Rundfunkrechtler: Ausschlusskriterien für ORF-Stiftungsrat ungenügend
Die parallele Tätigkeit von Petra Stolba als ORF-Stiftungsrätin und Kabinettschefin des Ersten Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Othmar Karas (ÖVP), ist "auf jeden Fall gesetzlich zulässig". Das hielt Rundfunkrechtler Hans Peter Lehofer im APA-Gespräch fest. Die Opposition ortete in der Vorwoche eine Gesetzeslücke. Lehofer kommt zum selben Schluss. Es wurde wohl auf EU-Kabinettsmitarbeiter vergessen, was aber nicht das größte Problem des ORF-Stiftungsrats sei.
2001 wurden u.a. Mitglieder der allgemeinen Vertretungskörper - Gemeinderat, Landtag, Nationalrat - von einer Tätigkeit im ORF-Stiftungsrat per Gesetz ausgenommen. "Auf das Europäische Parlament dürfte damals vergessen worden sein. 2010 wurde es ergänzt, jedoch sind die Kabinettsmitarbeiter von Europäischen Parlamentariern nicht wie auf nationaler Ebene berücksichtigt worden", so Lehofer. Keinen Hinweis gebe es, warum dem so ist. "Ich gehe von keiner strategischen Überlegung aus. Es wurde wohl darauf vergessen", sagte der Rundfunkrechtler.
Abgrenzung schwer
Die Bestimmungen im ORF-Gesetz zur Unvereinbarkeit mancher Funktionen mit einer Tätigkeit als ORF-Stiftungsrat dienen der verfassungsgesetzlich vorgesehenen Unabhängigkeit des Rundfunks. "Die konkrete Abgrenzung ist schwer anhand bestimmter Funktionen zu treffen. Manche Leute haben großen politischen Einfluss, obwohl sie keine politische Funktion ausüben", meinte Lehofer. Inwieweit Stolbas Tätigkeit im EU-Parlament administrativer und nicht politischer Natur sei - wie sie selbst erklärte -, könne er nicht beurteilen. Aber auch in Österreich ist es grundsätzlich möglich, dass Parlamentsmitarbeiter für den Stiftungsrat in Frage kommen. "Wenn jemand zum Beispiel im Legislativdienst des Parlaments tätig ist, dürfte er ORF-Stiftungsratmitglied werden."
Die Lücke in Hinblick auf EU-Kabinettsmitglieder könne nicht durch Interpretation auf Basis des geltenden Gesetzes geschlossen werden. "Man müsste rechtspolitisch überlegen, ob man EU-Kabinette gleichstellt. Ich halte das aber nicht für das größte Problem des Stiftungsrats. Die Frage ist, ob die Bestellungsform des Stiftungs- und Publikumsrats den Unabhängigkeitsansprüchen genügt", so Lehofer. Denn die Nähe von manchen Mitgliedern des ORF-Stiftungsrats zu politischen Parteien sei evident. Dennoch liege formal kein Ausschlussgrund vor.
Unzureichend
Wie ließe sich der Bestellmechanismus adaptieren, um der Unabhängigkeit des ORF gerecht zu werden? "Eine einfache Lösung gibt es sicher nicht. Man hat in Österreich probiert, durch Aufzählung von Funktionen, den Ausschluss zu schaffen und die Unabhängigkeit abzusichern. Ich halte das für unzureichend", sagte der Rundfunkexperte. Europaweit werden von öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen häufig Vorschläge von repräsentativen Einrichtungen der Zivilgesellschaft eingeholt. Dabei komme stets die Frage auf, wer die Einrichtungen sind und wer diese auswählt. "Hier wäre eine denkbare Variante, dass nicht nur die Ministerin einer Partei aus den Vorschlägen auswählt, sondern auch Personen aus Gremien, wo etwa mit Zweidrittelmehrheiten operiert wird", meinte Lehofer.
Besonders wichtig sei Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Bestellvorgangs. "Die entscheidende Frage ist, wer wählt wen auf Basis welcher Kriterien aus." Dabei werden die Politik bzw. das Parlament als Repräsentant der Gesellschaft bei einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer mitspielen. "Man soll das auch gar nicht ausschließen, nur muss sichergestellt werden, dass erstens keine automatische 'Regierungsmehrheit' in den Gremien zustande kommt, und dass zweitens Personen ausgewählt werden, die parteipolitische Loyalitäten in ihrer Gremientätigkeit hintanstellen", sagte er.
Mit der Thematik muss sich auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) befassen. Das Land Burgenland brachte im Juni eine Verfassungsbeschwerde gegen das ORF-Gesetz ein. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) ortete "Grenzüberschreitungen", die verfassungsrechtlich bedenklich, vom ORF-Gesetz aber gedeckt seien. Seiner Ansicht nach ermögliche das derzeitige Gesetz zu viel Einfluss der Regierung auf die Bestellung der Aufsichts- und Kontrollorgane des öffentlich-rechtlichen Medienhauses. "Wir werden nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshof klüger sein. Er wird dazu konkret etwas sagen müssen, wenn die Beschwerde zulässig ist", sagte Lehofer, der keine Prognose für den möglichen Ausgang abgeben wollte.