Kultur/Medien

Karl Nehammer zu Armin Wolf: "Sie können ja auch mit sich selbst sprechen"

* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends*

Der ORF kriegt von der ÖVP (die Grünen sind hier mitgemeint) derzeit alles: Eine Haushaltsabgabe, einen Sparauftrag, für den es dann mehr (!) Geld gibt als vorher, freie Hand für Online. Nur eines, eines kriegt er nicht: Liebe. Jedenfalls dann nicht, wenn sich der Parteichef abends aufmacht, um mit dem Verbrennerauto quer durch das Autoland in die ZiB2 zu düsen. Dann kracht's.
 

Es krachte im Jänner zwischen Karl Nehammer und Martin Thür, die live auf Sendung diskutierten, ob es jetzt etwas zum Lachen gibt oder nicht und ob Thür lacht oder nicht (als Thür später in der Debatte um das neue Mediengesetz und die ORF-Förderung seinen Privatmedienkollegen halt eine Umschulung ans Herz legte, blieb vielen derer, die sich in dieser krachenden Branche um ihre Zukunft sorgen, jedes etwaige Restlachen im Hals stecken).

Das Aufeinandertreffen von Nehammer und Thür zum Nachlesen.

Und, das hätte man vorher schon wetten können, es krachte auch am Mittwoch, als Nehammer auf Armin Wolf traf.

Nehammer versus Wolf in der TVThek zum Nachschauen.

Dazu muss man wissen, dass da, wo die ZiB2 und die ÖVP aufeinandertreffen, einer der wundgeriebenen Punkte dieser Republik liegt. Wolf und, in geringerem Maß, Thür sind rote (haha) Tücher für die Bürgerlichen, die sich schlecht behandelt und kritisiert und weiß Gott noch was fühlen, aber - und das ist wohl einer der Mitgründe, warum der ORF, siehe oben, gerade alles von der ÖVP kriegt - trotzdem mit religiöser Überzeugung am Glauben festhalten, dass im Fernsehen wahlentscheidende Politik stattfindet, daher gottergeben diesen Beef suchen und mit schöner Regelmäßigkeit brav antanzen.

Performance

Zumeist ohne viel Boden zu machen - in der ZiB2 treffen, wie das im Live-TV-Journalismus oft so ist, vielfach performative Fragen auf performative Antworten; beides richtet sich mehr an diverse Crowds als an das Gegenüber, am Schluss sind alle einander unsympathisch, man geht halt, weil es Zeit ist, schlafen und wacht wieder auf in einem Land, in dem man sich wünschen würde, dass einmal etwas weitergeht und nicht alle immer zwanghaft das Gleiche tun.

Aber der Kanzler hat, man merkt es schon am Lächeln beim ersten Grüß Gott, in der ZiB2 eine andere Mission als seine Parteikollegen: Er lässt sich das nicht mehr bieten, und bei diesem Satz muss man jedes Wort einzeln und mit viel Nachdruck lesen, um sich in die Gemütslage Nehammers zu versetzen. Dessen Spätabend-Angriffslust euphorisiert, so hört man, seinen Beraterstab. Vielleicht hat manch Kanzleramtsmitarbeiter Bingokarten vorgedruckt mit all den Sagern, die man ihm mitgegeben hat? Wenn ja, dann konnte eifrig gestrichelt werden.

Dabei fing es recht sachlich an - es ging um Teuerung, Förderungen, Hilfe für Arbeitslose, und nach ein paar Minuten sagte Nehammer zu Wolf: "Da haben Sie auch Recht" (das war wohl auf keiner Bingokarte).
 

Aber dann! Dann unterbrach Wolf Nehammer genau bei dieser Antwort - es ging um arme Kinder. Wenn die Körperspracheanalysespezialisten schon den Weg von der Krönungsparty in die heimische Innenpolitik zurückgefunden haben, dann haben sie sich genau jetzt eine Notiz gemacht: Der Kanzler verliert für einen Moment die Körperspannung - und reißt sich dann zusammen zum ORF-Entsandten der Partei, der, siehe oben, sich das nicht mehr bieten lässt. "Wenn Sie wollen, können Sie ja auch mit sich selbst sprechen", sagt er zu Wolf (Bingo!). Das wäre "für die Zuschauer nicht besonders informativ" (Bingo!).

Das Match ist eröffnet.

Kernrhetorik

Nehammer holt die schwarze Kernrhetorik aus dem Ärmel (oder kommt sie aus dem Österreichfahnenanstecker am Revers?): "Leistung und Arbeit verhindern Armut", sagt er, Bingo, das fährt natürlich sekundenschnell durch den Social-Media-Diskurs. Wolf findet, das könnten Arbeitslose zynisch finden, will Nehammer darauf zwar eigentlich nicht antworten lassen, der aber redet  und legt nach: "Wenn Sie heute arbeiten wollen, haben Sie die Chance, Arbeit zu finden."

Wolf ist etwas Großem auf der Spur und fragt Nehammer, ob er nicht eher den Hausbesitzern hilft, die ja "auch eine ÖVP-Klientel" sind, als den Menschen, die zur Miete wohnen, der Kanzler antwortet hier ausführlich und faktenorientiert, Wolf bringt die Senkung der Mehrwertssteuer auf Lebensmittel ins Spiel, Nehammer verweist auf andere Länder, wo das nicht geholfen hat. Beide nützten das Defensivspiel, um sich in Stellung zu bringen.

Nehammer zählt auf, was die Koalition vorhat, Wolf ruft "nicht gelungen" dazwischen, Nehammer geht auf die Ära Kern ein (auch das derzeit ÖVP-nunja-Kernrhetorik), obwohl das "den Menschen, die von Armut betroffen sind, jetzt nicht unmittelbar hilft", aber es macht wahrscheinlich ein Bingo-Kasterl voll und hilft im Match mit Wolf. Nehammer bittet darum, die Redlichkeit zu wahren, macht aber fast nicht klar, wen er damit meint. Man ist gerade ganz oben auf der Hochschaubahn: Wolf zitiert "wirklich keine linken" Experten mit Kritik an der Regierung, Nehammer gendert fast ("Bäuerinnen und Bauern"), das muss am Küniglberg wohl irgendwie in der Luft liegen.

Klimaticketland

Dann wird es eine ganze Weile lang wieder sehr sachlich, es geht um Mehrwertsteuersenkung und Energiepreise und Bundesgebühren und wie deren Einfrieren auf die Länderebene durchschlagen könnte und dann, der innenpolitische Beobachter stutzt, lobt der Kanzler das Klimaticket (sind wir doch ein Klimaticketland?) und will dann aber nicht für die ÖBB sprechen, was dem Moderator nicht passt, der Kanzler macht einen Gag, den man aber leider nicht versteht, also bleibt das Bingokasterl leer.

Dann geht es noch um die FPÖ, und wie man sich denken kann, brachte das auch keine Ruhe hinein. Ist es für Nehammer denkbar, im Bund mit Kickl zu koalieren und ihn zum Kanzler zu machen? Nehammer sagt darauf, dass im September 2024 gewählt wird, dass er Herbert Kickl als Person sieht, die sich "selbst radikalisiert hat, in den eigenen Verschwörungstheorien befindet" und findet die Frage, ob die ÖVP Kickl zum Kanzler machen könnte, ist ein "Was wäre wenn"-Spiel; ein Ja oder Nein sehen die Regeln in diesem Spiel für Nehammer offenbar nicht vor.

Moderator zu Kanzler: "Das ist ein bisschen billig"

Gibts eigentlich auch ein ZiB-internes Bingo-Spiel? Wenn, dann kam jetzt ein fettes Kreuz drauf: "Das ist ein bisschen billig", sagte der Moderator zum Kanzler.

Das ist dann doch ungewöhnlich. "Das ist eine direkte Wertung gegen mich", erkannte Nehammer, "Sie meinen, dass meine Antwort billig sei?". Nehammer beklagte sich daraufhin, dass Wolf ihn "dauernd unterbricht" und hält die wiederholte Frage nach der Koalition für "vermessen", wirft Wolf wenig später "einen ganz schweren Fehler in der Beurteilung der Lage" vor, vielleicht kratzt jetzt schon der Stift leer über das Bingokarterl.

Und dann war es so, wie es so ist in dem Land, man ist einander nicht näher gekommen und jeder hatte Grund, schlecht gelaunt zu sein. Gute Nacht!