Die nächste Krönung in England: Der Song Contest beginnt
Von Georg Leyrer
Die popkönigliche Beatles-Stadt Liverpool ist Schauplatz, eine Comeback-Story, wie sie so gerne erzählt wird, bahnt sich an, und irgendwo lauert auch ein bisschen ein Ätsch-Gefühl, dass die Brexitbriten den Song Contest trotzdem nicht loswerden: Der Papierform nach bietet die, am Dienstag mit dem ersten Halbfinale startende und am Samstag nach dem nachgerade byzantinisch komplizierten Auszählungsmodus zu später Stunde endende, Song-Contest-Woche alles, was die Menschen mögen, die den Song Contest mögen.
Und das sind, man weiß das, viele mehr als jene, die es zugeben: „Nein, ich habe nicht Krönung geschaut“ und „Nein, ich schaue nicht Song Contest“ ist ungefähr in gleichem Ausmaß eine Verzerrung des Sehverhaltens. Die Bekennerquote ist niedrig, die Seherquote zumeist hoch.
Aber eigentlich ...
Zwischen schrillen Outfits, dem einen oder anderen Spaßauftritt und (zumeist) überraschend viel guter Musik wird aber die kommende Woche durchaus ernste Nebentöne haben. Denn eigentlich sollte der Tross aus Fans, Musikern und Fernsehsendervertretern, die ihre Garderobe für den ungeübten Anlass durchwühlen mussten, in Kiew statt in Liverpool angekommen sein. Diese Aussicht war der überwiegende Tenor des Song Contests 2022, bei dem die Ukraine wie selbstverständlich zum Sieger gekürt wurde.
Aber es ist immer noch Krieg, Menschen sterben, die Ausrichtung ist unmöglich – und deswegen sind nun die Ohren nach Liverpool gerichtet.
Dort hört man jetzt schon: Eh klar, wer diesmal gewinnt. Nein, nicht noch einmal die Ukraine – trotz unveränderter Ausgangslage ist dem solidarischen Anschub des Vorjahres der Eifer ausgegangen.
Nein, am Podest soll eine Sängerin stehen, die dort schon einmal, 2012 in Baku, gestanden ist: Loreen singt diesmal nicht „Euphoria“ (ihr Siegerlied von 2012), sondern „Tattoo“, geschrieben vom selben Team wie damals.
Ihr wird derzeit eine Siegeschance von fast 40 Prozent zugesprochen – beim Song Contest haben die Wettquoten recht verlässliche Wahrsagerkraft; gefolgt von Finnland (Käärijä mit „Cha Cha Cha“), Frankreich (La Zarra, „‚Évidemment“) und der Ukraine (Tvorchi, „Heart Of Steel“).
Ungewöhnlich wird es ein bisschen weiter unten: Schon auf Platz neun der Wettquoten ist Österreich zu finden, vor (!) Großbritannien und Australien. Zumindest demnach sollten es Teya & Salena jedenfalls locker durch ihr Halbfinale schaffen – die beiden rittern am Donnerstag um den Finaleinzug, für jene, denen das etwas bedeutet: mit Startnummer 13.
Dementsprechend signalisiert man im Vorfeld positive Stimmung: „Die zweite Probe war viel besser als die erste. Es hat alles gut geklappt und wir freuen uns schon, wenn wir nächste Woche wieder auf der großen ESC-Bühne stehen“, so Teya laut ORF-Aussendung. „Die Choreografie hat besser gesessen als beim letzten Mal und die Tonprobleme waren weg. Es ist alles wunderbar gelaufen“, sagte Salena.
Edgar wer?
Ihr Song, „Who The Hell Is Edgar?“ tut, was Song-Contest-Songs sollen: Er fällt auf, und wenn es nur dadurch ist, dass er eigentlich nicht wirklich auffällt.
Es geht um Edgar Allan Poe, was irgendwie interessanter klingt, als es dann letztlich ist. Den Song hat inzwischen wohl jeder schon gehört, man ist wie immer unsicher, ob man ihn aus dem Stand nachpfeifen könnte.
Insgesamt treten heuer 37 Nationen an, wobei die fünf größten Beitragszahler der European Broadcasting Union (EBU) sowie Vorjahressieger Ukraine fix fürs Finale qualifiziert sind. Alle Shows werden live auf ORF 1 ab 21.00 Uhr übertragen, es gibt Vor- und Begleitprogramm.