Kultur

Hilary Hahn: „Es ist nicht wichtig, alles zu wissen“

Hilary Hahn spielte mit sechs erstmals öffentlich Geige. Mit dem Wort „Wunderkind“ kann die 35-jährige Amerikanerin wenig anfangen. Hinter ihrem Spiel stecke Unterricht und kein Wunder. Mit dem KURIER sprach die Künstlerin aus Baltimore, die heute im Wiener Konzerthaus auftritt, fließend Deutsch über Grenzen zwischen E und U und warum manche Musiker von ihren Instrumenten sprechen, als ob sie Menschen wären.

KURIER: Frau Hahn, ihre Vorfahren stammen aus der Pfalz, wird bei Ihnen daheim noch Deutsch gesprochen?

Hilary Hahn: Nein, das hab ich in der Schule gelernt. Und ich habe viel in Deutschland gearbeitet. Aufgewachsen bin ich aber in Baltimore.

Randy Newman hat eine wunderbare Hymne auf Baltimore geschrieben. Kennen Sie ihn? Sie haben ja oft mit Musikern aus anderen Genres gearbeitet.

Natürlich kenne ich Randy Newman. Und ja, ich habe Singer-Songwriter- Freunde, mit denen ich oft zusammenarbeite. Ich improvisiere viel mit Rock und anderen Genres. (Etwa mit dem deutschen Pianisten Hauschka: Die Platte "Silfra" wurde vom Isländer Valgeir Sigurdsson, der u.a. mit Damon Albarn und Sigur Rós arbeitet, produziert, Anm.) Ich mag experimentelle Musik, aber auch Country. Man darf nicht vergessen: Klassische Musik, die heute geschrieben wird, ist von vielen Stilen beeinflusst.

Verschwimmt die Grenze E- und U-Musik immer mehr?

Ja und nein. Wir sind heute so vielen musikalischen Einflüssen ausgesetzt, auch ein Komponist kann sich dem nicht entziehen. Aber es war zu Mozarts Zeiten nicht anders. Auch damals haben Komponisten Volksmelodien aufgegriffen. Nur erkennen wir heutzutage diese älteren ,Popeinflüsse‘ nicht mehr.

Sie spielen in Wien Max Bruch, der als Konservativer gilt, mit der aufkeimenden Moderne wenig anfangen konnte.

Nur weil jemand zeitgenössische Einflüsse nicht in seine Musik schreibt, heißt das nicht, dass sie nicht da sind. Die Moderne kann auch dann präsent sein, wenn sie nicht direkt zitiert wird. Wir wissen als Zuhörer nie, auch wenn wir noch so viele historische Dokumente lesen, was im Kopf eines Komponisten passiert ist. Oft wissen Komponisten es ja selbst nicht. Ich versuche, meine eigenen Wege zur Musik zufinden.

Die Entstehungsgeschichte eines Werks interessiert Sie nicht?

Nicht gleich. Zunächst versuche ich, mich über die Musik zu nähern. Sie soll zuerst zu mir sprechen. Erst danach lese ich darüber. Oft erlebe ich, dass mein Instinkt richtig war. Es ist nicht wichtig, alles zu wissen, um zu genießen.

Lassen Sie uns trotzdem noch einmal über Bruchs Leben sprechen. Er hat sehr jung begonnen zu komponieren. Eine Parallele zu Ihnen: Sie spielten schon mit vier Geige, wurden „Wunderkind“ genannt.

Wunderkind bedeutet etwas Ungewöhnliches. Für mich war es bloß zwei Mal pro Woche Musikunterricht. Ich habe schnell gelernt. Aber es war nicht geplant, dass ich mit zehn schon auftrete. Es ist passiert. Es sieht so aus, als hätte ich alles sehr früh gemacht. Doch es gab viel dazwischen. Ich hatte viel Spaß. Kreativ zu sein, war mir immer wichtig, ohne dass ich wusste, was das bedeutet.

Welchen Bezug haben Sie zu Ihrer Geige, einer Vuillaume?

Geigenbauer Vuillaume hat ursprünglich mit Paganini gearbeitet, der seiner Geige den Spitznamen "Kanone" gab. Er hat sie abgemessen und viele Kopien davon gemacht. Meine Geige ist also gewissermaßen eine Kopie von Paganinis Kanone.

Was bedeutet Sie Ihnen?

Ich habe sie, seit ich 14 bin. Ich bin mit ihr aufgewachsen, wir haben uns an einander gewöhnt.Es ist ein sehr spezielles Verhältnis, man muss mit ihr kommunizieren, denn die Geige hat eine eigene Persönlichkeit.

Sie sprechen, wie viele Künstler, von Ihrem Instrument wie von einem Menschen.

Ja, es ist eine Beziehung. Man besitzt ein Instrument nicht, man gibt darauf acht.

Sie sind die ganze Woche in Wien. Haben Sie eigentlich bemerkt, was hier gerade los ist?

Ja, klar. Eurovision. Ich versteh das zwar nicht ganz, aber es sieht fantastisch aus!

Alle Inhalte anzeigen

Info: Hilary Hahn spielt heute um 19.30 Uhr im Konzerthaus mit dem RSO (Dirigent: Cornelius Meister) Bruchs „Schottische Fantasie“. Danach: Mahlers Neunte