Interview mit Sudabeh Mortezai: „Ganz nahe an der Realität“
Von Alexandra Seibel
Die Frauen tragen alle ein Glücksversprechen im Namen. Sie heißen Joy und Precious, Hope und Success, Blessing und Faith: „Das sind typisch nigerianische Namen“, erzählt Regisseurin Sudabeh Mortezai im KURIER-Gespräch: „Diese Namen sind wie die guten Wünsche, die man einem Kind mitgibt.“
Auch die Hauptdarstellerin in Mortezais mitreißendem, mehrfach ausgezeichneten Drama „Joy“ trägt das Glück schon im Namen – obwohl sie als Prostituierte am Rande der Abschiebung wenige Freuden in ihrem Leben genießt. Trotzdem habe sich der Name richtig angefühlt, sagt Mortezai, „denn meine Figur ist auf der Suche nach Freude.“
„Joy“ (ab heute im Kino) ist eine junge Nigerianerin in Wien und Mutter eines Kleinkindes. Sie geht für eine nigerianische Zuhälterin, die von allen nur als „Madame“ angesprochen wird, auf den Strich und wohnt, gemeinsam mit den anderen Prostituierten, in einer engen Wohnung. Ihrer Madame schuldet Joy eine große Menge Geld. Die Reise nach Europa mit Schleppern kostete Zigtausende Euros und muss nun zurückgezahlt werden.
Außerdem hat Joy in ihrer Heimat den sogenannten „Juju-Schwur“ – ein Voodoo-Ritual – abgeleistet, der es ihr verbietet, Anzeige gegen ihre Landsleute zu erstatten. Die Madame, selbst ehemalige Prostituierte, führt ein eisernes Regime. Sie weist Joy an, eine junge Frau namens Precious in ihr neues Leben als Prostituierte einzuführen. Als diese sich zuerst weigert, schreckt Madame auch nicht davor zurück, Precious mit einer angeordneten Vergewaltigung gefügig zu machen.
Der Kreis der Ausbeutung zwischen den Frauen sei der Grund gewesen, warum sie sich für diese Thematik überhaupt interessiert habe, erzählt Mortezai, österreichische Regisseurin mit iranischen Wurzeln: „Natürlich kann man die Madame als böse verurteilen. Aber auch sie war einmal jemand wie Joy und Precious. Da lässt sich nicht so klar zwischen Opfer und Täterin differenzieren.“
Ware Frau
Anstoß zu ihrem Projekt war das Sachbuch „Ware Frau. Auf den Spuren moderner Sklaverei von Afrika nach Europa“ von Mary Kreutzer und Corinna Milborn: „Warum gibt es dazu keinen Film?“, fragte sich Sudabeh Mortezai und begann, nach der Fertigstellung ihres Spielfilms „Macondo“, in Nigeria und in der nigerianischen Community in Wien zu recherchieren.
Sie befragte viele Frauen und entwickelte daraus ihr Drehbuch, das sich an deren Perspektive hielt und von ihren (gewaltvollen) Erfahrung als Sexarbeiterinnen erzählt, sie aber auch in ihre Kirchen begleitet und in deren Freizeit beobachtet: „Natürlich ist die Geschichte fiktionalisiert, aber wir bleiben ganz nahe an der Realität. Frauen wie die Madame und Joy gibt es zuhauf.“
Gedreht wurde fast ausschließlich mit Laiendarstellern, die sich auf einen Casting-Aufruf gemeldet hatten. Die beiden Hauptdarstellerinnen Joy Alphonsus und Mariam Precious Sansui standen das erste Mal vor der Kamera, Drehbuch bekamen sie keins, gedreht wurde chronologisch: „Ich würde es am liebsten immer so machen“, schwärmt Mortezai: „Der Film wächst vor deinen Augen. Im Leben wissen wir ja auch nicht, was kommt. Die Beziehung zwischen Joy und Precious entwickelt sich. Und das ist viel spontaner, wenn es chronologisch sein darf.“
So deprimierend die Geschichte von „Joy“ auch klingen mag, gleitet sie doch nie ins Miserabilistische ab. Selbst zwischen den größten Niederschlägen finden die Nigerianerinnen immer wieder Anlass zu befreiendem Gelächter: „Diese Frauen haben eine wahnsinnige Überlebenskraft und Lebensfreude“, erzählt Sudabeh Mortezai beeindruckt: „Ich habe eine neue Welt kennengelernt, die ich vorher so nicht gekannt habe. Dafür mache ich Filme.“