Hinschauen statt vorbeigehen: Porträts von Obdachlosen im Stadtpark
Von Karl Oberascher
Das Thema ist vertraut. Man kennt es aus den Schlagzeilen der Chronikseiten: „Obdachlose im Stadtpark werden zum Politikum“ hieß es da etwa Ende Oktober vergangenen Jahres. Oder: „Runder Tisch soll Probleme mit Obdachlosen lösen.“
Dass sich die Obdachlosen, die im Wiener Stadtpark Schutz und Unterschlupf suchten, einmal in einer Foto-Ausstellung wiederfinden, überrascht aber. Der Wiener Fotograf Lukas Ilgner porträtierte 14 Obdachlose im Stadtpark, noch ehe sie durch die Räumung der "Zeltstadt" Ende vergangenen Jahres zum österreichweiten Thema wurden.
Umso wichtiger war es Ilgner, als Fotograf keinen rein-dokumentarischen Blick einzunehmen, erzählt der Wiener, im Gespräch mit dem KURIER. Ilgner bezieht Stellung, will die Obdachlosen in seinen Bildern mit "Souveränität und Würde" zeigen. "In den Medien war immer nur die Rede von den Obdachlosen im Stadtpark. Ich wollte diesen Menschen ein Gesicht geben."
"Shelter": Poträts vom Rand der Gesellschaft
Personen des öffentlichen Lebens
Normalerweise porträtiert Ilgner Personen eines anderen öffentlichen Lebens, hatte schon Burgdirektor Matthias Hartmann oder Regisseur Ulrich Seidl vor der Linse. Ebenso aufwendig, mit professioneller Kamera und entsprechendem Licht, fotografierte Ilgner nun die Obdachlosen. Inszeniert sind die Bilder deshalb nicht. Sie zeigen die Schlafstellen, zusammengeschustert mit Decken, Plastikplanen, und Karton. Einzige Vorgabe Ilgners: "Die Protagonisten sollten liegen, um die Funktion der Schlafplätze als Unterschlüpfe herauszustreichen". Eine Funktion, die im Namen der Bildserie verdeutlicht wird. "Shelter" heißt übersetzt Unterschlupf.
Über einen Zeitraum von drei Monaten, von Dezember 2012 bis Februar 2013, kam Ilgner immer wieder in den Stadtpark. Eine Zeit, in der er auch die Obdachlosen besser kennenlernte. "Viele erzählten mir ihre Geschichten, zeigten mir Fotos ihrer Partnerinnen oder ihrer Kinder." Einer der Obdachlosen, der einmal Schachmeister in seiner Heimat war, zeigte Ilgner stolz sein Reiseschach aus Plastik. "Seine Rente betrug 220 Euro im Monat. Selbst in Tschechien war das zu wenig zum Leben."
Um die Obdachlosen im Stadtpark für sein Projekt zu gewinnen, bot Ilgner auch eine Bezahlung an. "Das ist natürlich auch ein Job, der bezahlt gehört. Ich würde das auch nicht gratis machen". Warum sich die Obdachlosen ausgerechnet den Stadtpark als Unterschlupf aussuchten, kann der Fotograf mittlerweile gut nachvollziehen: "Es ist ein relativ geschützter Ort, in der Nähe der Innenstadt."
Negative Reaktionen
So positiv die Reaktionen der Obdachlosen selbst waren, so kontrovers reagierten viele Passanten. „In dem Moment, als eine Kamera dastand, war klar, da gibt es mediales Interesse und dann kann man nicht mehr vorbeischauen.“ Mitten in einer der reichsten Städte Europas kann man dieses Elend plötzlich nicht mehr ignorieren. „Mir wurde vorgeworfen, diese Menschen auszunutzen.“ Ein Vorwurf, der sich im Gespräch mit einem vorbeikommenden Jogger ins Gegenteil verkehrte. „Am Ende spendierte er allen eine Portion Würstel.“
Mittlerweile wurde der Stadtpark von der Polizei geräumt. Von den Obdachlosen fehlt jede Spur. In der Artbits Galerie ist die Serie „Shelter“ noch bis zum 31. März zu sehen. Der gesamte Erlös der 14 Großporträts kommt der Caritas zugute.