Plassnik zu Schwarzer: "Du, du, aufhören!" reicht bei Putin nicht
Von Peter Temel
Der am vergangenen Freitag in Deutschland veröffentlichte Offene Brief zum Ukraine-Krieg sorgt weiter für Diskussion. Im Kern forderten die 28 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz auf, sich für einen baldigen Waffenstillstand in der Ukraine einzusetzen, sie verurteilten deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. Zudem warnten die Künstler, Publizisten und Intellektuellen vor einem möglichen Atomkrieg mit Russland.
Die prominente Mitunterzeichnerin und Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer weilt derzeit wegen einer Filmpremiere in Wien und stellte sich am Donnerstagabend einem Streitgespräch mit Österreichs ehemaliger Außenministerin Ursula Plassnik in der „ZiB 2“ des ORF.
Es würden einander derzeit zwei Meinungen gegenüber stehen, eröffnete Schwarzer. Laut einer aktuellen Umfrage würden 45 Prozent der befragten Deutschen auf ihrer Seite stehen: Dass Deutschland „nur verteidigende Waffen“ in die Ukraine schicken sollte. Schwarzer sprach von einem „Unterschied zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung“. Diese Lücke habe man mit diesem Brief schließen wollen.
Es gehe ihr um eine Kompromisslösung. „Es ist im Interesse der Ukraine, zu verhandeln, und nicht so offensiv in die Verteidigung zu gehen“, sagte Schwarzer. Und: „Das Völkerrecht gebietet uns, der Ukraine zu helfen, aber es verbietet uns, Angriffswaffen zu liefern.“
Zu einfach
Plassnik ist diese Lösung zu einfach. „Sie haben sich geirrt“, hielt sie Schwarzer vor, „Sie hätten Ihren Brief dem russischen Präsidenten schreiben sollen, denn der führt einen Angriffskrieg.“
Es gehe hier um „Hilfe zur Selbsthilfe“, und um „Notwehr, das steht in jedem Strafgesetzbuch.“
Zu Putin zu sagen: „Du, du, aufhören!“ sei zu wenig, meinte Plassnik. Macron, Scholz, Schröder, Guterres und auch Nehammer seien nach Moskau gereist, um auf Putin einzuwirken, das habe wenig gebracht, so die Diplomatin. Der Punkt sei: „Wie gehen wir um mit einem Gewalttäter?“
„Krieg kann nur durch Verhandlungen beendet werden“
Schwarzers Replik: „Ich bin nicht so naiv, zu denken, es gibt eine Stopptaste.“ Und: „Putin ist nicht unser Adressat“, dieser würde klarerweise nicht auf 28 Intellektuelle aus Deutschland hören.
Der Adressat sei Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz, dessen Aufgabe auch der Schutz der Bundesrepublk sei. Es gehe darum, eine Lösung zu finden, „in der Putin nicht ganz das Gesicht verliert.“ Nach mehr als zwei Monaten Krieg sei dieser Moment gekommen, so Schwarzer.
„Die Ukraine hat Kiew verteidigt und kann darauf stolz sein“, und Putin habe gewisse Ziele in der Ostukraine erreicht. Schwarzers Credo: „Der Krieg kann nur durch Verhandlungen beendet werden.“
Plassnik zog daraufhin einen Vergleich zu Gewalt gegen Frauen. „Wenn ein Gewalttäter aggressiv wird, ist mit Verhandlungen und gutem Zureden nichts zu erreichen“, argumentierte sie.
„Putin hat keinen Vorwand gebraucht, kein Motiv, das wir ihm geliefert haben, um über die Ukraine herzufallen“, sagte Plassnik außerdem. Man brauche zwei, um zu verhandeln, und bei Putin sehe sie derzeit kein Interesse an Verhandlungen.
Vorwurf des Postkolonialismus
Plassnik hielt Schwarzer dann vor, postkolonialistisch zu argumentieren, obwohl sich die Feministin gegen solche Narrative stets verwahrt hatte. Sie sei dagegen, „den Ukrainern vorzuschreiben, wann's genug ist mit der Selbstverteidigung und mit der Notwehr.“
„Nein, das ist doch jetzt unlauter, Frau Plassnik, dass Sie das so interpretieren“, meinte Schwarzer. Das sei nicht in ihrem Interesse.
Sie sehe aber, „dass Scholz von allen Seiten gedrängt wird, den starken Mann zu spielen. Jetzt ist aber nicht die Stunde der Helden, sondern die Stunde der Nachdenklichen, Besonnenen.“
„Maximale Verteidigungshilfe“, das könne Deutschland liefern. Mit dieser Argumentation sei man in guter Gesellschaft. Schließlich reise auch der Papst zu Putin, um zu vermitteln.
„Wir plädieren für Vorsicht und gegen Eskalation“
„Wir warnen davor, uns reinziehen zu lassen in einen Weltkonflikt“, meinte Schwarzer. Sie befürchte, dass man die Rote Linie erste sehe, „wenn wir sie überschritten haben, aber dann ist es zu spät.“
„ZiB2“-Moderatorin Margit Laufer brachte dann noch den Vorwurf an die Briefschreiber und Briefschreiberinnen vor, die Situation aus einem sicheren Beobachtungspunkt heraus zu beurteilen.
Schwarzer drehte dieses Argument um: „Wir sitzen auf dem Zuschauerbalkon, uns passiert nichts. Aber wir sagen: 'Aber ran, aber ran, aber ran …!'“
Die Opfer würde die ukrainische Bevölkerung bringen, meinte die Journalistin. Junge, schlecht ausgebildete Männer, die zur Waffe greifen müssen. Und: Im Westen kenne man nur jene Stimme der Ukraine, die mehr Waffen fordere.
„Wir plädieren für Vorsicht und gegen Eskalation“, sagte Schwarzer abschließend.
Gegen Empörungsspirale
„In einem Punkt bin ich mit Ihnen d’accord“, sagte Plassnik. „Die Empörungsspirale ist schlecht“, sie sei ebenfalls für Besonnenheit und exaktes Abwägen. Dabei verwies sie auf das „bemerkenswerte Interview“ mit dem deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der Zeit.
Sie fordere aber Respekt für jenen, der angegriffen wird, seine eigene Entscheidungen zu treffen.
In der aktuellen dynamischen Situation, die schwer abzuschätzen sei, könne man nur das machen, „was die deutsche Bundesregierung tut“, schließlich handle es sich um einen „demokratisch abgestützten Entscheid“, sagte Plassnik.