Der Kultursommer im ORF: "Da sind wir Champions League"
Von Peter Temel
Die heißen Sommermonate sind nicht die Zeit der großen Serienpremieren – eher die der Wiederholungen. Ganz anders sieht es im Kulturbereich aus, zwischen Juni und September läuft die ORF-Maschinerie hier auf Hochtouren. 500 Stunden Kulturprogramm sendet man von den Schauplätzen zwischen Neusiedler- und Bodensee. 70 TV- und 160 Radioübertragungen wurden gestern präsentiert.
„Wir berichten nicht aus Selbstzweck heraus“, versicherte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann, und verwies auf 4,8 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer aus dem Vorjahr. „Wir können die Plattform sein und den Menschen Kunst- und Kulturgenuss übertragen.“ Hierfür investiere der ORF im gesamten Jahr rund 100 Millionen Euro. Zum Vergleich: Für den Sportbereich waren dieses Jahr 119,5 Millionen Euro reserviert. Dieses Budget erlaubte dem öffentlich-rechtlichen Sender nicht mehr, Haupt-Broadcaster bei der Fußball-EM zu sein. Dem ORF bleiben nur 20 von 51 EM-Spielen (und Olympia in Paris).
Martin Traxl ist allerdings für die Kultur im ORF zuständig und sprach von einer Gnade, in einem Land wie Österreich Kultur übertragen zu dürfen: „Das ist das Einzige, wo wir in der Champions League spielen, und das sollten wir verteidigen.“
Jedermann für alle ...
Zahlreiche Intendanten – und wenige Intendantinnen – waren im Wiener Theatermuseum zugegen, als die Höhepunkte des Kultursommers vorgestellt wurden.
Besonders ins Auge sticht die Übertragung des neuen „Jedermann“ mit Philipp Hochmair. Zuletzt hatte es im Sommer 2020 einen „Jedermann“ (mit Tobias Moretti) im ORF zu sehen gegeben. Die TV-Version der Inszenierung mit Lars Eidinger (2021/2022) kam nur nachträglich über Initiative der Festspiele und Regisseur Michael Sturminger zustande und wurde Ostern 2023 auf 3sat gezeigt.
Salzburg-Intendant Markus Hinterhäuser betrachtet das Hofmannsthal-Stück nicht als reine Pflichtübung. „Das Stück muss sein – und es ist zugleich unglaublich wichtig“, sagte er.
... und sicher am Domplatz
ORF 2 überträgt Robert Carsens Neuinszenierung nicht am Premierentag (20. Juli), sondern erst am 27. Juli als Aufzeichnung – um wettermäßig auf Nummer sicher zu gehen. Man wolle "auf jeden Fall die Domplatz-Atmosphäre“ vermitteln, erfuhr der KURIER auf Anfrage vom ORF.
Der Startschuss fällt auch heuer wieder am 21. Juni mit der zeitversetzten Sommernachtsgala aus Grafenegg in ORF 2, für die Intendant Rudolf Buchbinder Sopranistin Regula Mühlemann verpflichtet hat, während Marta Gardolinska die Tonkünstler durch den Abend führt. Eher gegen Ende, am 16. August, ist dann die eigentliche Festivaleröffnung aus Grafenegg in ORF III zu erleben, die Buchbinder am Klavier gemeinsam mit den Tonkünstlern bestreitet.
Von den Salzburger Festspielen zeigt man etwa den neuen "Jedermann" mit Philipp Hochmair (27. Juli in ORF 2), für den nicht zuletzt Intendant Markus Hinterhäuser die Werbetrommel rührte: "Das Stück muss sein - und es ist zugleich unglaublich wichtig." Zu sehen ist aber auch Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" (16. August in ORF 2) oder Prokofjews "Der Spieler" (24. August in 3sat).
Von den Kollegen in Bregenz ist die heurige Seebühnenproduktion "Der Freischütz" für 19. Juli in ORF 2 programmiert, aber auch die Hausoper "Tancredi" ist tags zuvor live in Ö1 respektive als Aufzeichnung von ORF III am 25. August zu erleben. Und die Bayreuther Festspiele sind in 3sat mit dem "Tristan" in der Deutung von Thorleifur Örn Arnarsson am 27. Juli vertreten. Aus dem Römersteinbruch St. Margarethen überträgt ORF 2 am 10. Juli die "Aida" in ORF III.
Konzertant geht es zu beim "Wiener Prater Picknick" der Symphoniker, an dem am 28. Juni in ORF 2 mitgenascht werden kann - in der Hoffnung, dass heuer das Wetter hält. "Beim dritten Mal muss es einfach gut werden", zeigte sich Symphoniker-Intendant Jan Nast optimistisch. Elīna Garančas "Klassik unter Sternen" (14. Juli in ORF III) zählt ebenso zu dieser Kategorie wie "Klassikstars am Traunsee" (7. Juli in ORF III). Und die Schloßbergbühne Kasematten Graz bringt „Der Ring an einem Abend (fast) ohne Worte“ mit Bayreuth-Stars (18. August, ORF III).
Dabei setzt der ORF aber nicht nur auf die großen Jumbojets des Betriebes, sondern hat auch die kleineren, wendigeren Maschinen im Angebot, beleuchtet man in den Sommermonaten doch über 30 österreichische Festivals. Vom Glatt&Verkehrt, dem Woodstock der Blasmusik (28. bis 30. Juni) oder dem Donauinselfest (an allen drei Festivaltagen zwischen 21. und 23. Juni) berichtet man entsprechend ausführlich. Von den Salzkammergut Festwochen in Gmunden zeigt man im Jubiläumsjahr am 4. August in ORF III das Festkonzert "200 Jahre Anton Bruckner" und würdigt am 31. August in ORF III zur 20. Ausgabe auch des Purkersdorf Open Air.
Nicht zuletzt begrüßt man heuer auch einige Neulinge im Reigen der Kulturstandorte. So ist der Carinthische Sommer, der nun unter Leitung von Nadja Kayali steht, mit seinem Abschlusskonzert (18. August ORF III) ebenso erstmals im Übertragungsmarathon vertreten wie die Oper Burg Gars am Kamp mit Intendant Clemens Unterreiner und dem "Liebestrank" (28. Juli in ORF III). Die Tiroler Volksschauspiele Telfs sind mit ihren "7 Todsünden" ebenfalls neu im Talon, während am 8. Juli der Kultur Sommer Güssing unter Neo-Chef Andreas Vitásek mit Kabarett das Quartett der Kultursommereleven komplettiert.
Hinzu kommt aber auch Programm aus den fixen Häusern wie etwa am 8. September die neue "Cosí fan tutte" von Barrie Kosky als Vollendung des Da-Ponte-Zyklus aus der Wiener Staatsoper in ORF III, die am 16. Juni Premiere feiert. Und selbstredend kommen auch die Freundinnen und Freunde kompetitiven Literaturgenusses wieder auf ihre Kosten, wenn 3sat von 27. bis 30. Juni das Wettlesen um den Bachmannpreis aus Klagenfurt überträgt. Zahllose einführende, rückblickende und gustomachende Dokumentationen (etwa "Philipp Hochmair - Eine Reise mit Jedermann" am 29. Juli) flankieren den Strauß der Liveübertragungen.
Neulinge
Es gibt auch Neulinge im Übertragungsreigen wie den Carinthischen Sommer, der nun unter der Leitung von Nadja Kayali steht. Die frühere Ö1-Moderatorin holt das ORF Radio Symphonieorchester (RSO) als Festivalorchester an den Ossiacher See, „weil es ein wunderbarer Klangkörper ist, der von Romantik bis zeitgenössischer Musik alles spielen kann“. Das RSO war in der Phase des Ringens um das neue ORF-Gesetz zur Diskussion gestellt worden. Ein weiteres Anliegen ist Kayali, Musik von Frauen zu präsentieren. Ö1 überträgt das Eröffnungskonzert mit Werken von Fanny Hensel, Clara Schumann u.a. am 6. Juli.
Ebenfalls neu im breit gefächerten ORF-Programm (siehe Kasten) ist die Oper Burg Gars im Kamp. Neo-Intendant Clemens Unterreiner wird Donizettis „Liebestrank“ mit Audiodeskription für Blinde und Sehbehinderte präsentieren. „Für mich als ehemals sehbehinderter Mensch ist es wichtig, Inklusion zu leben“, sagte Unterreiner.
Neu ist für Kabarettist Andreas Vitásek die Rolle als Intendant des Kultur Sommers Güssing. Aufgrund des kurzen Planungshorizonts entschied er sich dazu, ein Kabarettfestival zu machen. Übers Südburgenland sagte Vitásek: „Ich wollte dort unten eigentlich einen gemütlichen Lebensabend verbringen und habe mir nun eine Arbeit eingetreten.“