Ist Servus TV überhaupt ein klassischer Privatsender?
Von Jürgen Klatzer
[Update: Das Interview entstand vor der Weiterführung von Servus TV.]
KURIER.at: Servus TV stellt seinen Betrieb jetzt doch nicht ein. Viele haben nach dem Noch-Aus von einem Verlust der österreichischen Medienlandschaft gesprochen. Was sagen Sie dazu?
Matthias Karmasin: Aus der Perspektive der Medienwissenschaft wäre ein Aus von Servus TV auf alle Fälle zu bedauern gewesen. Wenn das Red Bull Media House bzw. der Eigentümer aber der Meinung wäre, es geht sich wirtschaftlich unter diesen Voraussetzungen auch unter Einrechnung von Förderungen nicht mehr aus, dann wäre diese unternehmerische Entscheidung auch zu akzeptieren.
In der ersten Aussendung am Montag hieß es, dass die Eigentümer in der aktuellen Markt- und Wettbewerbssituation keine wirklich positive Entwicklung für den Sender erwarten. Können Private am österreichischen Markt überleben?
Es gibt einige private Medienunternehmen, die relativ solide in diesem Markt agieren. Ob es hoch profitabel ist oder nicht, sei dahingestellt.
Viele Medien schreiben Verluste und müssen Mitarbeiter abbauen.
Diese Entwicklung gibt es weltweit. Es gibt wenige Medienmärkte, die in den vergangenen Jahren Boom-Märkte waren. Wenn wir das urbane Brasilien ausschließen, gibt es nur sehr, sehr wenige Medienmärkte, in denen es für die Marktteilnehmer in den letzten Jahren sonnige Zeiten gegeben hat. Viele sogenannte Legacy Media (traditionelle Medien, Anm.) haben in den vergangenen Jahren Verluste realisieren müssen, weil Werbe- oder Vertriebserlöse eingebrochen sind.
Woran liegt es? Können sich private Medien am Markt gegen die öffentlich-rechtlichen Sender wie den ORF nicht durchsetzen?
Nun ja, wie man es sieht, der ORF startete historisch mit einem Marktanteil von 100 Prozent, jetzt steht er bei knapp einem Drittel.
Die Schlussfolgerung ist, Private teilen sich zwei Drittel des Kuchens. Viele Medienunternehmen kommen aber nicht aus Österreich, sondern aus Deutschland, der Schweiz oder anderen Ländern.
Ja, das kann man so sagen und darüber muss man auch diskutieren. Im Fall von Servus TV kann man sagen, dass der Markt zu klein ist. Der Sender konzentriert sich auf österreichspezifische Inhalte. Dafür gibt es nur einen relativ beschränkten Werbemarkt.
Und um diesen streiten sich mehrere Medienunternehmen. Kann sich Qualität nicht durchsetzen?
Das sehe ich differenziert. Zum einen ist es der kleine und konzentrierte Markt, der eine Positionierung in Österreich sehr schwierig macht. Zum anderen sind es aber auch Abstrahleffekte, weil wir gleichsprachige Nachbarn mit sehr vielen Fernsehvollprogrammen haben. Diese sind medienökonomisch potenter und bestehen auch im Qualitätsbereich, siehe ARD, ZDF, Arte oder 3sat.
Ist Servus TV überhaupt ein klassischer Privatsender?
Ich bin der Meinung, dass Servus TV eine Corporate Publishing-Initiative ist. Ist es wirklich das Ziel, einen Fernsehsender am Markt zu etablieren, der sich über Werbung refinanziert?
Dietrich Mateschitz will Ihrer Meinung nach etwas anderes?
Für gewöhnlich produzieren Private Reichweiten, um ihr Programm durch Werbeerlöse zu refinanzieren. Beim Corporate Publishing (Unternehmenskommunikation mit eigenen Medien, Anm.) ist das nicht der Fall. Es geht hier um Image-Effekte, um Reputation, die Produktion von Öffentlichkeit. Das kann schon mal was kosten, es wird als Investment angesehen. Eine Kundenzeitung eines Unternehmens oder das Bordmagazine im Flugzeug rechnet sich am Markt ja auch nicht, obwohl es qualitativ hochwertige Produkte sind. Hier sind teilweise ja auch Edelfedern zugange.
Und was will Servus TV?
Ich bin der Meinung, dass das Kerngeschäft von Red Bull weiterhin der Verkauf von Energy Drinks ist. Das Rundherum hilft nur der Reputation des Unternehmens.
Hätte das Servus-TV-Aus nicht die Reputation von Red Bull beschädigt?
Ich vermute, dass das Red Bull Media House einen anderen Plan verfolgt. Servus TV wird früher oder später in das Red Bull Global TV überführt, was es ja als Red Bull TV schon als App für mobile Endgeräte gibt. Mateschitz hat immer gesagt, der Sender sei sein Experimentierfeld, um auszuprobieren, was im Medium Fernsehen möglich ist.
Wirtschaftlich rechnet sich das Fernsehen offenbar nicht. Welche Konsequenzen muss die Medienpolitik in Österreich ziehen?
Gesellschaft und Politik müssen sich überlegen, wie Medien in einem kleinen Markt mit beschränkten Möglichkeiten wirtschaftlich erfolgreich und politisch unabhängig agieren können. Wie können wir Medien als Infrastruktur der Mediendemokratie so organisieren, dass sie möglichst qualitätsvoll und vielfältig sind?
Welche Antwort haben Sie?
Wir müssen das System der Förderung, wie sie jetzt organisiert ist, überdenken. Stichwort Haushaltsabgabe, Stichwort Werbeabgabe - es laufen ja gerade die Finanzausgleichsverhandlungen -, Stichwort Änderung der Presse- und Publizistikförderung hin zu einer Medienförderung. Warum unterstützt unser System beispielsweise nicht auch qualitativ hochwertige Digitalangebote?
Die Diskussionen über eine Medienförderung sind nicht neu.
Ich denke, obwohl ich als Wissenschaftler eher skeptisch bin, der Stellenabbau bei NZZ.at könnte unter Umständen zu einem Denkanstoß in der Politik führen. Zu hoffen wäre es.
Zur Person: Matthias Karmasin ist Professor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Klagenfurt. Er lehrte an der Wirtschaftsuniversität Wien, der University of Vermont/Burlington, der University of Tampa/Florida sowie 2001 am IAK der Universität Karlsruhe. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Medienökonomie und Medienethik. Seine Publikationen finden Sie hier.