Interview mit Markus Schleinzer: Mit dem Kaiser Karten spielen
Von Alexandra Seibel
Markus Schleinzer hat sich Zeit gelassen. Sieben Jahre ist es her, seit er mit seinem Spielfilmdebüt „Michael“, in dem er von einem pädophilen Mann erzählt, in Cannes Premiere feierte. Nun folgt mit „ Angelo“ (derzeit im Kino) eine Annäherung an Angelo Soliman: In gestochen schönen Bildern erzählt Schleinzer von dem „Hofmohren“, der am Wiener Hof des 18. Jahrhunderts als Gesellschafter engagiert und nach seinem Tod präpariert und ausgestellt wurde.
KURIER: Herr Schleinzer, Sie erzählen die Geschichte von Angelo Soliman, der am Wiener Hof als Attraktion herum gereicht wurde. Heute verhält es sich genau umgekehrt: Europa will keine schwarzen Flüchtlinge mehr sehen.
Markus Schleinzer: Ich habe das Drehbuch zu „Angelo“ schon vor fünf Jahren geschrieben, aber es wurde von der Realität eingeholt. Manchmal wird mir vorgehalten, dass die erste Filmszene, in der das Schiff mit den schwarzen Gefangenen an der europäischen Küste anlegt, ein zu offensichtlicher Verweis auf die Gegenwart ist. Doch die Sklaven wurden damals mit dem Boot gebracht, und nicht mit dem Heißluftballon. Diese Kritik muss ich aushalten. Aber es ist natürlich unfreiwillig komisch, dass wir vor dreihundert Jahren Afrikaner zu Abertausenden verschleppt und hierher verschifft haben, und heute, wo sie von selber kommen wollen, ist es uns unangenehm. Europa muss sich in dieser Hinsicht mit der eigenen Vergangenheit und seiner Geschichte auseinander setzen, denn dass wir heute so reich sind, liegt nicht nur an unseren Ressourcen.
Sie zeigen bereits in den ersten Szenen eine Lagerhalle mit Neonlicht. Ging es Ihnen darum, bewusst an die Gegenwart anzuknüpfen?
Ich glaube, wenn man einen Film sieht und sich denkt: „Ach, das ist ein historischer Stoff, der vor 300 Jahren spielt“, dann lehnt man sich schön zurück – und die Historie bleibt die Historie. Doch genau das ist es, was ich mit dem Angelo-Stoff nicht machen wollte. Ich finde, dass die damaligen Themen heute genauso verhandelt werden.
Die Biografie von Angelo ist nur bruchstückhaft überliefert. Wie haben Sie sich seiner Person angenähert?
Ich bin davon überzeugt, dass Angelo Soliman traumatisiert war. Er wurde als Kind gefangen, quer durch den afrikanischen Kontinent geschleppt, unter furchtbaren Bedingungen nach Europa verschifft und hier als Sklave verkauft. Es ist vielleicht zynisch, das so zu formulieren, aber im Vergleich zu anderen hatte er Glück und kam an den Wiener Hof. Doch gerade diese Diskrepanz ist extrem: Zuerst wird er wie ein Tier behandelt, ein paar Jahrzehnte später trägt er Seidenstrümpfe und spielt mit dem Kaiser Karten. Das ist ein Spagat innerhalb der eigenen Existenz, den man erst einmal ertragen muss.
Die erste Biografie über ihn erschien ungefähr zehn Jahre nach seinem Tod und liest sich wie eine veredelte Heldengeschichte. Nur das unrühmliche Ende – die Plastination (Konservierungsverfahren, Anm.) – fehlt. Mich berührt, dass er seinen Ruhm und seine Legenden selbst zu stricken begonnen hat. Denn natürlich ist es besser, zu strahlen und sich nicht auf das Niedere reduzieren zu lassen, das die anderen aus dir gemacht haben.
Ist das der Grund, warum er seine eigene Lebensgeschichte immer wieder als Theaterstück aufführt?
Vielleicht fehlt ihm ja auch die eigene Biografie. Wenn man tagein, tagaus nichts anderes ist als ein Schauspieler – vielleicht weiß man am Schluss dann gar nicht mehr, wer man eigentlich ist? Und selbst die Erinnerung ist nicht immer die Wahrheit.
Der Kaiser Joseph II. und Soliman führen immer wieder lange Gespräche. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen den beiden beschreiben?
Diese Freundschaft beruht auf einem Missverständnis und einer Sehnsucht. „Der Kaiser“ und „der Hofmohr“ befinden sich nur vermeintlich auf Augenhöhe. Es hat mir gefallen, dass beide für einander Sehnsuchtsfiguren sein könnten und mit der Idee spielen, in die Identität des jeweils anderen zu schlüpfen – was unmöglich ist. Bei Soliman ging es darum: Wie weit darf er gehen? Was erlaubt ihm die Gesellschaft? Und auch, wenn das manche Wissenschaftler nicht gern hören: Herr Soliman hat dazu gedient, unseren Reichtum und unsere Herrlichkeit zu spiegeln. Die Herrscherhäuser haben einen Sammlerwahn nach allem „Exotischen“ entwickelt. Und da machte es keinen Unterscheid, ob man Korallen oder Menschen sammelte.
Sie selbst sind nicht nur Regisseur, sondern auch Casting-Direktor von Michael Haneke. Wie schwierig war es, für „Angelo“ Darsteller zu finden?
Auf der Suche nach Schauspielern ist mir aufgefallen, wie limitiert das Rollenangebot für Schwarze immer noch ist und auf Stereotype wie „der Gangsta Rapper“ festgelegt ist. Viele Bewerber haben sich einen dementsprechenden Habitus zurecht gelegt, tragen Tattoos und haben sehr durchtrainierte Körper. Insofern habe ich unterschätzt, wie schwierig es ist, jemanden zu finden, der einen der Zeit geschuldeten, „durchschnittlichen“ Körper hat. Aber dieses Problem stellt sich ohnehin immer bei Historienfilme: In den üblichen Hochglanzproduktionen mit Keira Knightley laufen die Leute alle mit blendend weißen Zähnen herum, grinsen ständig und sind unglaublich sauber. Ich bin jetzt 46 Jahre alt, aber im Jahr 1740 wäre ich schon zwanzigfach gestorben und hätte wohl keine Zähne mehr im Mund. (lacht)
Sie erzählen Ihre Geschichte in streng arrangierten Tableaus und aus der Distanz. Warum?
Ich finde diese Form interessant, weil sie die Zuseher nicht manipuliert, sondern Freiheiten lässt. Ich möchte in meinen Filmen besonders emotionale Momente nicht mit Musikeinsatz oder Großaufnahmen verdichten. Ich halte das Publikum nicht für so naiv, dass es nicht seine eigenen Gefühle entwickeln kann. Und ich mag „matter of facts“: Um was geht es? Was ist die Essenz einer Szene? Alles ohne Geschenkpapier. Für viele Leute ist das schwer zu ertragen. Aber das liegt nicht am Film, sondern an den Situationen, in die sie hinein geführt werden. Doch genau das sind die Filme, die mich selbst berühren.
Die Entwicklung des Filmmaterials wurde von Beginn an immer an weiße Haut angepasst und gilt daher als „inhärent rassistisch“. Wie sind Sie damit umgegangen?
Das Problem besteht nach wie vor, und wir haben extrem viel mit dem Licht herum getüftelt. Vor allem Alba Rohrwacher, die die Comtesse spielt, hat eine kreideweiße Alabasterhaut: Es bestand die Gefahr, dass sie vollkommen überstrahlt ist, wenn man den Buben gut sehen kann. Oder umgekehrt: Wenn sie „normal“ aussieht, wird er zu dunkel. Wir haben vieles versucht, um das zu vermeiden. Letztlich war es dann aber doch nicht so schwierig, weil wir uns das herkömmliche Filmlicht, das immer alles zeigen will, nicht erlaubt haben. Wenn eine Kerze im Bild ist, macht auch die Kerze das Licht. Es gibt kein zusätzliches Fake-Licht. Wir haben sehr viele Ölgemälde studiert um zu sehen, wie das Licht funktioniert; und auch viele Filme gesichtet, wo schwarze und weiße Menschen zu sehen sind, um zu studieren, was funktioniert und was nicht. Aber es ist ein Fakt: Filmemachen ist eine Form von Physik – und da steckt der Rassismus drin.
Auffallend ist auch, dass Sie ein quadratisches Bildformat verwenden. Warum?
Dieses Format erscheint mir so logisch, weil es das Urformat des Kinos ist. Es ist wunderschön. Außerdem stehen Menschen ja mehr in Filmen, als dass sie liegen. Mein Film ist ja nicht „Ben Hur“, wo ich Wagenrennen zeigen muss, und die Pferde immer zu schnell aus dem Bild fallen. Aber es hat auch einen psychologischen Grund: Soliman ist eine Figur, die nur vermeintlich frei ist. Das Format hilft mir, diese Unbeweglichkeit und die Enge zu zeigen, innerhalb der er gelebt hat. Er kann nicht einfach gehen, wohin er will. Außerdem war die Enge auch unseren Produktionsbedingungen geschuldet.
Inwiefern? Die Ausstattung sieht makellos aus.
Die Ausstattung war horrend teuer. Alle mussten meinem Präzisionswahnsinn folgen, und nichts war gut genug. Wir haben alle historischen Settings nachgebaut, und wenn wir nur drei Millimeter mehr hätten bauen müssen, hätte das die Kosten gesprengt. Der Teppich, auf dem der Kaiser sitzt, hört genau unter der Kamera auf und musste bei jeder Bewegung weiter gezogen werden. Auch der Palazzo von der Comtesse endet genau da auf, wo das Bild endet, denn historische Bodendielen sind überhaupt das Teuerste, was man sich vorstellen kann. Und was die Kostüme betrifft: Teilweise hatten die Darsteller Vorhangteile meiner Großmutter an. Alte Spitzendeckerln wurden zu Halsteilen verarbeitet. Jetzt sind alle Schränke meiner Familie leer. Als nächstes muss ich einen Nudistenfilm machen, denn von meiner Seite gibt es nichts mehr, was man zu Kostümen vernähen kann. (lacht)