Kultur

Geisterhaus in der Klischee-Falle

Man kann jemandem, der seine eigene Geschichte erzählt, wahrscheinlich nicht vorwerfen, er verharmlose sie. Antú Romero Nunes’ Familie hat den Militärputsch gegen Salvator Allende 1974 selbst erlebt. Und doch wirkt seine Interpretation von Isabel AllendesGeisterhaus“, das 70 Jahre chilenische Geschichte bis zur Militärdiktatur erzählt, banal. Sein „Geisterhaus“, das am Donnerstag im Akademietheater Premiere hatte, mutet stellenweise wie eine historische Aufarbeitung für Kinder an. Da kann noch so oft der Schlüsselsatz aus dem Roman, es handle sich dabei um eine Geschichte über „Schmerz, Blut und Liebe“ zitiert werden.

Am wenigsten liegt das an den Hauptdarstellern: August Diehl und Ignaz Kirchner brillieren als junger und alter Esteban Trueba, dessen Aufstieg und Fall den roten Faden in Allendes „Geisterhaus“ ebenso wie in dieser Bühnenfassung bildet. Große Momente gelingen, wenn die beiden gleichzeitig über das Leben des bis zuletzt störrischen, von seinem Recht als „Patron“ überzeugten Esteban reflektieren. Als stolzer und zugleich verzweifelter Alter, der in letzter Not um Hilfe für seine Enkelin bittet, ist Kirchner fabelhaft.

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Folterknecht

Und Diehl steht es gut, diesmal erwachsener Mann statt fiebriges Bürschchen zu sein. Er ist glaubwürdig als brutaler, verzweifelter Schwerarbeiter Esteban, der vergeblich versucht, die Liebe seiner mit übersinnlichen Kräften ausgestatteten Frau Clara zu erringen. In seiner Doppelrolle als Folterknecht Garcia kommt er gar an Vincent Gallo in Bille Augusts berühmter Roman-Verfilmung heran. Caroline Peters gelingt es, Claras Spiritualität mit einer stillen, aber hartnäckigen Bodenständigkeit auszustatten, ohne in die Manierismus-Falle, die hellseherische Fähigkeiten stellen, zu tappen. Das lässt sich vom Rest der Vorstellung leider nicht behaupten.

Ausgestopfter Hund

Was manche Kritiker Allendes Roman vorgeworfen haben – nämlich Kitsch – wird hier auf die Spitze getrieben. Ausgestopfte Hunde, nackte Jungfrauen, Charlie Chaplin, die Nachstellung einer Szene des Folterskandals von Abu-Ghraib ... und dann auch noch das Letzte Abendmahl – ein bunter Bilderreigen, der anhand grotesker, manchmal auch schöner Ideen, letztlich doch nur wie ein Kalvarienberg zu Pinochet den Roman nacherzählt.

Bestimmt war es keine leichte Übung, über ein halbes Jahrhundert erzählte Zeit – die Geschichte Chiles und jene der Familie Trueba – auf dreieinhalb Stunden zu verdichten. In diesem bösen Familienmärchen um Klassenkampf und Militärdiktatur ist viel los, und so wird die komplizierte Vorgeschichte zunächst von einem Frauen-Sextett (Jasna Fritzi Bauer, Sabine Haupt, Dörte Lyssewski, Caroline Peters, Aenne Schwarz und Adina Vetter) erzählt. Was folgt, ist eine stellenweise sehr schrille Bildergeschichte, in der die feministische Ambition des Romans – schon früh ist von Frauenrechten die Rede – zu gewollt betont wirkt: Dass Männerrollen von Frauen dargestellt werden, ist gut gemeint, aber eben nicht gut.

Andere Ideen sind durchaus clever: So wird das Erwachsenwerden Klaras als Stummfilm im Zeitraffer dargestellt. Gelungen ist auch die Bühne: Florian Lösches graue Wandteile sind in ihrer Schlichtheit erstaunlich wandlungsfähig. Problematisch aber bleibt an dieser Inszenierung, dass sie glaubt, mit Lateinamerika-Klischees zu spielen, ihnen aber doch nur auf den Leim geht. Zwar gelingt die Darstellung des hysterischen Katholizismus – Dörte Lyssewski ist als Estebans fanatisch-fromme Schwester Férula wunderbar. Aber wenn versucht wird, magischen Realismus anhand von surrealistisch-folkloristischen Bildern und begleitender Gitarrenmusik einzufangen, dann ist nicht klar, ob das ironisch gemeint ist. Man wartet fast auf El Condor Pasa.

KURIER-Wertung: