Kultur

"Macondo": Eine unbekannte Welt

Macondo" liegt in Simmering. Zwischen Flughafengelände, Ostautobahn und Donauufer. An die 3000 Flüchtlinge aus aller Welt leben in dieser Siedlung – und in Sudabeh Mortezais gleichnamigem Spielfilmdebüt auch ein kleiner Junge aus Tschetschenien. "Macondo" lief als einziger österreichischer Beitrag am Ende der Berlinale im Hauptwettbewerb – und konnte sich sehen lassen.

Man spürt, dass die in Teheran geborene und in Wien lebende Regisseurin vom Dokumentarfilm ("Im Bazar der Geschlechter") kommt. Leichtfüßig findet sie mit beweglicher Kamera Nähe zu ihren jungen Protagonisten, sieht Kindern am Spielplatz und beim Fußballspielen zu und entfaltet unaufgeregt ihre Geschichte.

Mortezai erzählt aus der Perspektive des elfjährigen Ramasan, der seiner verwitweten Mutter bei der Beaufsichtigung seiner beiden kleinen Schwestern zur Hand geht. Seine Welt gerät in Unruhe, als Isa, ein angeblicher Freund seines im Krieg getöteten Vaters, auftaucht. Zuerst fühlt er sich zur neuen Vaterfigur hingezogen. Dann jedoch keimt Eifersucht auf, als klar wird, dass der neue Mann einen Platz in der Familie einnehmen könnte.

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Erstaunlich

"Macondo" ist insofern erstaunlich, als es am Rande von Wien eine weitgehend unbekannte Welt auftut. Da, wo die Stadt in die Gstätten übergeht, wo Beton plötzlich in Wiese und Donauufer mündet, verortet Mortezai das Leben ihres Protagonisten. Im Gegensatz zu thematisch ähnlich orientierten Filmen werden nicht die österreichischen Behörden und deren Verhältnis zu Flüchtlingen kritisch ins Auge gefasst.

Im Gegenteil. Asylwerbungshelfer und Polizisten treten weitgehend neutral, teilweise freundlich und nur am Rande des Geschehens auf. Auch die Siedlung erscheint nicht als Ort der Tristesse, sondern als bunt bewohnter, integrativer Lebensraum. Stattdessen nimmt Mortezai den Prozess des Coming-of-Age ins Visier. Sie erzählt von der Schwierigkeit eines entwurzelten Buben, seine Identität zwischen kindlicher Unreife und vaterlosen Macho-Fantasien entfalten zu müssen.

Grau

Kindheit und Jugend zählte thematisch zu den Schwerpunkten der Berlinale. Der österreichische Beitrag "Risse im Beton" von Umut Dağ ("Kuma") im Panorama konzentrierte sich ebenfalls auf Jugendliche mit migrantischem Hintergrund in Wien – allerdings in der Testosteron-geschwängerten Rapper- und Drogen-Szene. Dağ ("Kuma") erzählt ein hochgefahrenes Vater-Sohn-Melodram, in dem das F-Wort öfter fällt als man zählen kann. Dabei bleibt Dağ trotz Hardcore-Realismus im grauen Getto-Wien zwischen Rap-Musik und Drogendeal im Genre-Schematismus stecken.