Minus 199 Milliarden Euro: Coronakrise beutelt europäische Kulturwirtschaft
Die Auswirkungen der Coronakrise auf die europäische Kreativwirtschaft sind massiv. Um 31 Prozent gingen im vergangenen Jahr die Einnahmen zurück, das Minus betrug in den 28 Ländern der EU (inkl. Großbritannien) insgesamt 199 Mrd. Euro, wie eine Studie der Beratungsfirma EY im Auftrag des europäischen Dachverbands der Verwertungsgesellschaften GESAC zeigt. Damit wurde die Branche härter getroffen als Tourismus- (minus 27 Prozent) oder Automobilindustrie (minus 25 Prozent).
Auch gibt es kaum einen Teilbereich, der nicht von der Coronapandemie in Mitleidenschaft gezogen wurde. Am größten fielen die Rückgänge in den Sparten Darstellende Kunst (minus 90 Prozent bzw. minus 37 Mrd. Euro) sowie Musik (minus 76 Prozent bzw. minus 18 Mrd. Euro) aus. Die Bildende Kunst musste einen Umsatzeinbruch von 38 Prozent respektive 53 Mrd. Euro verkraften. Einzig die Videospielindustrie konnte im Vorjahr ein leichtes Plus von neun Prozent bzw. zwei Mrd. Euro verbuchen. Der Gesamtumsatz der Kreativwirtschaft brach Ernst & Young (EY) zufolge von 643 Mrd. Euro im Jahr 2019 auf 444 Mrd. Euro ein.
Bei der Musiksparte war und ist allen voran der Livesektor betroffen, der letztlich auch für die Tantiemenausschüttung zentral ist. "Es muss die Frage gestellt werden, ob man Österreich als Kunst-, Kultur- und Musikland erhalten will oder nicht", erklärte Peter Vieweger, Präsident der österreichischen Verwertungsgesellschaft AKM, gegenüber der APA. Trotz der wirtschaftlichen Bedeutung der Branche werde man oft "zu wenig ernst genommen". Zwar habe es seitens der Regierung verschiedene Maßnahmen zur Linderung der Krise gegeben, diese seien aber nicht immer treffsicher. "Wir brauchen langfristig eine Basis, mit der man arbeiten kann." Das umfasse nicht nur das Livegeschäft, sondern allen voran auch die Musikerziehung, die aus Viewegers Sicht viel stärker gefördert werden müsse.
Für die AKM, die 27.000 Mitglieder hat, bedeutet das Vorjahr jedenfalls einen Umsatzverlust von 25 Prozent und damit einhergehend ein Minus in der Verteilungssumme von fast 30 Prozent, so Generaldirektor Gernot Graninger. Wer stark auf Tantiemen aus dem Medienbereich setzen kann, komme womöglich mit einem blaue Auge davon. Aber für wen Liveauftritte zentral sind, "der steht am Rande der Existenz". An die Regierung gewandt sagte er: "Unser Wunsch bezieht sich auf nachhaltige Finanzierung aller Rechteinhaber und aller Kräfte des Musikmarktes und entsprechende Rahmenbedingungen, die uns das ermöglichen."
"Mit 2020 hat es begonnen, aber es war wohl nicht das schwierigste Jahr", meinte wiederum Musikerin Mira Lu Kovacs. "Auch ich werde es 2021 merken, wie sich das in den Tantiemen niederschlägt." Ihr wurden im Vorjahr knapp 60 Konzerte abgesagt, "irgendwann habe ich aufgehört zu zählen". Auftritte bedeuten letztlich mehr als nur Tantiemen, es gehe auch um Networking, potenzielle Folgeauftritte, Einnahmen aus dem Merchandise und vieles andere. "All diese Multiplikationseffekte fallen weg", so Kovacs, die sich für eine grundlegende Strukturänderung aussprach und etwa Versicherungen sowie Steuerkategorien als Beispiele anführte.
Eher zurückhaltend äußerte sich Graninger, was die Erholung des Marktes betrifft. "Wir rechnen mit drei bis vier Jahren, bis wir wieder auf das Niveau von 2019 kommen. Großkonzerte in Stadien wird es wohl länger nicht gehen. Wir hoffen aber sehr, dass im zweiten Halbjahr 2021 etwas passieren kann." Wie groß Konzerte dann wieder sein könnten, das sei "unheimlich schwer zu prognostizieren". An das Finanzministerium appellierte er, bei Maßnahmen wie dem Verlustausgleich auf "charakteristische Spezifika der Branchen" Rücksicht zu nehmen.
Dass die Kreativwirtschaft nicht überall in Europa gleich betroffen ist, zeigt ein weiterer Blick in die Studie, die ein deutliches Ost-West-Gefälle offenbart. Die stärksten Rückgänge sieht man in Osteuropa, wo beispielsweise Bulgarien und Estland ein Minus von 44 Prozent zu verdauen haben. Auch Ungarn, Polen, Lettland, Rumänien und Litauen sind besonders stark betroffen. Teils knapp über dem durchschnittlichen Rückgang lagen zudem Länder, in denen Liveevents einen gewichtigen Anteil der Kreativwirtschaft ausmachen - dazu zählen neben Österreich etwa Belgien, Tschechien, Frankreich oder die Niederlande, die sich mit einem Minus in der Spannweite von 30 bis 35 Prozent konfrontiert sehen.
EY führte zudem eine Umfrage durch, mit der die Bereitschaft der Bevölkerung erhoben wurde, wieder verschiedenen Tätigkeiten nachzugehen. So gaben fast 80 Prozent der rund 14.500 Befragten an, dass sie sich nach Tagen bzw. Wochen wieder beim Einkaufen wohlfühlen würden, während dies für einen Theater- oder Kinobesuch nur bei knapp 32 Prozent der Fall wäre. 46 Prozent sehen das erst wieder in Monaten gegeben. Und noch etwas zurückhaltender fielen die Antworten bei Konzerten oder ähnlichen Events aus.