Kultur

Handke: Er will Ruhe. Oder doch nicht?

Sollte er je an einem Mittwoch bei „Zielpunkt“ einkaufen: den Pensionistenrabatt wird er höchstwahrscheinlich nicht annehmen.
Das Alter hat keine Vorteile und soll deshalb keine bekommen.
Allerdings hätte Peter Handke nichts dagegen, wenn Wörter wie „dement“ aus dem Sprachgebrauch verschwinden.
Donnerstag wird er 70. Deshalb hält er sich zurzeit in Salzburg auf (wo er produktive Jahre verbrachte); und nicht – wie seit 22 Jahren – in seinem Dichterhaus bei Paris, wo überall Blätter, Nüsse auf dem Boden liegen und Bleistiftstummel.
„Wohnen“ ist ihm sehr wichtig. Auch wenn er zu den Wanderern gehört.

Kein Teilnehmer

Am Geburtstag wird ihm nämlich der „Große Kunstpreis des Landes Salzburg“ verliehen. Man wird loben, dass er einer ist, der sich „aussetzt“ anstatt nur irgendwie irgendwo teilzunehmen. Der politisch unbequem ist.
Man wird erwähnen, dass der Kärntner seit dem Debüt „Die Hornissen“ (1966) in bisher 70 Büchern die Möglichkeiten des Schreibens aufgezeigt und sich dabei immer wieder neu erfunden hat.
Man wird nicht zu sagen vergessen,dass er bescheiden blieb und seine Bedeutung für die Literatur nie herausstreicht, sondern Kollegen fördert, durch Empfehlungen und Übersetzungen.
Eitel ist er aber schon.
Was ihn selbst wurmt.
Es mag ja sein, dass das jetzt eigenartig klingt (wegen seiner Wutausbrüche und dem Engagement für als Kriegsverbrecher geächtete Serben).
Aber: Je intensiver man sich mit Peter Handke beschäftigt, desto mehr mag man ihn.
Der hat anfangs Bücher mit „Heintje“ signiert. Der kann lachen über seine tiefsinnigen Dichtersätze.
Und, als Ausgleich, blödeln beim Notieren seiner Gedanken:
„Gase, kalte Luft und alleinstehende Frauen drehen links.“
Der erlaubt es sich (im neuesten „Versuch über den Stillen Ort“) formvollendet zuzugeben, dass er am liebsten am Häusl sitzt, dem idealen Zufluchtsort.
Und hat im Interview mit dem Magazin der Süddeutschen gesagt, auf seinem Grab möge „Bin hinten“ stehen. Nicht „bin unten“?, haben Malte Herwig und Sven Michaelsen nachgefragt.
„Nein. So wie man bei jemandem an die Haustür kommt, der im Garten arbeitet und ein Schild an die Tür gehängt hat: Bin hinten. Sie sind Materialisten, und ich bin ein Träumer. Die Träumer sind hinten, die Materialisten unten.“
Der Preis fürs Zitat des Jahres könnte ihm also am 6. Dezember in Salzburg ebenfalls überreicht werden.
Germanist Malte Herwig ist übrigens der Handke-Biograf. „Meister der Dämmerung“ wurde sogar vom überaus kritisch Porträtierten gelobt – und zwar so:
„Aufmerksam und, kein ganz blödes Wort, auf-schluß-reich ... Jedenfalls gute Arbeit, und vor allem Freiluft drin.“
Dieser Abenteuerroman vom Innenleben Handkes mit allen seinen tausend Teufeln ist soeben im Pantheon Verlag als günstige Taschenbuch-Ausgabe erschienen.

Allein im Regen

Handke will zurückgezogen sein. Allein im Regen sitzen. Allein auf Reisen gehen und schauen, nur schauen.
Das war schon so, als der Sohn einer Kärntner Slowenin und eines deutschen Soldaten (der damals schon mit einer anderen Frau verheiratet war) sechs, sieben Jahre alt war.
Sonst wäre aus ihm kein Dichter geworden.
Ist man berühmt, geht das schwer. Sich wie der Amerikaner Thomas Pynchon ganz zu verstecken, das hat Handke nicht geschafft. Ein Dilemma. Ist er öffentlich, ist er nicht ganz echt. Hat er Ruhe, scheint ihm mehr zu fehlen, als ihm lieb ist. Böse will er sein. Angst will er machen. Das bringt er ebenfalls nicht

Peter Handke studierte in Graz Rechtswissenschaften; und brach als 23-Jähriger sofort ab, als der Suhrkamp Verlag seine „Hornissen“ herausbrachte.
Kometenhaft ging sein Stern im Literaturbetrieb auf, als der nahezu unbekannte Autor 1966 der ehrwürdigen „Gruppe 47“ bei einer Tagung in Princeton in einer Schmährede „Beschreibungsimpotenz“ vorwarf. Wer wird sein nächster Feind? fragte daraufhin ein verärgerter Günter Grass.
Den plötzlichen Ruhm Handkes festigte wenige Monate später die Uraufführung der „Publikumsbeschimpfung“ durch Claus Peymann in Frankfurt.
„Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ und „Wunschloses Unglück“ wurden Kultbücher einer Generation. Prosa, Lyrik, Theater, Hörspiele – „kein anderer deutsch­sprachiger Autor nach 1945“ – heißt es in der Begründung für den Salzburger Preis – „hat ein derart vielgestaltiges, eigensinniges, sprachlich und formal vollendetes Werk aufzuweisen.“
Dialoge Dass Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld nach seinem Tod Peter Handke im Traum erschienen ist, verwundert nicht. Die zwei waren fast vier Jahrzehnte hindurch zusammengespannt.
Lieber Peter – lieber Siegfried: 600 Briefe wanderten zwischen 1965 und 2002 hin und her. Das sind lange, aufmerksame, meist amikale Dialoge, die nun pünktlich zum Geburtstagsfest herausgebracht werden und viel über die beiden starken Persönlichkeiten verraten.
Man „redet“ z. B. über Honorare, Auflagenzahlen, Stimmbandentzündung, Adalbert Stifter ... und über Marcel Reich-Ranicki, der Handke mit der sentimental-trivialen Hedwig Courts-Mahler verglichen hatte. Der Hass Handkes auf den Kritiker währte (zumindest) viele Jahre.

800 Seiten „Peter HandkeSiegfried Unseld. Der Briefwechsel“, herausgegeben von Raimund Fellinger und Katharina Pektor, Kosten 41,10 Euro.