TV-Doku: "Einige Frauen fühlen sich wie nach einer Zeitreise in die 50er“
Von Christoph Silber
Als Schauspielerin und Moderatorin ist Collien Ulmen-Fernandes bestens bekannt. Einen Namen hat sich die Mutter einer Tochter (8) indes auch mit ihren Dokus gemacht. Mit "Familien allein zu Haus“ über den Alltag in Pandemie-Zeiten zeigen ZDFneo (19.30 Uhr) und die ZDF-Mediathek die dritte Familien-Doku der 38-Jährigen.
KURIER: Wie kam es zu "Familien allein zu Haus“?
Collien Ulmen-Fernandes: Wir waren eigentlich in der Vorbereitung für ein anderes Projekt. In den diversen Telefonkonferenzen dazu haben wir aber nur noch über Corona und die Auswirkungen aufs tägliche Leben gesprochen, darüber, was wir mit den Kindern tun oder welche Schul-App wer warum benutzt usw. Das hat uns alle so beschäftigt, deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir doch auch dazu eine Doku drehen könnten. ZDFneo hat dann ganz spontan ja gesagt. Am Karsamstag begannen die Dreharbeiten.
Wie sehr sind Sie in die redaktionellen Belange involviert gewesen?
Da bin ich sehr stark involviert, denn mir ist es wichtig, dass wir unterschiedliche Familien-Modelle zeigen können. Die Kinder der gezeigten Familien sind zwischen 2 und 15 und dementsprechend sind die Herausforderungen für die Eltern recht unterschiedlich. Ergänzt wird das durch mehrere Gespräche mit Experten, in denen ein breites Spektrum an Themen, die diese Ausnahmesituation nach sich zieht, von Einsamkeit bis hin zu häuslicher Gewalt, behandelt wird. Laut offiziellen Informationen ist die Zahl der Fälle von Gewalt gegen Frauen um das Dreifache angestiegen.
Es haben die Familien sich selbst dokumentiert. Wo liegen die Schmerzpunkte, die sich aus deren Material ergeben haben?
Die sind sehr unterschiedlich. Wir haben beispielsweise eine deutsche Familie mit einem Kleinkind dabei, die in Rom lebt und dieser Situation schon sehr viel länger ausgesetzt ist als wir. Dort darf man nicht einmal spazieren gehen und wer es versucht, wird von der Polizei zurückgeschickt. Das ist aber einem Kleinkind nur schwer zu erklären. Und so ist jede Familie, jeder Mensch, in einer anderen Situation und anderen Beanspruchungen ausgesetzt. Da gibt es Singles, die vielleicht mehr Kontakte möchten und dann gibt es Familien, in denen man sich ein paar Minuten Alleinsein wünscht.
Teil der Doku sind auch die Gespräche mit den Experten.
Ich bin, schon aufgrund meiner persönlichen Situation, mit einem großen Fragenkatalog zu diesen Gesprächen gekommen. Ein Beispiel: Wie berechnet man in dieser Situation die Medienzeit für Kinder - sie lernen am Computer, machen Homeschooling und dann gibt es noch Videotelefonie mit Oma und Opa. Aber natürlich wollen sie auch fernsehen oder ein Computerspiel spielen. Das ist alles in allem ganz schön viel Bildschirmzeit und es sollte ein Kind im Alter meiner Tochter eigentlich nur 45 Minuten täglich davon haben. Hier rät die befragte Expertin zu unterscheiden zwischen aktiv vor dem Computer verbrachter Zeit und der passiven, da hier auch unterschiedliche Hirnareale angesprochen werden. Das sind so Fragen, die sich einfach aus dieser neuen Situation heraus ergeben und Eltern beschäftigen.
Eine Frage, die Ihnen am Herzen liegt, ist jene, wie sich das Rollenverständnis nun verändert. Wie wirkt Corona hier?
Da gibt es natürlich noch keine validen Daten. Es zeichnet sich aber ab, dass es in der Krisensituation erneut vermehrt die Frauen sind, die sich um Haushalt, Homeschooling etc. kümmern und das oft noch in der Doppelbelastung mit Homeoffice. An dem Punkt, meint unser neurobiologischer Fachmann, ist es an der Zeit für Nachverhandlungen. Dazu schreibt man auf, welche Aufgaben nun anfallen und verteilt sie neu und gerecht. Ich habe einige Male gehört, dass sich Frauen fühlen, als hätten sie eine Zeitreise in die 50er Jahre gemacht, weil sie wieder für alles alleine zuständig sind.
Mussten Sie sich zu den Drehs überwinden? Sie haben ja auch eine Vorerkrankung.
All das, was man sieht, findet und fand unter gegebenen behördlichen Vorgaben und Auflagen statt. Die Interviews mit Experten wurden draußen geführt. Am Set war natürlich Mundschutz und Abstand angesagt. D. h. jeder hatte seinen zugewiesenen Platz, ich stand jeweils drei Meter entfernt von den Interviewpartnern, und man bewegte sich von dort auch nicht weg. Das Mikro steckte man sich selbst an und man bekam ein Zeichen, wenn man abgepudert werden musste. So finden derzeit solche Drehs statt.
Hat Corona und diese Ausnahmesituation auch mit Ihnen selbst was gemacht?
Ich bin etwas romantisch-verklärt hineingegangen. Viele wünschen sich ja mehr Zeit mit der Familie. Ich dachte, ich könnte jetzt ganz viel abarbeiten, von dem was man sich schon lange vorgenommen hat – ich habe tatsächlich nichts davon gemacht, weil ich im Kopf so okkupiert war. Mich hat das Thema Corona innerlich unglaublich aufgewühlt. Ein Experte hat das mit dem Bild vom Stehen im Stau verglichen – da hat man auch viel Zeit, aber es fühlt sich nicht gut an. Denn man hat sich das ja nicht selbst ausgesucht und man weiß auch nicht, wie lange das noch andauert. So wird das eine sehr belastende Form des Zeithabens. Diese zwangsentschleunigte Situation fühlt sich nur selten gut an. Das hat auch dazu geführt, dass ich in der ersten Zeit, als es möglich gewesen wäre den Schrank auszumisten, gar nicht in der Lage dazu war.
Diese Doku ist die dritte Familiendoku von Ihnen. Sie haben sozusagen eine Nische für sich gefunden. Hat sich das aus der eigenen Situation als Mutter so ergeben?
Bei „No more boy and girls“ hatte ich davor schon ein Buch dazu geschrieben. Die Anfrage des ZDF, ob ich nicht eine Dokumentation dazu machen möchte, kam dann zufällig und war natürlich eine tolle Sache, weil ich mich schon sehr ins Thema vertieft hatte. Die Doku war dann auch ein großer Erfolg und man wollte weitermachen. Dann kamen die „Helicopter-Eltern“ und nun „Familien allein zu Haus“. Ich freue mich, dass ich Themen angehen darf, die ich für relevant halte und bei denen es viele offene Fragen gibt. Ich schaue auch selbst gern Dokus, weil man für sich einen gewissen Lerneffekt erzielt. Das gilt auch für das Doku-Machen, das ist für mich jedes Mal wie eine Reise und bringt einen großen Erkenntnisgewinn.
... und es ist kein „Tussi-Job“, wie Sie es einmal formulierten.
Ich hab tatsächlich früher oft Moderationsjobs angeboten bekommen, bei denen redaktionelle Mitarbeit nicht gefragt war, wo nur vorgeschriebene Texte von einem Teleprompter abgelesen werden sollten. Das ist etwas, worauf ich gar keine Lust habe. Mir ist sehr wichtig, dass ich mich inhaltlich einbringen darf.
Wollen Sie Reporterin bleiben und das weiterentwickeln?
Total gerne. Das ist etwas, in dem ich total aufgehe. Ich bin jemand, der nur schlecht mit Ungerechtigkeiten umgehen kann - da kommt die Kämpferin in mir heraus und will etwas machen. Für meine erste Doku hab ich mir deshalb die Textilindustrie in Kambodscha angesehen, um die schlechten Arbeitsbedingungen dort aufzudecken. Das war für mich auch ein ganz besonderes Projekt.
Themensprung zum Abschluss: Sie machen auch Kinderbücher. Wird es Neues von den Otterkindern „Lotti und Otto“ geben?
Wir arbeiten gerade intensiv daran. Sonst habe ich das immer nebenbei gemacht, etwa nach Drehschluss für zwei Stunden im Hotel. Jetzt war doch mal die Zeit, gerade zu Beginn dieser Ausnahmesituation, dass ich mich damit intensiv und am Stück auseinandersetzen konnte. Das hat mich gefreut und wohl auch den Verlag (lacht). Da es doch einen gewissen Zeitplan gibt. Es sind fünf von zwölf Doppelseiten fertig und das Buch wird noch in diesem Jahr herauskommen.