zur Maturareise oder Hochzeitsfeier aussehen, wer sie sind, ist Nebensache. Sie sind Weltstars, die den Vorteil haben, dass sie für gute Laune sorgen – aber kaum jemand kennt ihr Gesicht. Wer am Freitagvormittag auf der Straße ein Avicii-Foto gezeigt hätte, dem wären viele ahnungslose Gesichter begegnet.

Die Gesichter zur Musik halten andere hin – die gerne mitgesungene Stadionhymne „A Sky Full of Stars“ wird Coldplay zugesprochen, „Girls Gone Wild“ ist „von Madonna“. Dass bei beiden Avicii federführend war, hat kaum jemand präsent.

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Ungeklärter Tod

Diese Mischung aus Ungreifbarkeit, Gute-Laune-Musik und Millionenverdienst macht den Star-DJ zum Mythos. Und der wird noch verstärkt, wenn – wie im Falle Avicii – jemand unter nichtöffentlichen Umständen stirbt.

Dabei klingt es nach einem sehr modernen, mythendurchtränkten Star-Leben, das scheinbar viel Beneidenswertes hat. Aber Ruhm und Erfolg werden allzurasch zur Glückskatastrophe. Die Brutalität des Pop-Business, das ständig nach einem neuen Superlativ sucht („Hard, Better, Faster, Stronger“, meinten schon Daft Punk) rückt nun im Umfeld des Todes von Avicii ins Rampenlicht.

„Es war ein Leben unter Starkstrom. Ich hatte keine Zeit darüber nachzudenken, ob mir das Leben auf Tour auch gefällt. Ich war acht Jahre lang unterwegs“, hatte Avicii alias Tim Bergling über seine rasante Karriere berichtet. Als er die Reißleine zog, war er – durch Alkoholkonsum und Mörderstress – körperlich schwer angeschlagen.

Dabei ist die Arbeit des DJs bei vielen, die lieber andere Musikrichtungen hören, als Kinderspiel verschrien, als „Money For Nothing“, wie die – sorry – Dire Straits schon in den 1980ern sangen. Denn es ist nicht allen ganz klar, was zum Beispiel ein David Guetta hinter zwei DJ-CD-Playern und einem Mischpult auf der Bühne eigentlich so macht. Drückt er bloß auf „Start“ und tut dann so als ob er zwei Tracks ineinander mischen würde? Ist das alles nur Show und Playback?

 

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Für den Hochkulturfreund ist der DJ vielleicht mit dem Dirigenten vergleichbar – er ist Dirigent der Publikumsstimmung und steuert mit seiner Songauswahl die Gesamtperformance, die bei DJ-Sets aus Musik, Lichtshow und Publikumsreaktion besteht.

Lieb wacheln

Längst hat das mit der Wurzel des Namens – Disc Jockey, also der, der Scheiben jongliert – nichts mehr zu tun: Die Musik kommt aus dem Laptop oder wird via USB-Stick gereicht; meist haben die DJs dann noch gewisse Effektgeräte, mit denen sie dann das obligate Bass-Rein-Raus-Spiel betreiben.

Begleitend zur abschnurrenden Musik hat sich so mancher DJ auch optische Kommunikationssignale überlegt, die durch ihre Einfachheit bestechen (sollen): David Guetta formt sehr gerne ein Herz mit seinen Fingern, viele DJs haben sich Marken-Wachelgesten überlegt, und deadmau5 hat, man errät es, einen überdimensionalen Micky-Maus-Kopf auf.

 

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Der DJ-Job scheint daher vielen Genrefremden der leichteste Weg zum großen Geld. Die Wahrheit ist natürlich eine andere. Wer schon mal einer auch nur kleinen Gruppe von Menschen mit Musik Partylaune zu verschaffen versucht hat, weiß, dass selbst die Mix- und Remixaspekte des Auflegens keine simplen sind.

Baukastenprinzip

Die wahren Stars des Genres – es ist eigentlich keine Szene mehr, weil absoluter Mainstream – aber sind mehr als jene Party- und Club-DJs, die „nur“ fremde Musik abspielen. Avicii war, wie etwa auch David Guetta, Produzent und Komponist, der mit zahlreichen anderen Musikern Welthits produziert hat. Popgrößen wie Rihanna und Kanye West stehen Schlange, um von den DJs ihre Songs aufmöbeln zu lassen.

Diese entstehen meistens nach einem Baukastenprinzip. Zu wuchtigen Beats werden eingängige Melodien, die sogenannten Hooks, geliefert, die stets Ohrwurmpotenzial haben.

Drei Sekunden reichen, und Sie werden einen Hit von Avicii erkennen – was insbesondere in Zeiten des Streamings, in denen Einzelsongs sofort die Aufmerksamkeit erreichen müssen, unbedingt notwendig ist. Dass man viele der Nummern nach ebenso kurzer Zeit wieder glaubt vergessen zu haben, ist nebensächlich: Man kennt diese Musik, auch wenn man sie nicht benennen kann. Dem Genre wurde das Etikett Electronic Dance Music (EDM) gegeben. Und wo EDM draufsteht, strömten die Massen hin. In Las Vegas haben Calvin Harris&Co deswegen mittlerweile eine ähnliche Rolle wie einst Tom Jones und Céline Dion – die Casinobetreiber zahlen ihnen Millionen dafür, dass sie an mehreren Wochenenden im Jahr die Tanzflächen der hauseigenen Clubs zum Kochen bringen.