Kultur/Medien

"Corona-Dreck": Balsam auf die Seele für acht Millionen Teamchefs

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

Die acht Millionen Virologen sind nun mit einem Schlag wieder zu Teamchefs geworden. Österreich hat endlich seinen EM-Taumel und hat dabei auch noch (fast) die Pandemie für beendet erklärt.

"Wir haben alle eine ganz schwere Zeit hinter uns gehabt mit dem ganzen Corona-Dreck. Genießt den Tag alle gemeinsam“, sagte Goldtorschütze Christoph Baumgartner im ORF-Interview nach dem Spiel.

"Ich kann es noch nicht ganz realisieren. Was dazukommt, ist, dass mir der Schädel richtig wehtut", sagte Baumgartner, der vor seinem Tor ja einen heftigen Kopfstoß versetzt bekam. Trotz Brummschädels fand er aber goldene Worte.

Vor fünf Jahren, bei der EM in Frankreich, stand er noch in St. Pölten als Zuschauer auf der Fanmeile. Damals gab es wenig zu jubeln. Was nicht heißt, dass einem Tags darauf nicht trotzdem der Schädel weh tut.

Heute brummt sicher einigen Österreich-Fans der Schädel. Aber mit einem historischen Sieg im Rücken fällt Vieles leichter.

Auch „Baumi“ sagte über sein Kopfweh: „An so einem Tag nehme ich das gerne in Kauf."

Die Sohle von Bukarest

Verantwortlich für den geschichtsträchtigen Sieg war Baumgartners Sohle, was Herbert Prohaska gleich zu einem Querverweis auf sich selbst nützte: „Es gibt Leute, die schießen mit dem Spitz ein Tor, und Leute, die schießen mit der Sohle. Das war jetzt ganz neu.“

Es gehört zu den legendären Momenten des rot-weiß-roten Fußballs, als Prohaska 1977 das ÖFB-Team mit dem „Spitz von Izmir“ zur Weltmeisterschaft in Argentinien schoss.

Moderator Rainer Pariasek, der natürlich den "Jahrestag von Córdoba" nicht auslassen konnte (21. Juni 1978), sprach hernach schon von der „Sohle von Bukarest“.

Aber der legendäre Spitzler von Izmir wurde am Montagabend ebenfalls bejubelt. „Hast du heute auch gespielt?“ sagte Pariasek zu Prohaska. Die Fans hatten sich nämlich unter der Moderatorenkabine versammelt und skandierten „Herbert Prohaska“-Sprechchöre. Prohaska drehte sich um und jubelte ein bisschen mit den Fans mit.

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Doch hauptsächlich feierten die mitgereisten Österreicher mit den erfolgreichen Spielern. Pariasek verwies einmal darauf und schaute wider hinunter, nur konnten die Fernsehzuschauer die jubelnden Kicker gerade nicht sehen, weil die beiden Studiotische davor standen.

„Tut’s as weg“, wollte man den beiden zurufen. So stabil und fix montiert haben die beiden Pulte ohnehin nie ausgesehen.

Bachmann-Preis

Pariasek zeigte sich aber betont kultiviert. Das Interview mit dem fehlerlos gebliebenen Goalie Daniel Bachmann kündigte er so an: „Der Daniel, könnte man sagen, heute für den Bachmann-Preis nominiert.“

Preiswürdig sah Bachmann seine Leistung nicht, keine Gegentor zu bekommen, sei eben sein Job. Kurz sprach er die vergebenen Chancen an, „also mussten wir’s dreckig machen“. Dennoch sei es das beste Spiel gewesen, seit er das Teamtor hütet.

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Schon Europameister

Klar ist, dass wir jetzt natürlich schon Europameister sind. Selbst der sonst so vorsichtige Prohaska schlug große Töne an: „Bei jedem Großereignis gibt es eine Mannschaft, die gar keiner auf der Rechnung hat.“

Pariasek freute sich diebisch über Prohaskas Ansage: "Uuuuuuh, okay!"

„Vielleicht sind es diesmal wir. Hast du was dagegen?“ scherzte Prohaska.

Auch bei den Stimmungs-Interviews mit den Fans wurde die Europameister-Frage gestellt. „Das sollen die anderen acht Millionen Teamchefs beurteilen“, sagte ein Fan in Bukarest vor dem Stadion schlagfertig.

Auch den zuhause gebliebenen Teamchefs spürten die ORF-Interviewer nach. In Klagenfurt, wo sich eine beträchtliche Menschenmenge versammelt hatte. Und im Bundeskanzleramt, wo es laut dem Reporter ein "Public Viewing" gab - das aber gar nicht so "public" anmutete. Der politische Teamchef, Bundeskanzler Sebastian Kurz, saß dort in trauter Runde und wurde gefragt, ob er möglicherweise zum Achtelfinale nach London reisen wird. Kurz: „Wenn’s irgendwie möglich ist, werde ich im Stadion dabei sein.“

Damit wäre er einer von ganz wenigen österreichischen Teamchefs, die den Weg auf die Insel trotz strenger Quarantänebestimmungen antreten können. Eine Debatte wäre wohl gewiss.

Vielleicht hätte er eher Marko Arnautović zuhören sollen. Der antwortete auf die Frage nach dem Italien-Spiel im Wembley-Stadion: „Regeneration zuerst. Dann können wir reden, in ein paar Tagen.“

Den Satz sollte man sich merken, er kann in vielen Lebenslagen angewendet werden. Etwa schon heute, nach den ausgiebigen Siegesfeiern: "Regeneration zuerst. Dann können wir reden, in ein paar Tagen.“

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Gar nicht mehr reden will Arnautović über seine Sperre. „Lasst das alles sein. Das interessiert mich nicht mehr. Wir sind aufgestiegen.“

Das würden die politischen Teamchefs wohl auch nach Wahlsiegen gerne sagen.

Bleibt noch der echte Teamchef, Franco Foda. Der hatte naturgemäß wenig auszusetzen an diesem Abend. „Ein bissl kenn ich mich ja aus im Fußball“, sagte er.

Aber auch der oft so zurückhaltend auftretende Foda zeigt sich betont optimistisch: „Italien hat ja ewig lang nicht mehr verloren. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man verliert.“

Noch viel wichtiger: „Jetzt noch liebe Grüße nach Hause an meine Frau … und an meine Kinder!“

Da verzichtete auch Ex-Teamchef Prohaska auf seine klassische „Gute Nacht“-Verabschiedung und grüßte seine beiden Enkelkinder mit „Bussi“.

Auch das ist wohl historisch.

Der Link zum Video in der ORF-TVThek (7 Tage ab Sendung abrufbar)