Kultur/Medien

Kommunistin Kahr und der "rumänische Flitzer"

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*


Ein Twittersturm brauste am Sonntag nach der vormittäglichen ORF-"Pressestunde" los. Das ist nicht alltäglich, daher schauen wir uns das noch einmal genauer an.

Was war passiert?

Die neue Bürgermeisterin von Graz war zu Gast. Elke Kahr ist Politikerin der Kommunistischen Partei Österreichs und schaffte es bei der vergangenen Gemeinderatswahl, die ÖVP vom ersten Platz zu verdrängen.

Ihr gegenüber saßen Claudia Dannhauser vom ORF und der Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Hubert Patterer.

Nun haben schon viele versucht, Kahr mit der Angst vor kommunistischen Verhältnissen in Bedrängnis zu bringen, oder ihre Sozialpolitik als Stimmenfängerei zu diskreditieren. Nicht zuletzt Ex-ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl, der von Kahr im Vorjahr entthront wurde. Wobei die 60-Jährige selbst solche Worte wohl nicht in den Mund nehmen würde.

„Frau Bürgermeisterin, schön, dass Sie da sind“, sagte Moderatorin Dannhauser.

Gleich ging es einmal darum, ob sich Kahr bereits an diese Anrede gewöhnt habe. Die dazugehörige Frage von Dannhauser: „Frau Kahr, die Anrede 'Bürgermeisterin' ist Ihnen ja gar nicht so recht, wie Sie manchmal betont haben. Aber bedingt das Amt nicht auch, dass man zu der Macht steht und daraus etwas macht, haben Sie sich nach drei Jahren im, drei Monaten im Bürgermeistersessel jetzt an das Amt schon ein bisschen gewöhnt, ist es für Sie schon ein bisschen zur Gewohnheit geworden?“

Ein bisschen klang das wie die Frage an die Olympiasiegerin, ob sie den Olympiasieg schon realisiert habe. Aber es ist ein verständlicher Impuls, eine Person so zu befragen, wenn dieser Person jedes bürgermeisterliche Gehabe fremd zu sein scheint. Vielleicht sollte man bürgermeisterliches Gehabe generell in Frage stellen.

"Frau Kahr" auch in Ordnung

Kahr antwortete offen: „Ja, wie Sie richtig gesagt haben, dieser Erfolg der KPÖ in Graz war überraschend in diesem Ausmaß und natürlich ist es auch ungewöhnlich, wenige Tage nach der konstituierenden Sitzung als Frau Bürgermeisterin angesprochen zu werden, weil ich es einfach halt nicht gewohnt war. Es hat seine Tage und Wochen gebraucht, aber ich bin es jetzt nach einigen Monaten gewohnt und für all jene, die mich aber Frau Kahr nennen möchten, ist das auch in Ordnung.“

Nachdem das mit der Anrede geklärt war, und Kahr gleich um kürzere Antworten gebeten wurde, ging es um die Sozialpolitik. Ob eine Konzentration auf diese fürs Bürgermeisteramt reiche? Ob sie eine Bürgermeisterin „für alle“ sein wolle?

„Ich war immer für alle Menschen da, die Anliegen gehabt haben, das halte ich auch in meiner neuen Funktion so“, sagte Kahr. „Der Blick von mir wird vor allem ein Blick von unten sein und es ist wichtig, dass man vor allem auf jene schaut, die es sehr schwer haben, und da braucht es mitunter Verschiebung. Das bedeutet aber nicht, dass man nicht alle anderen Aufgaben auch im Auge hat oder muss klarerweise.“

Die lange Frage nach dem Flitzer und nach Ikea

Wie bereits erwähnt, wurde Kahr um kürzere Antworten gebeten. Vielleicht hätte man auch um kürzere Fragen bitten sollen. Denn es folgte nun diese Patterer-Frage: „Frau Bürgermeisterin, wir haben ja heute dieselbe Anfahrt gehabt von Graz aus und Sie haben mich leider mit Ihrem rumänischen Flitzer auf den letzten Metern noch abgefangen und überholt. Ich lebe selbst in dieser Stadt und jetzt hat man ja nach diesem ‚Beben von Graz‘, wie es in den Medien bezeichnet worden ist, noch nicht allzu viel mitbekommen an großen Veränderungen, es ist auch noch viel unklar, was Sie mit dieser bürgerlichen Stadt denn eigentlich vorhaben. Was man mitbekommen hat, war, dass Sie Eingriffe in die Stilistik vorgenommen haben, Sie haben zum Beispiel die Designmöbel Ihres Vorgängers weggeräumt und haben Ihre abgewohnten Ikea-Möbel, was die steirischen Tischler nicht sehr gefreut hat, wie wir mitbekommen haben, hingestellt mit der Kinderspielecke. Jetzt schätze ich Ihre Bescheidenheit, aber unterliegen Sie hier nicht einem Missverständnis, was das Rollenbild betrifft? Sie sind jetzt nicht mehr die Sozialarbeiterin, Sie sind jetzt auch nicht mehr die Sprechstunden-Politikerin, Sie sind die Managerin der zweitgrößten Stadt in diesem Land. Ist Ihnen das bewusst und nehmen Sie diese Rolle an überhaupt?“

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Diese Frage enthielt bereits fast alles, was den erwähnten Twittersturm ausgelöst hat. Der Ikea-Vorwurf sorgte für den größten Unmut.

Dabei ist es natürlich völlig legitim, eine neue Stadtchefin zu fragen, was sie mit der Stadt nun tatsächlich vorhat. Wenn Patterer den Eindruck hat, dass in Kahrs Büro bisher nur Stilfragen beantwortet wurden, dann soll er das auch journalistisch einsetzen.

Aber egal, wie man die ideologische Verwurzelung der KPÖ beurteilt - so wie es Patterer am Sonntag anging, kann eine Entzauberung des dunkelroten Grazer Phänomens nicht funktionieren. Denn Kahr wendet keinen PR-Zauber an. Wenn sie ihr Büro mit ihren alten Billigmöbeln ausstattet, dann tut sie das nicht, um ein Bild in der Öffentlichkeit zu generieren, sondern, weil sie es für völlig normal und richtig hält, diese weiterhin zu verwenden. Man nimmt Kahr auch nach dieser „Pressestunde“ ab, Politik ohne Kalkül zu betreiben.

Diese Art von Politik ist sehr unorthodox, aber im Grazer Mikrokosmos funktioniert sie schon seit mehreren Jahrzehnten.

Die Antwort Kahrs fiel deshalb so aus: „Mit 60 Jahren ist mir vieles in der Welt bewusst natürlich, sonst hätte ich mich ja gar nicht so lang politisch engagiert und noch einmal, in erster Linie bin ich ein Mensch, der sozial denkt und haben möchte, dass die Unterschiede zwischen oben und unten geringer werden. Für das bin ich mein Leben lang gestanden und so werde ich auch weiterhin mit unseren Koalitionspartnern in diese Richtung arbeiten, und das betrifft alle Felder, das betrifft die Wirtschaft, das betrifft die Arbeitnehmerrechte, das betrifft die Sozialpolitik, die Wohnpolitik, es braucht in vielen Dingen einen Blick, der jenen auch vor allem unter die Arme greift und mithilft, die es schwerer haben, weil die, die es leicht haben oder sozusagen besser geht, die brauchen nicht diese Unterstützung wie manch andere.“

Aber da war doch noch was. Der rumänische Flitzer!

Kahr: „Im Übrigen habe ich keinen rumänischen Flitzer, nur damit da kein falscher Eindruck im Fernsehen entsteht, das ist ein Dacia, den mein Kollege, der mit mir mitgefahren ist, besitzt.“

Patterer formulierte nun um, es sei ein „rumänischer Renault“.

Kahr: „Ja, aber nur, wissen Sie, Gerüchte entstehen bald einmal und damit da kein Irrtum entsteht.“

Reingegrätscht

Dannhauser leitete nun aufs Thema Wirtschaft über. Dort sei die Besorgnis über die neue Bürgermeisterin am größten gewesen. Ob Kahr „da auf die Wirtschaft zugegangen“ sei?

Kahr: „Ich glaube nicht, dass es viele Bürgermeister gibt, wo so leicht Termine zu bekommen sind wie bei uns im Büro, von der Industriellenvereinigung bis zur Wirtschaftskammer bis zur Landwirtschaftskammer haben alle obersten Vertreter hier schon auch Termine gehabt und es waren alles sehr gute Gespräche, ebenso…“

„Frau Bürgermeister, jetzt muss ich kurz reingrätschen in Ihre Antwort…“

War das etwa die Revanche nach dem verlorenen Haatzerl von Graz nach Wien?

Kahr blieb geduldig und sagte: „Ja, ich bin noch nicht ganz fertig, aber egal…“

Patterer fuhr fort: „...ich habe unlängst einen Vertreter dieser Weltkonzerne getroffen bei einem Termin und er hat mir erzählt, er hat versucht, bei Ihrem Büro einen Termin zu bekommen - es ist glaube ich ein Unternehmen mit 6.000 Mitarbeitern, in Graz ansässig -  und hat die Auskunft erhalten: Jetzt hätten die Bedürftigen und die Schwächeren Vorrang und hat den Termin nicht bekommen. Wollen Sie gegen die Wirtschaft regieren in Graz?“

Kahr meinte: „Also so eine Antwort hat sicherlich niemand aus meinem Büro gegeben, da bin ich zutiefst davon überzeugt und jeder, der einen Termin braucht, wird ihn auch bekommen.“ Sie sei noch keine drei Monate noch in Amt und Würden und „so viele Termine, wie bei uns schon waren, bin ich überzeugt, hat es in der Vergangenheit nicht gegeben.“

Haider-Vergleich

Patterer lobte es dann als „hoch anständig und ehrenwert“, dass Kahr von einem Bürgermeistergehalt von 14 000 Euro brutto nur 2.000 netto für sich behalte und den Rest in einen Sozialfonds gebe. Dennoch wollte er wissen: "Ist Politik in ihrer jetzigen Rolle nicht mehr als Caritas? Dafür gibt es ja die Caritas und andere wertvolle Organisationen. Und Sie stellen ja auch diese Wohltätigkeit immer wieder auch zur Schau mit den jährlichen Tagen der offenen Konten. Jetzt könnte ich böse sein und verweisen auf einen gewissen Jörg Haider, der hat ähnliches gemacht. Da sind die Leute sogar hingegangen und er hat persönlich Bedarfszuweisungen erteilt. Damals hat man zu ihm gesagt, er wolle sich damit Stimmen kaufen. Könnte man den Vorwurf nicht auch auf Sie übertragen? Und wie würden Sie antworten?“

Kahr verwies auf 900.000 Euro, die bereits auf dieser Weise „an Menschen in Notlagen weitergegeben“ worden seien. „Und das sind zum überwiegenden Teil NGOs und andere Einrichtungen bis hin zu Krankenhäusern, die oft in unserem Büro anrufen und ersuchen, ob wir Menschen hier in Notlagen helfen können, weil berufstätige Leute eben nicht von der Caritas oder vom Sozialamt Hilfestellungen bekommen - und genau für die ist es oft gedacht, weil auch diese Menschen können in Notsituationen geraten.“

Damit umschiffte Kahr freilich auch die Frage, ob die Politik nicht eher gestaltend dafür sorgen sollte, dass die Sozialtöpfe entsprechend gefüllt sind. Nur, an den entscheidenden Hebeln dafür sitzt die KPÖ ohnehin nicht.

Der Vergleich mit dem „Haider-Hunderter“ wurde auf Twitter schärfstens kritisiert, weil der Landeshauptmann Haider, anders als Kahr, für seine landesfürstlichen Spendierlaunen Steuergeld heranzog. Diese Kritik verliert freilich aus dem Auge, dass Patterer nur von Ähnlichkeiten sprach.

Kahrs bürgernahe Politik ist auch sicher nicht frei von Populismus. Die große Frage ist aber, wie schädlich diese Art von Populismus ist.

Wer hat Angst vor der KPÖ?

Und das führt uns zur nächsten Frage: Wie es die Bürgermeisterin der zweitgrößten Stadt Österreichs mit dem Kommunismus hält. Eine Ideologie, vor der sich viele teilweise fürchten würden, meinte Moderatorin Dannhauser. Sie nannte einfache Leute, „die halt meinen, die Ideologie, die da dahintersteht, die ist nicht nur nicht meine, sondern davor habe ich auch Angst.“

Kahr kennt diese Fragen seit vielen Jahren, wie sie selbst sagte. Entsprechend leicht geht ihr die Antwort von der Hand: „In Graz fürchtet sich seit über 30 Jahren vor der KPÖ niemand. Das hat mit Ernest Kaltenegger angefangen.“ Sie verwies auf die Arbeit der Partei in mehreren Ressorts. „Wir haben alle diese Ämter ohne Skandale mit Umsicht und mit Sorgfalt geführt - im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung und immer mit demokratischen Entscheidungen. Und weil wir so sind, wie wir sind, haben die Menschen auch das Vertrauen. Wir kennen keine Winkelzüge. Wir sind glaubhaft. Wir fühlen uns nicht als etwas Besseres und begegnen den Leuten, egal, wem auch immer, in Augenhöhe und diese Sehnsucht nach korrekten und integren PolitikerInnen, die ist sehr hoch in der Gesellschaft und das ist auch der Grund, warum uns viele das Vertrauen geschenkt haben.“

Diese Sehnsucht bearbeiten die Grazer Kommunisten tatsächlich bereits seit Kahrs Vorgänger Kaltenegger, der als „roter Engel der Mieter“ bezeichnet worden ist. Dennoch bleibt natürlich die Frage: Warum noch Kommunismus?

Dannhauser sprach die vielen Schattenseiten an, „von Stalinismus bis zu Kuba, Nordkorea, auch in China.“

„Das habe ich, glaube ich, hunderte Male schon gesagt“, erklärt Kahr. "Ich werde das im Übrigen auch immer nur von Medienvertretern gefragt, selten von Leuten, weil die eben ihre KPÖ in Graz über 30 Jahre kennen. Und selbstverständlich haben wir nichts am Hut mit Nordkorea oder mit einem Stalin. Das ist nicht die Weltanschauung, die ich vertrete. Die KPÖ in Graz möchte den Menschen zu ihren Rechten verhelfen, für eine sozial gerechte Welt eintreten, für ein freundliches Klima, für ein friedliches Klima und für den Zusammenhalt, in dem es egal ist, von wo wer kommt, ob er jung oder alt ist. In der jeder Mensch die gleichen Chancen vorfinden muss. Und das ist das Bild, was ich von einer Welt habe und auch immer haben werde und dafür versuche ich dort, wo ich lebe und arbeite, auch einzutreten.“

Patterer wollte das noch tiefer gehend erörtern. Was denn die KPÖ wolle, was der Unterschied zur Sozialdemokratie sei?

Nur eine Ideologie

Kahr sagte, der Kommunismus sei „eine Ideologie, das ist ja eine Utopie auf der Welt, die ich mir wünschen würde, aber als Ziel haben wir unser Land, dass in unserem Land ein sozial gerechter Staat ist, der sozialstaatliche Prinzipien hebt, damit die Ungleichheit aufhört.“

Es gehe um Gleichberechtigung, um gleiche Chancen, egal aus welchem sozialen Milieu, Verteilungsgerechtigkeit über das Steuersystem, auch das Wort Umverteilung fällt. Und mit Blick auf Graz sagt Kahr: „Wenn man nicht behutsam mit öffentlichem Eigentum umgeht, dann wird es dann, wenn du es brauchst, dir fehlen.“

Jetzt fragte Patterer noch einmal konkret, wo Kahr einen funktionierenden Kommunismus sehe und wo Sie gerne leben möchte.

Kahr: „Einen Kommunismus kann es nur weltweit …“

Nein, jetzt kommt nicht die Weltrevolution, oder?

Kahr fiel rechtzeitig auf, dass sie für ein paar Sekunden in marxistische Theorie abgebogen ist. Offenbar wollte sie damit sagen, dass die kommunistische Ideologie derzeit nirgendwo auf der Welt verwirklicht sei. Damit zog sie sich wieder auf den Servicecharakter zurück und nannte eine real existierende kommunistische Partei, die eine ähnliche Politik betreibe: „ Zum Beispiel unsere Schwesternpartei in Belgien, da werden bald Parlamentswahlen sein, da wird jetzt schon gesagt, dass die vielleicht dort sogar stärkste Partei wird. Und die ist zum Beispiel durchaus für uns in vielen Fragen ein Vorbild, weil sie eine ausgezeichnete Sozial- und Gesundheitspolitik dort macht.“

Ob ein Wahlsieg in Belgien ein weiteres Puzzlestück zur Weltrevolution wäre?

Eher nein. Auch die Grazer KPÖ wird nur so lange erfolgreich sein, so lange sie auf dem soliden Boden ihrer engagierten Sozialpolitik weiterarbeitet, und so lange sie das glaubwürdig vertreten kann. Sobald sich das Gefühl breitmachen würde, dass die Ideologie das eigentliche Ziel sei, wäre es vermutlich schnell vorbei mit dem Bürgermeistersessel.

Warum eine Partei noch immer das Label Kommunismus tragen muss, wenn der Kommunismus doch nur eine Ideologie sei, die ohnehin nur in der Utopie existiere, diesen Widerspruch wird die KPÖ nie ganz auflösen können. Es scheint aber zumindest in Graz einer großen Zahl an Menschen egal zu sein - so lange die Partei nicht wie eine kommunistische Partei agiert. Wieder so ein Widerspruch.

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