Ausstellung "Substanz": Eine Feier der unreinen Kunst
Von Michael Huber
Es ist ein offenes Geheimnis: Nur ein kleiner Teil jener Menschen, die sich zum Künstlerdasein berufen fühlen und/oder eine künstlerische Ausbildung abschließen, reüssieren auch in dem System, das im engeren Sinn „Kunst“ heißt und in dem Ausstellungen, Kunstverkäufe, Lehraufträge an Kunstunis oder Projektbeteiligungen die sprichwörtliche Butter aufs Brot schmieren.
Neben all jenen, die sich im Laufe ihres Lebens andere Berufsfelder suchen – oft, ohne dabei ihr künstlerisches Tun ganz aufzugeben – gibt es auch solche, die Fuß im System fassen können, sich aber irgendwann entscheiden, außerhalb davon tätig zu werden.
Der Wiener Christian Bazant-Hegemark, einst Student bei Gunter Damisch und Daniel Richter an der Wiener Akademie der Bildenden Künste, ist ein solcher Typ: Neben seiner Tätigkeit als Maler und Zeichner war er unter anderem Videospielentwickler, derzeit durchläuft er eine Psychotherapie-Ausbildung. Außerdem kuratierte er gemeinsam mit Esther Hladik die aktuelle Gruppenausstellung „Substanz“ im Wiener Künstlerhaus, die genau den geschilderten Hybrid-Künstlertyp in den Fokus nimmt.
Mit der Schau zeigt sich die Künstlerhaus-Vereinigung einmal mehr als Kontrastprogramm zur Albertina Modern, die unter demselben Dach wohnt, aber (mit aktuellen Ausstellungen zu Erwin Wurm und Alfred Kubin) einen stärker auf Meisterschaft und Repräsentation fokussierten Künstlerbegriff pflegt.
Recycling
Im Obergeschoß dagegen empfängt einen eine Skulptur aus geschmolzenen Plastik-Schraubverschlüssen, deren Schöpfer, Julian Jovankovic, im Brotberuf eine Firma betreibt, die Paneele aus recyceltem Kunststoff herstellt. Unweit davon scheint ein kleines, mit Pflanzen gefülltes Cabrio-Modell ein Motiv von Erwin Wurms „Fat Cars“ im Erdgeschoß zu wiederholen: Der Künstler hier, Christoph Schwarz, sieht sich aber vielmehr als Aktivist, seine „Cabriobeete“ waren bereits im Rahmen von Klimademos postiert, um auf den Flächenverbrauch durch den Individualverkehr hinzuweisen.
„Substanz“ ist also eine Feier der „unreinen“ Kunst, der assoziative Titel (mitsamt dem verschraubten Zusatz „Empathie, Engagement und Empörung in und abseits der Kunst“) macht aber nicht sofort klar, worum es geht.
Die hybride Natur der gezeigten Werke ist auch nicht immer gleich zu erkennen – etwa in den schönen Wandzeichnungen von Iris Agostinelli, die den Eingangsraum zieren, oder den Arbeiten von Veronika Dirnhofer, deren soziales Engagement oft neben ihrer Arbeit als Malerin stattfindet. Lediglich einschlägige Bücher, die in der Schau als eine Art Sockel für bemalte Keramiken dienen, lassen hier einen Konnex erahnen.
Die große Durchmischung
Bazant-Hegemark und Hladik geben als Kuratoren auch keine durchgehende ästhetische Tonart vor, weshalb sich schrille Malerei (Florine Imo) in der Schau ebenso findet wie feministische Objektkunst (von Vlasta Delimar und der auch als FAZ-Kolumnistin und Autorin tätigen Jovana Reisinger) und subversive Medienkunst (Jung Hsu, Natalia Rivera). Die Brücke zum Game-Design schlägt Georg Hobmeir, der in einen klassischen Ego-Shooter eine Verzögerung einbaut, die die Lebensgeschichte eines (realen) Soldaten erzählt, wenn ein (virtueller) Krieger abgeschossen wird.
Wer durch den Parcours seinen Zugang zu einzelnen Werken findet, stößt wohl auch auf die Frage, ob Kunst, die – aktivistisch, therapeutisch, politisch – einen Zweck erfüllt, mit der hehren Kunst, die nur sich selbst genügt, Schritt halten kann. Auf ästhetischer Ebene fällt das Urteil durchmischt aus. Der Mehrwert davon, Dinge und Prozesse abseits des reinen Verwertungszusammenhangs weiterzudenken, wird aber schwer wegzudiskutieren sein.