Kultur

Heribert Sasse zum 70er: "Wachheit wäre gefragt"

Auch so kann man Geburtstag feiern: Schauspieler, Regisseur und Intendant Heribert Sasse wird am 28. September 70 und liest im Theater in der Josefstadt Goethes "Werther". Warum ihm das auch nach 1800 Vorstellungen nicht fad wird, erzählt er im KURIER-Interview.

KURIER: Herr Sasse, Sie waren 20 Jahre in Deutschland, unter anderem als Generalintendant des Preußischen Staatstheaters, und hatten in dieser Funktion mehr Verantwortung als ein Burgtheater-Direktor.

Heribert Sasse: Die österreichische Gesetzeslage zur Verantwortung eines Burgtheaterdirektors kenne ich nicht, aber was die Generalintendanz am Preußischen Staatstheater von anderen Intendantenposten, die ich innehatte, unterschied, war, dass ich einmal im Jahr im Senat freie Redezeit hatte.

Haben Sie die ausgenützt?

Ja, natürlich, jedes Jahr! Das ist ein politisches Forum, und das muss man nützen! Bei 750 Mitarbeitern hat man genug Verantwortung. Ich war sowohl im Künstlerischen als auch im Wirtschaftlichen in der Gesamtverantwortung, das habe ich auch verlangt. Denn schließlich ist jede künstlerische Entscheidung auch eine finanzielle. Ich muss selber verantworten können, ob ich mir bestimmte Produktionen und Künstler leisten kann.

Diese Verbindung zwischen Künstlerischem und Praktischem passt auch gut zu Ihrem Werdegang. Sie haben zunächst Elektrotechnik studiert, waren am Anfang Ihrer Karriere am Theater durchaus auch praktisch tätig.

Sie wissen ja eh alles.

Nicht alles. Ich spiele darauf an, dass Sie am Beginn Ihrer Schauspielkarriere auch Aufgaben in der Bühnentechnik übernommen haben. Bei Ihnen war es ja nie vorgesehen, zu sagen: Ich bin nur Künstler.

Nein. Ich habe zunächst einmal eine technische Ausbildung und später eine wirtschaftliche bei Procter and Gamble gemacht. Erstens hat mein Vater drauf bestanden, aber es war auch so, dass ich mir gedacht habe: Bis 30 muss ich es zu einer gewissen Unabhängigkeit geschafft haben, und wenn es mit Theater nicht klappt, dann gehe ich in die Wirtschaft.

Sie kommen nicht aus einem künstlerischen Elternhaus?

Meine Eltern hatten mit Kunst nichts am Hut. Allerdings war mein Urgroßvater mütterlicherseits der letzte Hofkapellmeister unterm Kaiser. Und väterlicherseits war es Otto Wagner. Nützt aber gar nichts fürs eigene Leben.

Sie sagten vorhin, Sie hätten nie eine Intendanz übernommen, wenn Sie nicht gelernt hätten, Bilanzen lesen und Personal führen zu können.

Nein, weil ich sonst glauben muss, was man mir sagt und ich darauf angewiesen bin, was mir mein kaufmännischer, der technische Direktor oder der Disponent erzählt.

Sie wurden als Hartmann-Nachfolger für das Burgtheater genannt. Hätten Sie sich das angetan?

"Was man in der Zeitung liest, auch nicht immer Wahrheit ist", heißt es. Ich wurde offiziell gar nicht gefragt. Und das ist gut so. Ich kann mit vielen Konstruktionen an den Staatsbühnen hier wenig anfangen.

Trotz Ihrer Managementausbildung.

Ja, eben.

Herrn Hartmann haben Sie ja von früher gekannt, der hat bei Ihnen gelernt.

Ja, aber nicht Intendant. Hartmann war Regieassistent, nicht Direktionsassistent. Klaus Bachler hat seinen Weg bei mir als künstlerischer Betriebsdirektor begonnen und ist heute einer der führenden Opernintendanten der Welt.

Fehlt Ihnen die Intendantentätigkeit, die Sie zuletzt im Berliner Schlosspark-Theater bis 2002 innehatten?

Nein, ich habe das ja ganz bewusst beendet. Die finanzielle Situation war sehr beengt. Und wenn ich mir ein gewisses Niveau nicht leisten kann, dann lasse ich es lieber. Dazu kommt: Je älter man wird, desto mehr kommt man aus dem "Atem der Zeit". Man versteht bestimmte Musik nicht mehr, hat nicht mehr den Zugang zu bestimmten Texten. Da sollte man sich von Führungspositionen in künstlerischen Berufen empfehlen, weil man sonst Entwicklungen stört.

Als Schauspieler haben Sie allerdings kein Problem mit dem Puls der Zeit. Ihr Werther-Solo, das nun wieder zu sehen ist, haben Sie erstmals 1974 gespielt.

Literatur beschäftigt sich mit Menschen und die verändern sich nicht so. Lesen Sie einmal die politischen Reden von Cäsar oder Marc Anton. Sie werden drauf kommen, das Einzige, was sich verändert hat, ist, dass Politik heute sprachlich schlechter ist. Aber das Mensch- oder Unmenschsein per se ändert sich nicht.

Themenwechsel. Sie schaffen künstlerisch den Spagat zwischen Rabenhof und Josefstadt.

Ja, es sind zwei verschiedene Stile und beide sind für mich ein Glücksfall, und das hält einen wach. Und Wachheit müsste gerade in unseren Zeiten gefragt sein. Das heißt: Bildung und Aufklärung.

Apropos Volksbildung: Ihr Werther-Solo haben Sie in vier Jahrzehnten über 1800-mal gespielt. Hat sich der Text für Sie verändert?

Ja, natürlich. Das Leben ändert sich in 40 Jahren auch. Man hat auf die verschiedensten Themen je nach Alter verschiedene Antworten und Fragen. Deshalb ist Werther eben nicht aus der Zeit. Er stellt Fragen an die Gesellschaft, Politik, an die Religion, das Leben, die Liebe und den Tod.

Zur Person: Theatermacher Heribert Sasse

Schauspieler & Intendant
Heribert Sasse, 1945 in Linz geborenm wuchs in Wien auf. Nach Musik- u. Elektrotechnikstudium debütierte er 1968 am Volkstheater, bald darauf ging er an die Berliner Volksbühne. Ab ’76 eigene Inszenierungen, u.a. am Theater in der Josefstadt und der Volksbühne Berlin. ’80 wurde er Intendant des Renaissance-Theaters Berlin, ’85 der Staatl. Schauspielbühnen Berlin, bis 2002 leitete er das Berliner Schlosspark-Theater. Derzeit ist Sasse in den Kammerspielen in „Aufstieg und Fall von Little Voice“ und ab 15.10. in „Der nackte Wahnsinn“ zu sehen.