Wolfgang Fischer über Film "Styx": Außerhalb der Wohlfühlzone
Von Alexandra Seibel
Was tun?
Diese Frage muss sich eine deutsche Notärztin stellen, die mit ihrem kleinen Segelboot auf Urlaubsreise geht. Mitten im Atlantik, vor der westafrikanischen Küste stößt sie auf ein vom Untergang bedrohtes Flüchtlingsboot. Ihre Notrufe an die Küstenwache verhallen ungehört, sie ist als einzige vor Ort. Wie soll sie sich verhalten?
Regisseur Wolfgang Fischer lässt in seinem packenden Drama „Styx“ (derzeit im Kino) seine Protagonistin, gespielt von der famosen deutschen Schauspielerin Susanne Wolff, eine existenzielle Reise unternehmen und konfrontiert sie – und damit auch sein Publikum – mit schwerwiegenden Entscheidungen.
KURIER: Herr Fischer, Sie haben Ihren Film „ Styx“ genannt, der in der griechischen Mythologie ein Fluss der Unterwelt ist. Gleichzeitig sind unsere Meere mittlerweile auch Massengräber. Waren das Ihre Überlegungen für den Film?
Wolfgang Fischer: Ja, zumal der Styx das Reich der Lebenden von dem der Toten trennt. Wir leben in Parallelwelten – und wenn man sich anschaut, was an den europäischen Außengrenzen in den Meeren passiert, passt der Titel natürlich sehr gut. Auch ist der gesamte Film aus unserer westlichen Perspektive konzipiert. Wir bestreiten mit einer gebildeten Frau, die einen tollen Job als Notärztin ausführt, eine Reise. Diese Reise führt sie in ein Dilemma, das sie lösen muss. Es geht um unsere Perspektive auf diese Tragödie.
Apropos Perspektive: Ganz am Anfang nehmen Sie die Perspektive von Affen in Gibraltar ein. Warum?
Ich wollte, dass die Reise in Gibraltar beginnt. In der griechischen Mythologie ist Gibraltar das Ende Europas und ein bizarrer Ort. Gibraltar ist ein britisches Protektorat, und dort leben diese Affen. Sie sind ein großes Thema, denn es gibt den Mythos, dass, wenn die Affen verschwinden, Gibraltar an Spanien zurückgeht. Deswegen gibt es ein Ministerium für Affen. Es ist schlimmer, wenn man einen Affen mit dem Auto anfährt als einen Menschen. Am Anfang sehen wir Affen durch die Stadt laufen, und es sind keine Menschen mehr zu sehen. Das Bild hat mir sehr gut gefallen, weil es die Frage aufwirft: Ist unsere Welt außer Balance geraten?
Warum wollten Sie ein Frau als Hauptdarstellerin?
Mir war von Anfang an klar, dass ich einen sehr modernen Film mit einer starken Frau machen möchte. Mich fasziniert diese Hauptfigur und das, was sie kann: Sie kann Einsamkeit ertragen, sie braucht keine Mobiltelefone, sie kann sich aus ihrer Wohlfühlzone herausbegeben – und wer kann das schon? Sie kann Stürme beherrschen, sie ist als Notärztin eine professionelle Helferin – aber dann geht ein ungewolltes Abenteuer los, wo sie an ihre Grenzen stößt. Dieser Spannungsbogen hat mich fasziniert.
Wie schwierig waren die Dreharbeiten auf offener See?
Der Anspruch war, in allen Bereichen einen existenzialistischen Film zu machen. Wir haben zu 90 Prozent alles auf offenem Meer gedreht, kein Studio und keine Spezialeffekte benützt. Bis auf zwei Einstellungen im Sturm ist alles real entstanden. Auch alle Personen, die man in dem Film sieht – die Feuerwehrleute, die Rettungskräfte – kommen aus ihren echten Berufen. Und die Menschen auf dem Flüchtlingsboot sind tatsächlich Menschen, die diese gefährliche Überfahrt über die Meere selbst gemacht haben.
Die Seglerin weiß nicht, wie sie sich im Angesicht des lecken Flüchtlingsschiffes richtig verhalten soll, zumal sie mit ihrem kleinen Boot niemals alle retten kann. Wie sehen Sie diesen Handlungsspielraum?
Es ist wichtig, bei diesem Film keine Antworten zu geben, sondern Fragen aufzuwerfen. Es wäre vermessen, würde ich mich hinstellen und ansagen, wie man es machen soll. Die Situation ist sehr komplex und es gibt keine kurzfristigen Entscheidungen. Ich wollte den Zuschauer in diese Situation zwingen und ihn fragen: „Wie würdest du dich verhalten? Bleibst du da oder fährst du weiter?“ Es war mir wichtig, diesen Dialog aufzubauen. Ich bin mit meinem Film auf viele Festivals gereist und habe unglaublich viel Empathie erfahren. Menschen kamen auf mich zu und sagten, sie kennen die Flüchtlingssituation aus den Zeitungen und lesen, wie viele Leute im Meer ertrinken, doch sie haben kein Gefühl mehr dazu. Dieser Film aber ist ein profundes, emotionales Erlebnis.
Ein afrikanischer Bub namens Kingsley landet an Bord und stellt Forderungen an die Frau. Er übernimmt nicht die Rolle des Flüchtlings als demütiges Opfer.
Ja, er ist ein gleichwertiger Mensch und mit der Hauptfigur auf Augenhöhe. Ich fand es absurd, einen demütigen Menschen aus Afrika zu zeigen, nach dem Motto: „Er wurde gerettet, er muss dankbar sein, was will er denn jetzt noch?“ Mir war auch ganz wichtig, für die Rolle des Kingsley jemanden zu finden, der Afrika gut kennt. Mein Freund Tom Tykwer (deutscher Regisseur, Anm.) hat in den Slums von Nairobi den Verein „One Fine Day“ gegründet, der Schulen betreibt, in denen Slumkinder ihre Kreativität ausleben können. Dort bin ich mit Susanne Wolff hingefahren, habe 70 Buben gecastet und schließlich Gedion Oduor Wekesa für die Rolle des Kingsley gefunden. Das war ein totaler Glücksgriff, und ich muss ihm für seinen Mut dankbar sein, den Film mit uns zu gestalten. Mittlerweile hat er weitere Rollenangebote bekommen – und man sieht, dass man mit Kreativität etwas erreichen kann. Das war mir auch wichtig für mein ganzes Projekt: Es ist nicht nur ein Film, sondern auch eine Haltung: Man kreiert Partnerschaften und macht einen Brückenschlag zwischen Europa und Afrika.