Kultur

Jugendbücher: Auch mit siebzig ist man noch jemandes Kind

Mitten in der Nacht sitzen in einem Auto zwei Mütter und zwei Töchter. Zwei davon sind gleichzeitig Großmütter, eine ist außerdem ein Geist.

Roddy Doyles Roman "Mary, Tansey und die Reise in die Nacht" erzählt vom Tod und dem Umgang damit. Was kitschig klingt – die Oma der zwölfjährigen Mary liegt im Sterben und begegnet ihrer jung verstorbenen Mutter nun in Gestalt eines Geistes wieder – ist gleichzeitig berührend und komisch. Denn die vier Ladys sind mit ebenso großen Mundwerken wie Herzen ausgestattet.

Tragische Geschichten

So etwas kommt öfters vor in den Geschichten des 56-jährigen Dubliners Roddy Doyle. Oft erzählt er von patscherten Leben, die mit Humor bewältigt werden. Tragische Geschichten, lakonisch und überaus spannend in rotzigem Ton serviert. Seit seinem Roman "The Commitments", der von Alan Parker verfilmt wurde, gehört Doyle zu den großen Erfolgsautoren Irlands. Die Romane "The Snapper" und "The Van" wurden von Stephen Frears verfilmt, "Paddy Clarke Ha Ha Ha" erhielt 1993 den Booker-Preis.

Mit "Mary, Tansey und die Reise in die Nacht" hat der dreifache Vater sein siebentes Kinderbuch geschrieben. Die Vier-Generationen-Geschichte wurde in England von Kritik und Publikum begeistert aufgenommen. "A Greyhound of a Girl", heißt es im Original, man könnte das mit "Ein Mädchen wie ein Windhund" übersetzen.

Marys Großmutter Emer hat Windhunde nie ausstehen können. Sie hat die Tiere für den Tod ihrer Mutter Tansey verantwortlich gemacht, die sehr jung, als Emer gerade drei war, an Grippe starb. Emer glaubt, dass Tansey sich erkältete, weil sie jeden Abend draußen in der Kälte stand, um die Hunde zu füttern. (Was nicht stimmt, die Tiere werden am Ende rehabilitiert, Mary darf sich einen Windhund wünschen.)

Zum Geist wurde Tansey deshalb, weil sie sich als jung Verstorbene Sorge um ihre kleine Tochter machte und sich nicht vom Leben trennen konnte. Zu erkennen gibt sie sich erst jetzt, kurz bevor ihre Tochter selbst stirbt. Gemeinsam mit deren Tochter Scarlett und Enkelin Mary macht sie sich auf eine letzte Reise durch die Nacht. Die gerät, trotz traurigem Plot, sehr lustig.

Doyle ist Spezialist des "Comic Writing": Auch in der größten Not gibt’s was zu lachen. Seine leidenden Helden geraten stets in bizarre Situationen, die die Verzweiflung erträglicher machen.

Die Geist-Mama

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Eine traumhaft groteske Szene ist etwa jene, als Geist Tansey im Fond des Autos sitzt, neben ihr ihre Tochter Emer. Emer hat, gemäß der Familientradition, eine ziemlich große Klappe. Weshalb ihre Geist-Mutter sie ermahnt, sie möge nicht so unhöflich sein. Komisch ist das deshalb, weil die Geist-Mutter hier erstmals seit Jahrzehnten ihren Mutterpflichten nachkommt, wo ihre Tochter ja schon selbst Oma ist. Und berührend ist es, weil man eben auch mit über siebzig jemandes Kind bleibt.

KURIER-Wertung:

INFO: Roddy Doyle: „Mary, Tansey und die Reise in die Nacht.“ cbj-Verlag. Aus dem Englischen von Andreas Steinhöfel. Ab 12. 236 Seiten. 8,30 Euro.

Beim Aufwachen sitzt immer eine andere Mutter am Bett. Manchmal eine gute, manchmal eine schlechte, manchmal auch gar keine.

A. wacht jeden Tag im Körper eines anderen auf. Seit er existiert, seit 5994 Tagen. Einmal ist er Fettwanst, einmal Diabetiker, einmal Sportfreak, einmal Streber. Heute ist er Justin. "Ich bin nie zwei Mal dieselbe Person, aber in solchen Typen wie dem habe ich schon oft dringesteckt." Justin ist kein besonders sympathischer Mensch, der Tag in seinem Körper wird irgendwie vorübergehen. Der Körperbesitzer wird sich an nichts erinnern. Die Probleme beginnen, als sich A. in Justins Freundin Rhiannon verliebt.

David Levithan erzählt in "Letztendlich sind wir dem Universum egal" davon, wie es ist, jeden Tag ein anderer zu sein. Die Vorteile: Man weiß viel über das Leben an sich, jeder Tag ist ein neues Abenteuer. Doch man hat kein Zuhause. Als Kind hatte A. oft Panik vor dem Einschlafen, er wollte nicht fort von den jeweiligen Eltern. Er weiß, er wird nie irgendwo dazugehören, und seine Liebe zu Rhiannon hat wohl keine Chance. Die Botschaft von Levithans sehr politisch korrekter Geschichte ist die: Die Verpackung ist egal, es zählt, was drin ist. Leider gibt’s noch eine zweite: Liebe kann nicht alles überwinden. Ein schönes, trauriges Buch.

KURIER-Wertung:

INFO: David Levithan: „Letztendlich sind wir dem Universum egal.“ Fischer Jugendbuch. Aus dem Amerikanischen von Martina Tichy. Ab 12. 400 Seiten. 17,50 Euro.

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Scheußlich ist das: Grüner Rauch wabert aus Mündern stinkender Hexen und vermeintliche Schönheiten, die am Hinterkopf versteckte Fratzen tragen, lassen Kinder in schwarzen Löchern verschwinden. Diese werden ermordet, auf ihren Körpern Schriftzeichen hinterlassen.

Stefan Bachmann hat "Die Seltsamen" mit 16 Jahren geschrieben. Dem in der Schweiz lebenden Amerikaner, der daheim von seiner Mutter unterrichtet wurde, gelang eine erstaunlich eloquente Mischung aus Fantasy und Charles Dickens. "Herr der Ringe" plus Sozialkritik im viktorianischen England – die "Seltsamen" sind von der Gesellschaft unterdrückte Mischwesen aus Feen und Menschen, die an den "Gollum" erinnern. Spannend und erstaunlich gut geschrieben, doch stellenweise etwas oberg’scheit: Wenn der 16-Jährige schreibt: "(Er) war ein ausgesprochen netter junger Mann, was vielleicht erklärt, weshalb er es als Politiker nie weit gebracht hat."

KURIER-Wertung:

INFO: Stefan Bachmann: „Die Seltsamen“. Aus dem Amerikanischen von Hannes Riffel. Ab 12. 368 Seiten 17,40 Euro.

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Ein 17-Jähriger, der wegen Marihuana Schwierigkeiten mit der Polizei bekommt. So weit, so unspektakulär. Alex Woods Leben ist trotzdem ganz anders. Es begann damit, dass ein Meteorit im Haus seiner Mutter einschlug und die Schädeldecke des damals 10-Jährigen beschädigte. Nachdenklich und doch witzig.

KURIER-Wertung:

INFO: „Das unerhörte Leben des Alex Woods.“ Limes Verlag. Aus dem Englischen von Alexandra Ernst. Ab 12. 480 Seiten. 20,60 Euro.

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Seth ertrinkt. Die letzten Minuten seines Lebens bestehen aus Angst vor dem Tod. Als er wieder aufwacht, befindet er sich in der Hölle. Seiner persönlichen Hölle. "Mehr als das" ist ein rätselhaftes Gedankenspiel, das an Filme wie "Inception" mit mehreren Wirklichkeitsebenen erinnert. Dicht, clever, finster, sprachlich brillant.

KURIER-Wertung:

INFO: Patrick Ness: „Mehr als das.“ cbt Verlag. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Ab 14. 512 Seiten. 18,50 Euro.

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Die Erde ist von Aliens besetzt worden, und eine Elfjährige macht sich allein auf die weite Reise zu ihrer Mutter. Begleitet wird sie nur von ihrer verwöhnten Katze Sau (sic!). Später gesellt sich ein Außerirdischer dazu. Lustiges Roadmovie, das nach einer Verfilmung geradezu schreit. DreamWorks arbeiten dran.

KURIER-Wertung:

INFO: Adam Rex. „Happy Smekday“. Aus dem Amerikanischen von Anne Brauner. Überreuter. Ab zehn. 17,50 Euro. 448 Seiten.

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Rut und ihre Schwester leben mit ihrer Mutter Alvain einer Siedlung am Rand einer großen Stadt in Südafrika. Ihre finanzielle Lage ist eng und sie stehen den Schwarzen näher als den Weißen. Doch wer sich in Südafrika zur Zeit der Apartheid mit Schwarzen solidarisiert, stößt an die Grenzen der Toleranz. Einfühlsam.

KURIER-Wertung:

INFO: Lizzy Hollatko: „Der Sandengel“ Jungbrunnen. Ab elf. 140 Seiten 14.95 Euro.

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Im fiktiven australischen Provinzstädtchen Corrigan verschwindet 1965 die Tochter des Bezirkspräsidenten. Nureiner kann dafür verantwortlich sein: Jasper Jones, der Außenseiter des Ortes. Dessen einziger Freund ist der dreizehnjährige Charlie Bucktin. Anspruchsvoller, gesellschaftskritischer Jugendroman.

KURIER-Wertung:

INFO: Craig Silvey: „Wer hat Angst vor Jasper Jones?“ Rowohlt Rotfuchs. Aus dem Englischen von Bettina Münch. Ab 14. 432 Seiten. 17,50 Euro.

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