ORFIII legt es auf Streit an und arbeitet an digitaler Zukunft
Von Christoph Silber
Die ORF-Finanzierung und Einsparungen waren die Begleitmusik der ORFIII-Programmpräsentation vor Journalisten am Dienstag. Auch wenn die Sender-Existenz nie in Diskussion war. „Wir sind eine Art Effizienz-Weltmeister“, betonte etwa die kaufmännische ORFIII-Geschäftsführerin Kathrin Zierhut-Kunz. Chefredakteurin Lou Lorenz-Dittlbacher ergänzte: „Man bräuchte viele ORFIII um auf die 300 Millionen (die im ORF eingespart werden sollen, Anm.) zu kommen.“ Denn der Kultur- und Info-Sender verfügt nur über ein Programmbudget von geschätzt 19 Millionen und 62 Mitarbeiter.
Eigentlich ging es aber darum, kurz die Programm-Highlights 2023 anzukündigen – was Senderchef Peter Schöber vor ein „Riesenproblem“ stellte angesichts von 2000 Stunden an „originärem Programm“. „Herzensanliegen“ ist jedenfalls die Reihe „Österreich – die ganze Geschichte“. Die arbeitet ab Oktober in den nächsten vier Jahren in 40 Folgen die Historie ab dem Jahr 976 auf. Angekündigt sind auch 40 Zeitgeschichte-Dokus u. a. zur Journalistin Hella Pick sowie eine Reihe zum heimischen Rundfunk.
Voraussichtlich rund um den Nationalfeiertag startet „Österreich – die ganze Geschichte“. In 40 Folgen und über 4 Jahre erzählt sie die Historie nicht wie häufig nur als Herrschaftsgeschichte.
Die ORF-III-Programmleiste „zeit.geschichte“ widmet sich u. a. der dokumentarischen Bearbeitung von Hugo Portischs letztem Buch „Russland und wir – eine Beziehung mit Geschichte und Zukunft“ als mehrteilige Koproduktion mit Arte.
Der Film „Codename Spielwarenfabrik“ im Rahmen der „Mauthausen vor der Tür“-Reihe erinnert an ein fast vergessenes Kapitel: Hitlers größte Panzerfabrik, zugleich Nebenlager des KZ Mauthausen, in St. Valentin.
In einer mehrteiligen Reihe aufgearbeitet werden die Geschichte des Rundfunks in Österreich sowie in die „Baumeister der Republik“ Biografien von Susanne Riess, Maria Schaumayer, Ulrich Ilg und Alois Mock. Ein Highlight ist die unglaubliche Lebensgeschichte der Wienerin Hella Pick, die mit einem Kindertransport 1938 vor den Nazis flüchtete und später als internationale Korrespondentin des „Guardian“ Politiker von Breschnew über Nixon bis Reagan interviewte.
2023 sind u. a. die mehrteilige Reihe „Geschichte der Arbeiterbewegung“ sowie ein umfangreicher Wien-Schwerpunkt, u. a. mit der Produktion „Wien – die Macht der Salonièren“ zu sehen, die Einblicke in das aufstrebende Bürgertum des 19. Jahrhunderts gewährt.
„Alle Kracher“ im Bereich Klassik sorgen, so Schöber, für „einen opulenten ORFIII-Kultursommer“ mit u. a. der Live-Übertragung der „Carmen“ aus St. Margarethen, fünf Produktionen aus der Wiener Staatsoper, Grafenegg und dem mehrtägigen „Woodstock der Blasmusik“.
Damit wächst auch der Archiv-Stock und man hofft, dass die angekündigte Gesetzesnovelle mehr digitale Möglichkeiten bringt. Schöber: „Österreich spielt in der Klassik in der absoluten Premiere League. Es ist eine absolut richtige Entscheidung des Generaldirektors, die Klassik-Kachel – Arbeitstitel ORF-Bühne – als integralen Bestandteil des ORF-Players für die Zukunft zu sehen.“ Um und Auf ist für Schöber die längere Verfügbarkeit der Inhalte online.
Der „ORF-III-Kultursommer“ bringt u. a. die Live-Übertragung des Opernklassikers „Carmen“ aus der Oper im Steinbruch St. Margarethen, der Eröffnung des Grafenegg Festivals, die diesjährigen Hausoper „Ernani“ der Bregenzer Festspiele, einer neuen Ausgabe der Konzertreihe „Klassik am Traunsee“ oder auch Beethovens „Eroica“ von der Styriarte sowie ebenfalls aus Graz eine Übertragung von den Kasematten.
Nach dem Vorjahreserfolg präsentiert ORF III in Kooperation mit dem Landesstudio Oberösterreich auch wieder das mehrtägige „Woodstock der Blasmusik“. Im Rahmen von „Erlebnis Bühne“ stehen weiters u. a. fünf Produktionen aus der Wiener Staatsoper auf dem Programm, darunter live zu Silvester „Die Fledermaus“, Konzerte aus dem Wiener Musikverein mit Stars wie Andris Nelsons, Jonas Kaufmann und Martha Agerich, Verdis „Die Macht des Schicksals“ aus dem Musiktheater Linz u. v. m.
Einordnen
Gute Quoten macht auch die Info, stark ist etwa der Vormittag. „Sehr naheliegend“ wäre auch ein „ORFIII aktuell“ am Nachmittag, so Lorenz-Dittlbacher. „Das ist aber eine Frage des Budgets.“ Wichtig ist ihr dabei: „Da rinnt nicht einfach Information rein, wir streamen nicht bloß Pressekonferenzen, sondern wir ordnen ein.“ Darum geht es ihr auch bei „Sommer(nach)gespräche“, „Fakten mit Profil“ oder dem „Wissenscheck“.
Quoten, das war das Stichwort bei der Diskussion um die Parlamentsübertragungen, weil man sie „nur noch“ in ORFIII und nicht mehr in ORF2 zeigen wollte. Dazu meint die Chefredakteurin: „Ich fühle mich durch diese Debatte weder gekränkt noch beleidigt.“ Sie vermutet ein „Missverständnis im Hintergrund“. Sie halte es für wichtig, demokratische Prozesse abzubilden. „Ich wäre bereit gewesen. Der Unterschied zwischen den Quoten von ORFIII und ORF2 ist da gar nicht so groß.“
Information
Die werktags dreieinhalbstündigen Nachrichtensendung ORF III AKTUELL wird seit heuer ergänzt durch eine Abendausgabe. Der Info-Sender liefert zudem zahlreiche Live-Übertragungen und Sonderproduktionen bei erhöhter Ereignisdichte, Pressekonferenzen und Nationalratssitzungen und Interviews mit den wichtigen politischen Playern. Das dort gesagte wird von Expertinnen und Experten in Wissens- und Faktenchecks auf ihre Haltbarkeit abgeklopft. Das geschieht u. a. im Rahmen des Sonderformats „ORF III Wissenscheck“ bzw. der in „ORF III AKTUELL“ integrierten Rubrik „Fakten mit Profil“. Zu den Info-Höhepunkten zählen auch 2023 wieder die „Sommer(nach)gespräche“.
Kleinkunst
In der neuen Reihe „Meine Bewunderung gilt …“ beschäftigen sich Größen der österreichischen Kleinkunst mit ihren Vorbildern von Maxi Böhm bis Cissy Kraner, von Karl Farkas bis Helmut Qualtinger. „Auf dem roten Stuhl“ heißt ein Format im Kleinkunstbereich, das ORF III ab März zeigt. Die neue Sendung „Wissenschaft einfach genial“ gibt in kurzweiligen 30-minütigen Reportagen Antworten auf komplexe Phänomene. Molekularbiologe und Wissenschaftskabarettist Martin Moder lädt dazu die besten Köpfe des Landes ein.
Unter den neu startenden Formaten fallen etwa der Talk „Streitzeit“ mit Peter Fässlacher und die umgemodelte Buchsendung „Lesen und Streiten“ auf. Der Hintergedanke Schöbers hier: „Ich glaube, wir haben das Streiten verlernt, unsere Demokratie lebt aber davon, dass wir eine gewisse Konflikt- und Streitkultur haben. Nicht jede Diskussionssendung muss im gelebten Kompromiss enden.“