Kultur

Medienrummel um einen Mord

Michael Winterbottom sucht in seinen Filmen immer den Bezug zur Gegenwart. Ob zur Manchester-Musik-Szene der 90er-Jahre in "24 Hour Party People" (2002), zu den Verhörmethoden der Amerikaner in Guantanamo ("The Road to Guantanamo", 2006), zu zeitgenössischen Pop-Songs in dem Sexaufreger "9 Songs" (2004) oder zur Ermordung des US-Journalisten Daniel Pearl ("A Mighty Heart" – "Ein mutiger Weg", 2007).

Winterbottom (Jahrgang 1961) ist ein Fixstern am britischen Regie-Himmel und profilierte sich in seiner Karriere durch Vielseitigkeit und Provokation. "Die Augen des Engels" (Kinostart: Freitag) handelt nun von jenem skandalumwitterten Mordfall in Perugia, in dem US-Studentin Amanda Knox als Mittäterin an der Ermordung an ihrer britischen Wohnungskollegin Meredith Kercher angeklagt wurde. Erst kürzlich wurde sie von einem italienischen Gericht freigesprochen. Winterbottom machte daraus einen Film über einen Mann (Daniel Brühl), der den Fall verfilmen möchte. Und scheitert.

KURIER: Als Sie "Die Augen des Engels" verfilmten – hatten Sie nicht Sorge, man würde Ihnen Effekthascherei vorwerfen?

Michael Winterbottom: Klar. Überall hieß es gleich, wir würden die Amanda-Knox-Story verfilmen. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Ich habe versucht, die Geschichte aus der Perspektive von Meredith Kercher zu erzählen. Aber Journalisten sind zynisch, denn eine Meldung mit Amanda Knox in der Schlagzeile verkauft sich besser.

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Was genau hat Sie an diesem Gerichtsfall so interessiert?

Er wurde in den britischen Medien riesig abgehandelt, aber ursprünglich habe ich ihn nur am Rande verfolgt. Dann las ich das Buch der US-Journalisten Barbie Latza Nadeau dazu und begann mich damit zu beschäftigen. Der Medienrummel war enorm, das TV voll. Ich habe mich gefragt, warum wir uns so gerne diese Mordgeschichten ansehen?

Und warum?

Schwer zur sagen. Ich glaube, es liegt nicht zuletzt daran, dass die Medien heutzutage unglaublich viel Platz füllen müssen. Es gibt 24-Stunden-Nachrichten, Online-Berichterstattung ... da braucht man dramatische Fälle, über die man endlos spekulieren kann und die sich in die Länge ziehen lassen wie eine Soap Opera. Irgendwann geht es dann nicht mehr um den Mord an Meredith und den Verlust, den ihre Familie ertragen muss, sondern darum, welche Länge der Rock hatte, den Amanda Knox bei der Gerichtsverhandlung trug und wie ihre neue Frisur aussah.

Sie enthalten sich einer klaren Meinung, wer der Mörder ist.

Weil wir nur eines genau wissen: Es gab diese junge, optimistische Frau, die eines Tages ihr Leben verlor. Aber in der Gossip-Berichterstattung geht dieser Fakt unter. Mein Film soll zum Nachdenken anregen, deswegen habe ich ihn Meredith gewidmet.

Ihre Hauptfigur, der Regisseur, leidet an einer Schreibblockade. Kennen Sie das Gefühl?

Ich finde, es ist weniger eine Schreibblockade, sondern eine generelle Lebenskrise. Der Mann steht unter Druck, endlich wieder einen Film zu drehen, hat private Probleme und vermisst seine Tochter. Ich würde sagen, es ist eine typische männliche Midlife-Crisis. Aber über diese Phase bin ich schon hinaus.

In welcher Phase sind Sie?

Ich bin in der "Ende-des-Lebens"-Krise. (lacht)

Sie haben einmal gesagt, Sie wollen politische Filme im Mainstream-Kino machen.

Ich will einfach Filme über Dinge machen, die mich interessieren. Das kann eine Literaturverfilmung sein, eine Komödie über zwei Typen in den besten Jahren oder der krasse Einkommensunterschied in unserer heutigen Gesellschaft. Das Thema muss mich genug interessieren, um mich ein Jahr damit zu beschäftigen. Das Problem ist dann, Geldgeber zu finden, die sich ebenfalls interessieren.

Sie drehen gerade eine politische Doku mit Russell Brand? (britischer Comedian, Anm.)

Sie heißt "The Emperor’s New Cloth" und handelt von dem enormen Einkommensunterschied in unserer Gesellschaft. Die USA und England liefern wüste Beispiele. Dagegen kann man sich nur wehren, wenn man auf die Straße geht und protestiert. Und dazu ruft diese Doku auf: Schmeißt Steine durch die Scheiben, und Dinge werden sich verändern. (lacht)