Lars Eidinger: "Ich bin von Selbsthass getrieben"
Von Nina Oberbucher
Bertolt Brecht konnte seine erfolgreiche „Dreigroschenoper“ selbst nie auf die Kinoleinwand bringen. Doch er hinterließ ein Exposé, an dem sich nun Regisseur Joachim A. Lang orientiert hat. In „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ erzählt er nicht nur das Stück selbst nach, sondern auch die Geschichte rund um das gescheiterte Filmprojekt. In den Hauptrollen: Tobias Moretti, Hannah Herzsprung, Robert Stadlober – und Lars Eidinger als Brecht.
KURIER: In diesem Jahr wäre Bertolt Brecht 120 Jahre alt geworden. Warum ist er noch immer aktuell?
Lars : Es ist eigentlich frustrierend, wenn man bedenkt: Brecht hat die ganze Entwicklung des Faschismus vorausgeahnt, hat das Potenzial gehabt, die Gesellschaft zu verändern – und hat trotzdem keinen Einfluss gehabt. Jetzt sehen wir uns eigentlich wieder mit den gleichen Problemen konfrontiert.
Was kann denn ein Film wie „Mackie Messer“ bewirken?
Man kann schon, glaube ich, ein wenig Einfluss nehmen – und wenn’s nur darum geht, dass man die Leute in einen komplexen Diskurs zwingt. Bei der Premiere habe ich das gemerkt. Man macht sich als Kunstschaffender etwas vor, wenn man denkt, die Leute wüssten mehr über Brecht, als dass er vielleicht einen schwarzen Ledermantel getragen und Zigarre geraucht hat. Die „Dreigroschenoper“ haben auch nicht alle gesehen. Dass man die Leute im Film mit der Welt von Brecht konfrontiert, nebenher die „Dreigroschenoper“ erzählt und dann auch noch zwischen den zwei Ebenen hin- und herspringt – ich glaube, das überfordert viele.
Das klingt ja nicht gerade positiv.
Aber ich finde das gut, denn so kann man in gewisser Weise Gesellschaft verändern, indem man sagt: Schaut mal, eure Sehgewohnheiten haben sich so verändert, dass ihr nicht mehr die Aufmerksamkeitsspanne habt, zweieinhalb Stunden einem komplexen Phänomen zu folgen. Eigentlich wollen die Leute die ganze Zeit weiterskippen und umschalten. Aber können sie halt nicht im Kino. Bei der Premiere hat mich das gefreut, als ich gemerkt habe: Die Leute sind es gar nicht mehr gewohnt, sich dem auszusetzen.
Bei Brecht heißt es, die Kunst müsse von den Schicksalen der Menschen bewegt werden. Wovon lassen Sie sich denn bewegen?
Brecht hat eine gewisse Fehlerhaftigkeit bei den Menschen erkannt und auch, dass das eigentlich das ist, was sie ausmacht. Dass jemand wie Brecht trotzdem kein Zyniker geworden ist, sondern die Menschen liebt, das finde ich die wichtigste Erkenntnis. Davon versuche ich mich auch leiten zu lassen: In dem Moment, wo man sich selbst liebt, ist man überhaupt erst in der Lage, andere zu lieben. Das ist so ein banaler Satz, aber er trifft es ganz gut. Ich glaube, ziemlich viele von den Konflikten, an denen ich mich abarbeite, sind getrieben von Selbsthass.
Woher kommt der Selbsthass?
Ich finde mich halt ganz oft blöd, wenn ich mich im Nachhinein reden höre oder sehe. Ich schau mir das nicht an und denke mir dann: Das habe ich aber wieder toll gemacht! Wenn ich morgen Früh nach so einem Interview-Marathon wie heute aufwache, fühlt sich das an wie nach einer Vergewaltigung. Ich sitze hier, dann kommt ein Journalist nach dem anderen und man wird durchgevögelt. Wie bei einem Gangbang. Am nächsten Morgen wacht man auf und denkt sich: Ich bin missbraucht worden. Das klingt übertrieben, aber man gibt so viel von sich preis und die anderen können damit machen, was sie wollen.
Dafür, dass Sie sich „vergewaltigt“ fühlen, geben Sie aber ziemlich viele Interviews. So schlimm kann es ja dann doch nicht sein.
Aber ich denke mir oft: Vielleicht ist es auch besser, einfach nichts zu sagen? Ich weiß nicht, was da richtig oder falsch ist. Das ist ja auch mein erstes Leben, das darf man nicht vergessen. Durch so einen offensiven Umgang mit den Medien schütze ich mich eigentlich eher, weil ich dann die Kontrolle habe. Wenn ich keine Interviews geben würde, wäre das ja auch ein Image – und das würden aber andere kreieren. In dem Moment, wo ich meinen Instagram-Account selbst führe, erschaffe ich einen Avatar von mir, den ich kontrollieren kann. Aber Interviews … Meine Frau sagt immer: „Mach’ doch lieber eine Psychoanalyse!“ Aber ich benutze das auch, um mir über mich selber klar zu werden. Gewisse Fragen, die Sie mir jetzt stellen, stelle ich mir selbst nicht und ich finde es interessant, gezwungen zu sein, mich da zu äußern.
Bei Brecht und auch bei „Mackie Messer“ taucht immer wieder die Frage auf: Was akzeptiert das Publikum? Als jemand, der gerne provoziert – was sagen Sie?
Aber Brecht beschwert sich ja darüber, weil er sagt: „Das ist für mich kein Kriterium, was das Publikum mitmacht und was nicht.“ Wenn da eine Kamera im Raum ist und wir machen einen Film, dann heißt es: „Bitte nicht in die Kamera schauen!“ Das würde Brecht komplett unterlaufen und sagen: „Moment mal, jeder weiß doch, dass da eine Kamera ist – wieso soll ich da nicht reinschauen?“ Genau das beschreibt er, wenn er meint: „Glotzt nicht so romantisch!“ Tut doch nicht so, als wenn die Fiktion den Anspruch auf perfekte Illusion erhebt! Vielleicht ist das Gegenteil der Fall, vielleicht muss man die Fiktion als einen Teil der Realität verstehen. Es stört mich auch, dass der Zuschauer immer meint, zu wissen, wie es eigentlich ist.
Wann zum Beispiel?
Wie oft sitze ich mit Menschen vorm Fernseher und die sagen zum Beispiel beim „Tatort“: „He, warte mal: So ist das doch nicht bei der Polizei.“ Wenn man wissen will, wie es bei der Polizei ist, kann man sich ja einfach mal eine Stunde aufs Präsidium setzen: Es ist stinklangweilig! Das will sich keiner anschauen. Wenn ich eine exakte Abbildung der Realität will, setze ich mich an den Bahnhof und schau’ mir die Leute an. Da muss ich keinen Film drehen.
Sie werden in deutschen Medien als „Schauspielkönig von Berlin“ bezeichnet. Was soll denn als nächstes kommen?
Es gab auch eine Zeit, da hat sich keiner für mich interessiert. Im Moment stapeln sich bei mir die Drehbücher und ich denke mir: Das gibt’s doch nicht, wie ungerecht! Dass Kollegen von mir gar nichts haben, keinen einzigen Film, und ich weiß nicht, wann ich die alle drehen soll. Ich kann nur sagen: Ich bin kein bisschen glücklicher, als ich war, als ich noch keinen Film gedreht habe. Und das ist ja irgendwie auch beruhigend zu wissen, dass Glück nicht an Erfolg geknüpft ist.
Wie geht es Ihnen mit so einer Bezeichnung wie „Schauspielkönig“?
Das ist kompliziert. Wenn ich Bestätigung erfahre, dann nehme ich das so hin. Aber wenn jemand etwas Negatives sagt, ist das ganz schlimm für mich – egal, wer das sagt, das kann auch irgendein blöder Kommentar bei Instagram sein. Es erschreckt mich immer, dass ich mich von dem Urteil nicht freimachen kann. Das ist aber gleichzeitig das Interessante am Künstlersein, dass sich das eigentlich ausschließt: Ich kann mich nicht unabhängig von der Meinung derer machen, die sich’s anschauen. Ich muss mich dafür öffnen und mir trotzdem eine gewisse Unabhängigkeit bewahren. Das ist natürlich paradox, aber wie Bertolt Brecht sagt: „Die Widersprüche sind die Hoffnungen.“
Zur Person: Lars Eidinger
Auf seinen Fingernägeln trägt er gerne schwarzen Lack, auf der Theaterbühne häufig gar nichts.
Lars Eidinger wurde 1976 in Berlin geboren, studierte dort Schauspiel und ist seit 1999 Ensemblemitglied der Berliner Schaubühne. Dort fiel er nicht nur durch Rollen wie „Hamlet“ auf, sondern auch durch seinen Umgang mit dem Publikum: Wer bei der Vorstellung mit dem Handy spielt oder einzuschlafen droht, wird von Eidinger schon mal offen darauf angesprochen. Er war u. a. in Maren Ades „Alle anderen“ zu sehen, im Kino kann man ihn demnächst in „25 km/h“, „Abgeschnitten“ und „Werk ohne Autor“ erleben.