Jungpolitikerin in TV-Talk zu Klimakleberin: "Lieber Bäume pflanzen"
Von Peter Temel
* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends*
Wir müssen zurück ins Jahr 1978, meinte die Journalistin Ulrike Herrmann im Vorjahr. Nur ein kontrolliertes Schrumpfen der Wirtschaft um 30 bis 50 Prozent würde uns vor dem Klimakollaps retten. Puls4-Moderatorin Gundula Geiginger konfrontierte ihre Gäste beim 4Gamechangers Festival am Dienstag in einem "Pro & Contra Spezial" mit dieser These.
Umweltministerin Leonore Gewessler sprach von einer „Riesenaufgabe“, die Energieversorgung von fossilen Energiequellen auf Erneuerbare umzustellen. "Altes Denken" helfe da nicht weiter. Die Antwort auf die Schrumpfungsfrage umschifft sie mit einem Verweis auf eine Photovoltaikfirma, die mittlerweile hundert Mitarbeiter habe.
Gefragt nach ihrer Herangehensweise, sagte sie dann: „Das Richtige muss wachsen, und das, was wir nicht mehr haben wollen, müssen wir benennen.“
Der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Knill, hält die Herrmannsche Forderung – wenig überraschend – für „völlig inakzeptabel“, weil der Wohlstandsverlust nicht akzeptiert werde- Da gehe es weniger um die Industrie, sondern um die Sicht der Gesellschaft. „Rückschritt war noch nie ein Fortschritt“, sagte Knill. Es gehe darum, diese Transformation gemeinsam zu schaffen, unter Wahrung des Wohlstandes.
Marina Hagen-Canaval, österreichische Klimaaktivistin von der "Letzten Generation", startete mit dem zu erwartenden Furor. Sie meint, man müsse sich darüber im Klaren sein, „dass wir keine Wirtschaft haben werden auf einem toten Planeten.“ Wir seien dabei, "unsere Lebensgrundlage herunterzuwirtschaften". Entweder man gestalte den Prozess nun aktiv mit oder man warte, „bis uns die Klimakatastrophe dazu zwingt“.
Für Sie sei das Thema „Innovation oder Verbote“ keine Meinungsfrage, es gebe einen wissenschaftlichen Konsens dazu. Laut dem aktuellen IPCC Report Working Group 3 würden Innovation und technischer Fortschritt nicht reichen, um die Wende rechtzeitig zu schaffen. „Die Regierung hat keinen Plan, wie wir unsere Klimaziele erreichen sollen“, sagte sie. Es werde geredet, aber nichts gemacht. Tempo 100 sei die schnellste und einfachste Maßnahme, auch ein Verbot neuer Öl- und Gasbohrungen fordere man.
Nach ihrem Statement folgte großer Applaus.
"Richtig low"
Caroline Bosbach, Bundesvorsitzende des Jungen Wirtschaftsrats der CDU, fand die Forderung nach Tempo 100 „schon einmal richtig low, was hat das für einen Impact? Wenn sich das Klima äußern könnte, es würde wahrscheinlich müde lächeln dabei.“
Man könnte das Problem nur international lösen, meinte die deutsche Politikerin. Man müsse „schlagkräftigere Lösungen“ anbieten, wo die die Weltgemeinschaft sage: "Aha, da machen wir mit!"
Verbote seien einfach und schnell, meinte Bosbach, "wir leben aber nicht in einem Zeitalter für Einfachheit und Schnelligkeit."
Wolfgang Anzengruber, ehemaliger Verbund-Vorstandsvorsitzender, spricht nun für die CEOs for Future. Gefragt nach der Energieform Wasserstoff, sagte er, Wasserstoff werde in Deutschland als "Champagner der Energiewende" bezeichnet. Sein Schluss daraus: "Wir werden nicht Alkoholiker werden mit Champagner- Das wird sich nicht ausgehen." Man werde Wasserstoff wohl nur gezielt bei industriellen Anwendungen einsetzen können.
Auch er drückt aufs Tempo. „Wenn wir nicht handeln, dann wird’s passieren", igendwer müsse den ersten Schritt setzen.
Barbara Schmidt, Generalsekretärin Oesterreichs Energie, erklärte, dass die Stromerzeugung in Österreich derzeit zu 80 Prozent erneuerbar sei, aber Strom stelle auch nur ein Fünftel des Gesamtenergieverbrauchs. "Ich bin auch gegen Verbote", sagte Schmidt, "aber es wírd schon mutige Entscheidungen der Politik brauchen, damit es mit dem Energieverbrauch runter geht."
Das Ziel, 2040 Klimaneutralität herzustellen, "werden wir nicht schaffen, wenn es so weitergeht", sagte Schmidt.
"Die Tools haben wir", sagt Ministerin Gewessler, "es braucht gesetzliche Rahmenbedingungen". Sie sprach von einer "Aufholjagd". Die Grünen seien für Tempo 100, aber alle anderen Parlamentsparteien seien dagegen, wie Gewessler aufzählte.
Noch einmal war Anzengruber am Wort. Über die Langzeitziele seien sich die meisten einig, meinte er, aber: "Bei den Sofortmaßnahmen spießt es sich immer."
Man müsse einmal auch die Physik verstehen. „Wir sind mit Energieanwendungen unterwegs, die sind grottenschlecht“, erklärte der ehemalige Verbund-Chef. Autos hätten einen schlechten Wirkungsgrad von nur 20 Prozent. Anzengrubers Vergleich: Man kaufe sich fünf Liter Milch und vier davon schütte man weg, jede Woche. „Jeder vernünftige Mensch würde sagen: So kann das nicht weitergehen.“
Auch der Gebäudebestand sei "furchtbar". meinte Anzengruber. Man müsse Warmmieten einführen, dann müssten ein Vermieter auch dafür Sorge tragen, „wie er das Heizsystem auf die Reihe kriegt“.
"Solche Maßnahmen werden nicht überall Freundschaft finden", sagte er. Immerhin stellt er der österreichischen Industrie ein gutes Zeugnis aus, "sie sind schon sehr weit". Auch die Energiewirtschaft sei vorbildlich.
Keine Freundschaft
Die gute Stimmung konnte die Klimaaktivistin so nicht stehen lassen. Hagen-Canaval hakte ein beim Wort „Freundschaft“. Den Klimaschutzmaßnahmen sei es egal, ob sie gemocht werden. Sie sagte: „Wir müssen das tun, damit unsere Zivilisation weiterbesteht. Es ist so, es tut mir leid, wenn ich sie jetzt aus Ihrer Bubble holen muss, aber es geht wirklich um alles."
Die 26-Jährige fuhr fort: "Wenn ich so alt bin wie meine Eltern, dann erwarten mich Hungersnöte, Nahrungsmittelknappheit und Trinkwassermangel. Ich will das nicht erleben. Und mir dann anhören zu müssen: Tempo 100, mimimimi, meine Freiheit ... Entschuldigung, das ist eine Maßnahme die keinen persönlichen Verlust für irgendwen bedeutet, die aber 460.000 Tonnen CO2 spart. Wenn sie mir eine andere Einzelmaßnahme sagen, die so viel CO2 spart, dann machen wir das. Aber vorher führen wir mal Tempo 100 ein und schauen einmal, ob die Leute kollabieren oder ob sie es aushalten.“
Erneut Jubel und Klatschen im Publikum.
Die 33-jährige CDU-Vertreterin Bosbach kommentierte etwas schnippisch: „Ich finde das auch toll, Sie haben auch Ihre Fans mitgebracht …“
Hagen-Canaval erwiderte sofort: „Letztendlich sind die nicht von mir. Die denken vielleicht nach.“
Bosbach ruderte zurück und sagte, sie finde es toll, "wenn sich junge Leute engagieren".
Das klingt aus dem Munde einer Vertreterin eines Jungen Wirtschaftsrats dann doch ziemlich alt.
„Aber das was Sie machen, ist leider das komplette Gegenteil", sagte Bosbach. "Für mich ist ein Klimaaktivist jemand, der Bäume pflanzt, der direkten Impact hat.“
Gelächter im Publikum, das sich offenbar gepflanzt fühlt.
"Störenfriede und Straftäter"
„Ja, das ist so“, antwortet Bosbach den Lachenden. „Aber was Sie leider machen", sagte sie in Richtung Hagen-Canaval, "Sie sind Störenfriede und Straftäter. Das ist das Problem.“
Laute Buhrufe im Publikum.
Hagen-Canaval bat darum, die Buhrufe zu unterlassen.
Bosbach hält Klimaproteste für ein "Auslaufmodell". Es sei zwar "ambitioniert", die letzte Generation würde es "sicher auch alles gut meinen, das Problem ist, dass es halt nicht nachhaltig ist.“ Es werde so nicht funktionieren, das merke man auch an den gesellschaftlichen Reaktionen.
Dann bat sie, ausreden zu dürfen, und richtete ihre Worte weiter an Hagen-Canaval: "Wenn Sie sich auf die Straße kleben, in diesem Moment ist Ihr Impact gleich null. Was haben Sie dann erreicht?" Ihr Vorschlag: "Gehen Sie raus, studieren Sie Physik, sorgen Sie dafür, dass wir zu wirklich nachhaltigen Lösungen kommen.“
Nun bekam auch sie in bisschen Applaus, aber wieder vereinzelte Buhs.
Hagen-Canaval bat noch einmal: „Leute, bitte nicht buhen. Sie weiß es vielleicht nicht besser. Ich bin gerne da, um das aufzuklären.“
Ihre Replik: Wenn man genauso viel CO2 einsparen wolle wie mit Tempo 100, müsste man 36 bis 46 Millionen Bäume pflanzen. "Das sind viele Bäume", meinte die Aktivistin, "das sollten wir auch tun - und gleichzeitig Tempo 100 einführen".
Zum Vorwurf der Straftaten sagte sie, dass es sich in Österreich um Verwaltungsübetretungen handle - wie bei Rot über die Straße gehen.
"Macht es das besser?", warf Bosbach ein. "Relativieren Sie das jetzt gerade?"
Hagen-Canaval: "Darf ich jetzt auch ausreden? Danke!"
"Die Regierung in die Bredouille bringen"
Sie wandte sich nun gegen den Vorwurf, dass bei Straßenklebeaktionen der Impact gleich null sei. "Ja, das ist ja die Idee davon", meinte die Aktivistin. "Der Protest ist dazu da, um störend zu sein. Es geht nicht darum Autos abzuschalten. – Darf ich ausreden? – Die Denkleistung hätte ich Ihnen jetzt zugetraut. Es geht darum, den politischen Druck zu erhöhen. Wir möchten die Regierung in die Bredouille bringen. Entweder einfachste Schutzmaßnahmen wie Tempo 100 oder sie müssen uns in den Kerker werfen. Darum geht’s."
Bosbach meldete sich noch mit einer "ernst gemeinten Frage". Als ob sie es sonst nicht ernst meinen würde. Nun die ernsthafte Frage: "Glauben Sie wirklich, dass es dem Weltklima hilft, wenn sie hier in Österreich Tempo 100 einführen?"
Hagen-Canaval räumte ein, dass Österreich nur 0,2 Prozent der Immissionen weltweit verantworte, diesen Einwurf höre sie oft. "Das stimmt", erklärte sie, "wir müssen alle global daran arbeiten, aber wir haben auch eine historische Verantwortung. Wir emittieren schon sehr viel länger". Und man habe "auch eine weltgemeinschaftliche Verantwortung", Österreich habe einen der höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf. Wenn sich alle Staaten so herausreden würden, "dann warten wir lange".
"Wir brauchen Energie"
Schmidt findet es "sehr positiv, wie viel Energie da drin ist". Das sei "Energie, die wir brauchen". Positive Worte im Sinne der Energie von der Sprecherin Der heimischen Energiewirtschaft.
Dem ehemalige Verbund-CEO Anzengruber reichten die verbindlichen Worte aber nicht aus. Er brachte einen interessanten Punkt ein - in Richtung Bosbach: Der Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 sei in Deutschland genauso hoch wie in China. "Jetzt reden wir aber einmal vom konsumierten CO2", meint er. Dieser Wert sei in Deutschland wesentlich höher als in China. "Weil Waren, die dort produziert werden, werden bei uns konsumiert. Das muss man einmal ein bisschen auseinanderhalten."
Im gefalle es auch nicht, wenn es einen Stau gebe, aber er sagte in Richtung "Letzte Generation": "Ich verstehe, dass sie wütend sind. Die Sufragetten in England haben auch Fensterscheiben eingeschossen, damit sie endlich einmal ein Wahlrecht bekommen." Dabei sei es leicht, sie abzuholen, indem man sie ins Gespräch rein bringe. Und: "Das, was sie fordern, sind eigentlich die Versprechungen, die wir abgegeben haben."
Der Verbindung von jugendlicher mit routinierter Energie war bei diesem Talk schon ziemlich erfrischend.
TIPP: Die Diskussion zum Nachschauen: "Innovation oder Verbote – Wie retten wir den Planeten?"