"Der letzte Tango in Paris": Regisseur Bernardo Bertolucci ist tot
Von Alexandra Seibel
Es war im Jahr 1972, als Bernardo Bertolucci die internationale Filmwelt auf den Kopf stellte. Die Premiere seines Erotik-Aufregers „Der letzte Tango in Paris“ hinterließ sein Publikum angeblich in Schockstarre. Die legendäre Filmkritikerin des The New Yorker, Pauline Kael, schrieb über den damals 32-jährigen Regisseur die mittlerweile berühmten Sätze: „Bertolucci und Brando haben das Gesicht einer gesamten Kunstform verändert. Wer konnte damit rechnen?“
Pasolini und Jean-Luc Godard wurden zu wichtigen Einflussquellen von Bertoluccis Anfängen als marxistischer Filmemacher. Zwar arbeitete er auch als Drehbuchautor und schrieb an Sergio Leones Spaghetti-Western „Spiel mir das Lied vom Tod“ mit. Doch spätestens seit seinem brillanten Drama „Vor der Revolution“ (1964), das von einem wohlhabenden, marxistischen Studenten und dessen Verhältnis zu seiner Tante handelt, zählt Bertolucci neben Antonioni, Fellini und Pasolini zu den Schlüsselfiguren des italienischen New Wave der 60er-Jahre. Er war es auch, der (als einziger) mit einem Monumentalepos wie „Der letzte Kaiser“ den Sprung ins große Hollywood-Geschäft schaffte, erstmals an Originalschauplätzen in Peking drehen durfte und dafür neun Oscars gewann.
Der Konformist
Trotzdem entstanden gerade in den frühen 70er-Jahren, in denen Bertolucci auch eine Psychoanalyse begann, Schlüsselwerke seiner lan-gen Karriere. Die Verfilmung von Alberto Moravias Roman „Der Konformist“ unter dem deutschen Titel „Der große Irrtum“ (1970) gilt vielen bis heute als Meilenstein. Jean-Louis Trintignant spielt darin einen Opportunisten, der seine Homosexualität unterdrückt und zum faschistischen Mitläufer wird.
Skandal-Tango
„Der letzte Tango von Paris“ zeigte Maria Schneider und Marlon Brando in einer unmöblierten Wohnung bei expliziten Sexszenen und putschte Bertolucci, dem damals Haft angedroht wurde, zum Skandalregisseur. Der internationale Ruhm war seinem Regisseur jedenfalls sicher und ermöglichte ihm die Verwirklichung seines klassenkämpferischen, fünfstündigen Geschichtsepos „1900“ (1976), das mit dem Tod von Giuseppe Verdi beginnt und mit Stars wie Robert De Niro, Burt Lancaster, und Gérard Depardieu auftrumpft. „1900“ geriet zum spektakulären Misserfolg, den Bertolucci mit dem Gefühl, das einem alle Knochen im Leib gebrochen wurden, verglich.
#metoo-Nachspiel
Übrigens hatte auch „Der letzte Tango von Paris“ im Zuge der #MeToo-Debatte ein Nachspiel. Dem Regisseur und Brando wurde ein grober Missbrauch ihres Machtverhältnisses gegenüber der erst 19-jährigen Maria Schneider vorgeworfen. So gab Bertolucci später zu, dass er und Brando es verabsäumt hatten, Maria Schneider im Vorfeld über die Details der berühmten „Butter“-Szene zu informieren.
Dreh mit Spacey geplant
Nach einer missglückten Bandscheibenoperation im Jahr 2003 saß Bernardo Bertolucci über ein Jahrzehnt im Rollstuhl, den er scherzhaft seinen „elektrischen Stuhl“ nannte. 2014 drehte er einen Kurzfilm, um gegen den Mangel an Barrierefreiheit in Rom zu protestieren.
Auch hatte er angekündigt, mit dem nach Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs in Hollywood in Ungnade gefallenen Kevin Spacey arbeiten zu wollen. Dazu kam es nicht mehr: Bertolucci ist nun 77-jährig nach langer Krankheit in Rom gestorben.