Kultur

Kinofilm "Gehört, gesehen": Eintauchen in die Wundertüte Ö1

Mehr als vier Jahre lang haben Jakob Brossmann und David Paede an ihrem Projekt „Gehört, gesehen“ gearbeitet – getrieben von der Ambition, den Betrieb von Ö1, des sicher intelligentesten ORF-Spartensenders, sichtbar zu machen.

„Wie viele andere Leute auch sind wir als Studierende zu leidenschaftlichen Radiohörern geworden“, resümiert Jakob Brossmann sein Radiofaible. „Da gibt es viel klassische Musik, Nachrichtenmagazine und Wortsendungen, die einem eine ganz neue Welt eröffnen können. Ich erinnere mich an eine Sendung über tropische Molche, die sich zur Paarungszeit einen 500 Meter hohen Wasserfall hinunter stürzen. Die hat mich damals, als ich sie hörte, extrem beeindruckt.“

David Paede ist eine „Zeitton“-Folge über Musik, die mit der Trommel einer Waschmaschine erzeugt wurde, im Gedächtnis geblieben: „Ich lag auf der Couch und dachte mir: Wow, was ist das denn? Ö1 hören ist wie das Eintauchen in eine Wundertüte. Man weiß nie genau, was einen wieder an Neuem und Originellem erwartet“.

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Wie eine lange geplante Studienreise

Einen Kinofilm über Ö1 zu machen war für die beiden jungen Regisseure folglich wie eine lang geplante Studienreise mit dem Zweck der Erkundung dieser prall gefüllten Wundertüte. Mit Begeisterung stellten sie der versammelten Ö1-Mannschaft ihr Projekt vor und überzeugten: Die Radiomacher ließen sich bereitwillig auf das Projekt Bei-der-Arbeit-gesehen-und-nicht-in-Ruhe-gelassen-Werden ein.

Brossmann: „Wir hatten den Eindruck, dass die Redakteure und Macher bei Ö1 uns als Spiegel wahrnahmen, als eine Art erweiterten Reflexionsprozess für ihre Arbeit im Sender.“ Aufgrund ihres ausgeprägten journalistischen Ethos sei für die Ö1-Leute klar gewesen, dass sie den Filmemachern nichts als die Wahrheit auftischen und ihnen bei ihren Recherchen keine Hürden in den Weg legen wollten.

Paede: „Es war ihnen auch bewusst, dass da – weil wir ja überall dabei sein durften – Situationen vorkommen, die ihnen wehtun könnten. Zum Beispiel, dass wir die Tatsache, dass damals die Hörerzahlen zurückgingen, in einem Kinofilm ausbreiten. Aber das hat sich Gottseidank dann eh in Wohlgefallen aufgelöst. Heute hat Ö1 höchst zufriedenstellende Hörerzahlen.“

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"Das Maß an Selbstreflexion hat uns beeindruckt"

Gefilmt wurde auch in zahlreichen Redaktionssitzungen, wo es mitunter zu intensiven Diskussionen über die Qualität von Sendungen kommt. Doch auch wenn die Standpunkte weit auseinanderliegen, zu ausfälligen oder untergriffigen Bemerkungen kommt es so gut wie nie. Brossmann: „Das Maß an Selbstreflexion in den Sitzungen hat uns sehr beeindruckt. Es war uns wichtig, dieses Reflexionsniveau zu vermitteln sowie die erstaunliche Fähigkeit zur Selbstkritik, die eine wichtige, aber in vielen Medien nicht mehr auffindbare Tugend ist.“

Dadurch ließe sich auch viel über Journalismus und journalistische Qualität in unserer von Fake News und Filterblasen geprägten Lebensrealität vermitteln. „Wenn Falschmeldungen aufgrund ihrer ungefilterten Verbreitung für bare Münze genommen und Journalisten vor laufender Kamera von Regierungsparteien attackiert werden, dann muss dagegen gehalten werden. Dann muss das thematisiert und reflektiert werden. Das wollten wir rüberbringen, dass Ö1 dafür steht. Nicht nur das Porträt einer Sendestation machen.“

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"Wir wollten nur die ruhigen Beobachter sein"

Der Stil von „Gehört, gesehen“ ist unaufgeregt und reduziert: keine Interviews, kein Erzähler, kaum Kamerabewegungen. Paede: „Es war uns schon wichtig, mit der Kamera direkt in die Dialoge zu gehen. Aber wir wollten nur die ruhigen Beobachter sein, sozusagen die Fliege an der Wand, die an diesen Momenten teilhat. Wir kommen beide aus der Position des direct cinema, des beobachtenden Dokumentarfilms, und wollen, dass das Publikum etwas so unmittelbar erleben kann, wie wir es als Filmer auch erleben. Selber etwas erleben, selber beobachten, selber zu Schlüssen kommen.

"Das ist der permanente Kampf, den wir als Dokumentarfilmer ja auch kennen"

Hatten die beiden den Eindruck, dass trotz allen Qualitätsbewusstseins bei Ö1 auch auf die Quote geschielt wird? – Brossmann: „Naja, es besteht schon großes Interesse an den Rückmeldungen aus dem Kundencenter, die in einem wöchentlichen Report zusammengefasst werden. Gleichzeitig muss sich der Sender über den großen Radiotest legitimieren, was seine Ausgaben betrifft. Dadurch hat Senderchef Peter Klein unmittelbares Interesse daran, dass die Hörerzahlen zumindest konstant bleiben“.

Paede: „Das ist der permanente Kampf, den wir als Dokumentarfilmer ja auch kennen. Nämlich, dem eigenen Anspruch innerhalb der technischen und finanziellen Möglichkeiten gerecht zu werden, aber auch den Bedürfnissen des Publikums zu entsprechen und sich nicht selbst zu verraten. Was mir bei den Menschen bei Ö1 imponiert ist, dass sie sich sehr treu bleiben. Man könnte gewisse Dinge populärer gestalten und mehr Hörer generieren, aber das machen sie nicht. Würden sie nie tun.“

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Zum Abschluss hat Jakob Brossmann noch ein Zitat des früheren Ö1-Chefs Alfred Treiber parat, das die Senderphilosophie ganz gut definiert: „Wer sich nur für klassische Musik interessiert und nicht für die politischen und kulturellen Entwicklungen in der Welt, der ist kein Kulturmensch, sondern ein Trottel. Ein Menschenbild zu vermitteln, dass Literatur, Musik, Politik und Wissenschaft zusammengehören, ist schon wesentlich. Aber das zu vereinen ist natürlich ein riesiger Balanceakt“.

Ö1 unternimmt ihn Tag für Tag. Und der Film gehört gesehen.

Ab 24. Mai im Kino.

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