Schwarzer, Wagenknecht und der Vorwurf der „Putin-Propaganda“
Von Peter Temel
* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends *
Moderator Michael Fleischhacker konnte sich einen Seitenhieb auf Markus Lanz nicht verkneifen. Dem ZDF-Moderator sei eine "false Balance" vorgeworfen worden, weil er diese Woche die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht zu Gast hatte. Sie präsentierte vor zwei Wochen ein "Manifest für den Frieden", das für Friedensverhandlungen anstatt eskalierender Waffenlieferungen an die Ukraine eintritt.
Damit vertrete sie aber eine in Deutschland relativ populäre Meinung. Fleischhacker ließ eine deutsche Umfrage einblenden, wonach 39 Prozent der Befragten den Zielen des Manifests zustimmen, 38 Prozent dagegen seien, der Rest stehe der Sache demnach eher gleichgültig gegenüber.
Das "Talk Spezial" am Freitagabend stellte die dieser Umfrage entsprechende Balance her. Wagenknecht und ihre prominente Mitstreiterin Alice Schwarzer saßen bei dem Berliner Gastspiel von ServusTV zwei Gästen mit gegenteiliger Meinung gegenüber: Der ARD-Journalist und ehemalige Moskau-Korrespondent Georg Restle und die in Odessa geborene Schriftstellerin Marjana Gaponenko. Am Jahrestag des russischen Einmarsches in die Ukraine ging es um die Frage: "Weitere Waffenlieferungen oder Friedensverhandlungen – was ist zu tun?"
Schwarzer trat als Erste zur Verteidigung des Manifests an. Sie berichtete mit leuchten Augen über die Entstehung der Idee und wie sie auf Wagenknecht gekommen sei. "Die einzige klare und mutige Stimme gegen den Krieg war Sahra Wagenknecht", sagte sie. Und dann berichtete sie übers Kennenlernen, das Texte Hin-und-Her-Schicken und darüber, dass sie nun auch per du seien. Der launige Einstieg wirkte gegenüber der vom Krieg betroffenen Ukrainerin Gaponenko etwas unpassend.
Dann sagte die Publizistin und Feminismus-Ikone Schwarzer aber bald ihren zentralen Satz: "Die Ukraine ist das Schlachtfeld der beiden Weltmächte Amerika und Russland."
Pattsituation
In den Anfängen des Krieges sei es richtig gewesen, Waffen zu liefern. Aber: "Jetzt ist es eine Pattsituation und militärisch nicht mehr zu gewinnen", meint Schwarzer. Sie sieht die Zeit für Friedensverhandlungen gekommen. Dabei beteuerte sie, das Ganze zum Schutz der Menschen in der Ukraine zu betreiben. "Ich finde die Menschen verbrecherisch, die die Ukraine in dem Wahn wiegen, Putin besiegen zu können."
Wagenknecht legte nach: "Immer nur so viele Waffen zu liefern, dass die Grenzen gehalten werden können, um dann in Jahren zu verhandeln, finde ich zynisch. Man muss jetzt verhandeln." Und wenn man nicht versuche, ein Gesprächsangebot zu machen, "kann man sich auch nicht beschweren, dass niemand darauf eingeht." Auch Wagenknecht sieht den Schlüssel zum Frieden in Moskau und Washington liegen.
"Wenn man in Krisengebiete Waffen liefert, munitioniert man einen Krieg auf. Ich möchte eine Friedensinitiative", sagte Wagenknecht. Dabei gehe es allerdings nicht um Munition und dergleichen, sondern um schwere Waffen wie Kampfpanzer oder in weiterer Folge Kampfflugzeuge. Diese würden den Krieg nur eskalieren.
Dann warf sie noch ein problematisches Statement in den Raum. Die russische Schwarzmeerflotte sei seit dem 18. Jahrhundert vor der Krim stationiert gewesen. "Dass ein russischer Präsident die Krim räumt, ohne militärisch alles in Gang zu setzen, ist undenkbar."
Zur Erinnerung: Die Ukraine ist seit 1991 mitsamt der Halbinsel Krim als souveräner Staat völkerrechtlich anerkannt.
"Unfrieden-Manifest"
Wenig überraschend legte sich der Journalist Georg Restle hier voll dagegen. "Mich macht wütend, wie sich Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer hier hinsetzen und sagen, wie die Leute in der Ukraine zu denken haben."
Er kritisierte weiter: "Das, was nicht in diesem Manifest steht, verrät den wahren Geist dieses Unfrieden-Manifests." Denn die russische Aggression werde nirgends in dem Text verurteilt. Restle sieht die beiden Initiatorinnen gar als Sprachrohr des Kreml: "In allen Ihren Erzählungen hört man die Putin-Propaganda."
Und: "Dieses Manifest erreicht das Gegenteil von dem, was es behauptet, erreichen zu wollen. Es unterschätzt die Situation Putins." Wenn man die Ukraine zwinge, aus der Position des Schwächeren zu verhandeln, erreiche man "das, was Putin will".
Schwarzer warf Restle Arroganz vor, er wolle die beiden Frauen belehren. Restle verneinte dies naturgemäß. Ihm sei aber schon vorher klar gewesen, dass der Abend kontrovers würde.
Ein bisschen verstieg sich der Journalist in seiner Kritik, als dieser die eingangs erwähnte Umfrage kleinredete. Die meisten Leute hätten das Manifest wohl gar nicht gelesen, meinte er. Frieden sei halt immer populär.
Das war natürlich ein willkommene Gelegenheit für Schwarzer, dem Journalist weiter vorzuwerfen, auf einem hohen Ross zu sitzen. "Unerträglich" nannte sie seine Argumentation ein Mal.
Moderator Fleischhacker tarierte die Debatte an sich gut aus, lieferte beiden Seiten Argumente. Am kompliziertesten war es für ihn, Schwarzer klar zu machen, dass er nicht "Fleischhauer" heiße. "Das ist der andere" (Jan Fleischhauer, konservativer Kommentator bei ServusTV), sagte er. Aber das sei auch egal.
Poetische Worte und bittere Vorwürfe
Beklemmend waren aber die Äußerungen Gaponenkos. Sie schilderte, dass sie, wenn sie in der Ukraine gewesen sei, immer zur jeweiligen Saison eine spezielle Beerenfrucht geerntet habe, um daraus, mit Honig vermischt, einen Saft herzustellen - ein Nationalgetränk. Davon sei immer reichlich da gewesen. Nach dem Ausbruch des Krieges seien diese Sträucher aber plötzlich abgeerntet gewesen. Das deutete die Schriftstellerin als Zeichen, dass sich die Ukrainer nun mit ihrem Land vernetzen würden. Da habe sie "heulen" müssen.
Aber für Schwarzer und Wagenknecht hatte sie keine poetischen Worte übrig. "Die Solidarität, die Sie bekunden, ist nur eine Floskel. Ich glaube Ihrem Mitleid keine Sekunde", sagte Gaponenko. Diese würden versuchen, den Ukrainern "ein schlechtes Gewissen zu machen – das ist nicht redlich." Obwohl sie den beiden zugestand, es sei ihr gutes Recht in einem demokratischen Staat diese Dinge zu äußern, sparte sie nicht mit drastischen Bildern: "Die Russen wollen uns vernichten und Sie wollen mit einem Mörder verhandeln, ob er uns rechts rum oder links rum zerstückelt."
Und Schwarzers These, wonach der Verzicht auf Friedensverhandlungen die Gewaltspirale weiter ansteigen lasse, beantwortete sie so: "Kein Land außer die Ukraine weiß besser, wie es zu Frieden kommen kann." Und: "Sie reden über uns, ohne uns. Wir existieren für Sie nur auf der Karte." Das finde sie „unerträglich und bitter“.
Schwarzer erklärte, Gaponenko hätte sich schon vor der Sendung vorgenommen, dies zu sagen. Dass sie es nun aufrecht halte, wo sie den Diskutantinnen gegenüber sitze, bezeichnete sie als „traurig“.
Sie und Wagenknecht hatten aber gegen Ende der Diskussion tatsächlich massive Vorwürfe gegen die Ukraine platziert. Die Staatsführung würde sich per Dekret gegen Friedensgespräche mit Putin stellen. Zudem habe man das Minsker Abkommen, das erweiterte Rechte für die russischsprachige Minderheit vorsah, gar nicht umsetzen wollen. Und sogar der Vorwurf, es gebe faschistische Politiker im Land, wurde nicht ausgelassen. Restle bezeichnete vieles davon als „Märchen“. Schon seit Langem seien in Kiew keine Ultranationalisten mehr am Werk.
Vermint
Die beiden Pole kamen einander am Freitagabend nicht wesentlich näher. Das Feld der Diskussion über den Krieg scheint ein Jahr nach seinem Ausbruch tatsächlich vermint. Der Titel des Talks deutete es auch irgendwie an: „Panzerschlacht oder Wortgefecht: Was stoppt das Sterben?“
Auch wenn Wagenknecht und Schwarzer ihre hehren Ziele beteuern. Den Vorwurf, den russischen Interessen zuzuarbeiten, konnten sie nicht glaubhaft zerstreuen.