Kultur

Interview mit Regisseur Bonello: "Zombie habe ich keinen getroffen“

Der französische Filmemacher Bertrand Bonello hat sich in seinem neuen Film auf Zombies spezialisiert: „Zombi Child“ (derzeit im Kino) beginnt 1962 in Haiti und endet im Paris der Gegenwart.

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Der Haitianer Clairvius Narcisse wird 1962 durch einen Voodoo-Zauber in einen Zombie verwandelt: Er befindet sich in einem Zwischenstadium von Leben und Tod. In diesem roboterartigen Zustand wird er zur Sklavenarbeit auf der Zuckerrohrplantage gezwungen, kann sich aber befreien und kehrt nach Jahrzehnten in sein Heimatdorf zurück.

Diese Geschichte erzählt man sich in Haiti.

Bertrand Bonello – Regisseur von herausragenden Filmen wie „Haus der Sünde“ und „Nocturama“ – nimmt diesen Zombie-Mythos nicht nur ernst, sondern spinnt ihn weiter. In „Zombi Child“ kommt die Enkelin des haitianischen Zombies nach Paris in ein elitäres Mädcheninternat und erzählt ihren neuen Freundinnen von ihrem Großvater Clairvius Narcisse. Daraufhin will sich eine ihrer Mitschülerinnen mithilfe von Voodoo von ihrer unglücklichen Liebe befreien.

Bonello verzahnt mithilfe der Zombie-Figur und einem Coming-of-Age-Drama Kolonialgeschichte und französische Gegenwart in dem Versuch, unterschwellige historische Verbindungslinien freizulegen.

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KURIER: Der Zombie ist seit Beginn der Filmgeschichte eine beliebte Figur im Kino. Was hat Sie daran interessiert, einen Zombie aus Haiti in die französische Gegenwart eines Mädcheninternats zu verpflanzen?

Bertrand Bonello: Viele verschiedene Dinge. Zum einen bin ich auf die Geschichte von Clairvius Narcisse gestoßen. Er gilt nicht als der erste Zombie, aber als der erste, der zurückgekehrt ist. Diese Story ist berühmt. Mir gefiel die Idee, den Zombie – eine Figur, die fast schon Pop-Status hat – in ihren Originalkontext zurückzuverfolgen. Dabei stößt man sofort auf die Problematik von Sklaverei, Kolonialismus und das Verhältnis von Frankreich zu Haiti.

Wielange reicht die Geschichte der Zombies zurück?

Die Zombie-Geschichte ist insgesamt sehr verworren, weil niemand Genaueres davon wusste. Dann erschien im Jahr 1929 „The Magic Island“, das erste englischsprachige Buch über Haiti und Zombies von William Seabrook. Bereits drei Jahre später gab es „The White Zombie“ mit Bela Lugosi, wo die Zombies noch in Haiti angesiedelt sind. Danach folgte „I walked with a Zombie“ von Jacques Tourneur. Später verwandelt sich der Zombie in etwas ganz etwas anderes, beispielsweise in den Zombie-Filmen von George Romero. Der Zombie ist nicht mehr dieses Wesen, das sich zwischen Leben und Tod bewegt, sondern mehr ein Toter, der keinen Platz in der Hölle findet, auf die Erde zurück kehrt und Gehirne schlürft. Die Original-Idee des Zombies ging verloren. Mein Wunsch aber war es, genau dorthin zurückzukehren.

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In den Filmen von George Romero beispielsweise wird mithilfe der Zombie-Figur Gesellschaftskritik geübt.

Der Zombie eignet sich gut dafür, politische Fragen zu stellen. Romero hat sehr politische Zombie-Filme gemacht. Danach aber wurde der Zombie im Kino mehr eine Spaßfigur, ehe es wieder etwas politischer wurde. Jim Jarmusch hat das zuletzt mit „The Dead Don’t Die“ versucht.

Teenager gelten üblicherweise als die Zielgruppe des Horrorkinos. Haben Sie deswegen Ihren Haiti-Horror ins Mädchenpensionat verlegt?

Genau. Mein Film beginnt in Haiti. Dann habe ich mich gefragt, aus welcher Perspektive ich, als weißer französischer Mann, eine haitianische Geschichte erzählen kann. Insofern kamen mir die Teenagerinnen wie gerufen: Sie schauen sich gerne Zombie-Filme an und finden Zombies cool und witzig. Dann kommt die Mitschülerin aus Haiti und erzählt ihnen, dass sie die Enkelin eines echten Zombies ist. Mit 15 Jahren ist man für so etwas genau im richtigen Alter.

Warum?

Ich mag dieses Alter (grinst). Mit 15 ist man einerseits total von Dingen überzeugt und dann auch wieder völlig unsicher. Hinzu kam, dass ich dieses elitäre Mädcheninternat gefunden habe, das noch unter Napoleon gegründet wurde. Diese Institution verlieh meinem Film noch eine weitere politische Dimension, weil die Verbindung zwischen Haiti, Frankreich und Napoleon sehr stark ist. Napoleon wollte die Sklaverei wieder einführen und hat dadurch eine Revolution ausgelöst. Haiti war danach das erste unabhängige, schwarze Land.

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Apropos Eliteinternat: Der französische Historiker Patrick Boucheron tritt als Lehrer auf und hält einen Vortrag zum Thema Liberalismus und Revolution. Ganz schön fortgeschritten für eine Schulstunde...

Natürlich unterrichtet Patrick Boucheron, der sehr bekannt ist, normalerweise nicht an so einer Schule, sondern an der Uni. Ich habe ihm in der Szene völlig freie Hand gelassen und war dann sehr überrascht, wie gut sein Vortrag zu meinem Film passte. Es geht ja nicht nur um Liberalismus, sondern auch darum, wie Geschichte erzählt wird. Wird sie geradlinig erzählt oder vielmehr, wie in meinem Film, auch auf unterschwellige Weise?

Eine Schülerin – Fanny – leidet an „ganz normalem“ Liebeskummer. Sie aber glaubt, sie ist besessen und will ein Voodoo-Ritual durchführen.

Ja, das ist natürlich sehr naiv von ihr. Sie fühlt sich besessen, und das ist ein Motiv, der sich durch meinen gesamten Film zieht: Das fängt bei den Voodoo-Ritualen in Haiti an. Und was ist Sklaverei anderes als besessen sein, als In-Besitz-genommen-Werden?

War es eigentlich schwierig, in Haiti Voodoo-Rituale zu filmen?

Alles war schwierig in Haiti, aus den unterschiedlichsten Gründen. Allein die Infrastruktur ist sehr schwach und nichts funktioniert. Aber am schwierigsten war es, von den Leuten akzeptiert zu werden. Wenn man dort ankommt und sagt, man möchte einen Film über Voodoo und Zombies machen, sind zunächst einmal alle skeptisch. Zu Recht, denn gerade unter der Okkupation der Amerikaner in den 20er Jahren wurde Voodoo stark stigmatisiert. Es hat lange gedauert, um das Vertrauen der Leute zu gewinnen und sie davon zu überzeugen, dass man nicht den nächsten Zombie-Schocker dreht. Aber dann habe ich tolle Menschen getroffen. Die Reise in dieses Land war großartig.

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Was hatten Sie für einen Eindruck von den Voodoo-Ritualen? Das ist jetzt vielleicht eine blöde Frage, aber „glauben“ Sie, was Sie da sehen?

Das ist gar nicht blöd, denn bevor ich meinen ersten Trip nach Haiti antrat, habe ich mir diese Frage gestellt: Soll ich es glauben oder soll ich es nicht glauben? Aber mittlerweile denke ich, dass das nicht der richtige Weg ist, um über dieses Phänomen nachzudenken. Man muss einfach akzeptieren, was man sieht.

Und was haben Sie gesehen?

Ich habe bei diesen Voodoo-Zeremonien Menschen gesehen, die besessen sind. Aber das ist ein heikles Thema, weil es eine dunkle Seite von Voodoo darstellt und Voodoo eigentlich eine positive Kraft ist. Einen Zombie habe ich nicht getroffen, aber er ist in der Geschichte des Landes und seiner kollektiven Vorstellungskraft sehr stark verankert.

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