Kunsthalle Wien: Skopjes Neuerfindung nach dem Erdbeben
Von Marco Weise
Der Ausgangspunkt für Neues ist (leider) oftmals die Zerstörung des Alten: Im Falle der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje war es ein zerstörerisches Erdbeben (der Stärke 6,9 auf der Richterskala), an das sich hierzulande wohl nur noch wenige erinnern können: Bei dieser Katastrophe wurde im Juli 1963 die über Jahrhunderte osmanisch geprägte Bausubstanz der historischen Stadt zu 80 Prozent zerstört.
Im Rahmen des Wiederaufbaus wurde entschieden, ein Museum für zeitgenössische Kunst (MoCA) zu gründen. Die Vereinten Nationen verbreiteten dafür einen Spendenaufruf an Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, Werke für den Bestand dieses Neubaus zu spenden. In weltweiter Solidarität steuerten nach dem Erdbeben viele Staaten finanzielle und auch architektonische Unterstützung in Form von Planung und Ausführung öffentlicher Bauten wie Schulen und Museen bei.
Kunst-Hilfspakete
Nach dem Spendenaufruf schickten auch renommierte Künstlerinnen und Künstler Kunst-Hilfspakete nach Skopje. Das Museumsgebäude selbst wurde mit Geld, das Polen zur Verfügung stellte, errichtet und 1970 eröffnet. Die durch die zahlreichen Kunstspenden entstandene Sammlung versammelt Arbeiten wichtiger und (vorwiegend männlicher) Figuren wie Alexander Calder, Georg Baselitz, Alfred Hrdlicka, David Hockney, Alex Katz und Pablo Picasso.
Wesentlicher Bestandteil der ab sofort in der Kunsthalle Wien zu sehenden internationalen Gruppenausstellung "No Feeling Is Final. The Skopje Solidarity Collection" sind dann auch diese Schenkungen.
Ost trifft West
Kuratiert wurde das Projekt vom Mitte 2024 scheidenden Zagreber Leitungskollektiv WHW - bestehend aus Ivet Ćurlin, Nataša Ilić und Sabina Sabolović -, das hier einmal mehr versucht, den Blick bewusst auf mittel- und osteuropäische Kunst zu lenken. Das Ergebnis ist eine gelungene Ausstellung mit einem bunten Mix aus unterschiedlichen Kunstwelten. Das Spannende der nun zum Teil in Wien zu sehenden MoCA-Sammlung sei, dass sie nicht durch Vorlieben eines Direktors geprägt werde oder der nationalen Repräsentation diene, sondern vielmehr eine Zeitkapsel internationaler Kunst aus dem Geist der Solidarität und Humanität darstelle, meinte Sabolović im Rahmen der Presseführung.
Strukturiert wird das äußerst vielfältige wie zuweilen überfordernde Sammelsurium von einem historisch-politischen Abschnitt, der sich durch die Mitte des Raumes zieht. Hier erfährt man nicht nur genaueres über das Erdbeben und seine Folgen, sondern dank eines Masterplan-Modells, Planzeichnungen und hölzernen Baumodellen vor allem über die stadtplanerischen Visionen des japanischen Stararchitekten Kenzō Tange, der Skopje gewissermaßen als modernistische Vorzeigestadt neu gedacht hatte.
Unterschiedliche Inszenierungen
Das Kuratorinnenteam hat für die Ausstellung einige Künstlerinnen und Künstler eingeladen, Werke aus der "Skopje Solidarity Collection" des MoCA auszuwählen und sie in Kombination mit eigenen Arbeiten für die Kunsthalle zu inszenieren. Gülsün Karamustafa präsentiert etwa einen Teil ihrer eigenen Kitschsammlung mit Gemälden von Bogoja Popovski ("Blumen") bis Božidar Damjanovski ("Angel in White") auf einer floral tapezierten Wand als "Crime Scene".
Riesenmatratze
Aufmerksamkeitserregend ist die Installation des australischen Künstlers Brook Andrew. Er hat eine aufblasbare Riesenmatratze nach Wien gebracht, auf der man liegen und sitzen darf. Das Muster aus schwarzen und weißen Linien zieht sich auf der Mauer weiter und bildet den Hintergrund etwa für Picassos blaugrauen "Kopf einer Frau" (1963), Jasper Johns' "Skin with O'Hara Poem" oder eine übergroße Ambossskulptur von Oto Logo aus Belgrad. Siniša Ilić wiederum stellt vor eigene filigrane Papierarbeiten teils wuchtige skulpturale Objekte, die vor dem Hintergrund des Erdbebens wohl nicht zufällig an Zerstörung und Ruinen denken lässt.
Rahmen
Umrahmt wird die Gruppenschau von Bildern der renommierten österreichischen Fotografin Elfie Semotan, die die Einladung, nach Skopje zu fahren, gerne angenommen hat. Er sei eine "sehr reizvolle" Aufgabe gewesen, wie sie im Pressegespräch sagte. Die Fotos, die Semotan aus Skopje nach Wien mitgebracht hat, dokumentieren den sehr facettenreichen Mix aus Alt und Neu, zeigen, wie sich die Stadt neu erfunden hat und wie sie sich derzeit dem Besucher präsentiert. Diese Bilder machen durchaus auch Lust, Skopje selbst einmal einen Besuch abzustatten. Wer nicht verreisen kann (oder möchte), hat noch bis 28. Jänner 2024 im Rahmen der Ausstellung in der Kunsthalle Wien die Möglichkeit, die nordmazedonische Stadt, den Prozess und das Ergebnis des Wiederaufbaus samt (neuer und alter) Kunst zu entdecken.
INFOS: "No Feeling Is Final. The Skopje Solidarity Collection" in der Kunsthalle Wien im Museumsquartier, bis 28. Jänner 2024