Kultur

Langeweile und Lamento im Kinderheim

Das Positive vorweg: Es ist gut, richtig und wichtig, dass die Wiener Staatsoper unter der Direktion von Dominique Meyer auch Barockopern spielt. Es ist auch gut und richtig, dass man dafür Originalklangensembles einlädt. Vor allem dann, wenn diese so exzellent sind wie das Freiburger Barockorchester. Und es ist mehr als erfreulich, dass mit „Alceste“ (in der französischen Fassung) nach knapp 22 Jahren erstmals wieder eine Oper von Christoph Willibald Gluck im Haus am Ring gezeigt wird.

Importware

Warum dann die Premiere dieser „Alceste“ nicht zum absoluten Triumph wurde? Weil es sich bei dieser Neuproduktion um eine tatsächlich alte handelt. 2010 hatte Regisseur Christof Loy seine Sicht auf das Werk in Aix-en-Provence präsentiert. Auch in Kopenhagen war die Geschichte rund um die sich für das Leben ihres Gatten selbst opfern wollende Königin Alceste bereits zu sehen.

Doch was sieht man eigentlich? Loy hat sich – laut Programmheft – viele Gedanken gemacht. Ingmar Bergmans Filme „Fanny und Alexander“ oder „Szenen einer Ehe“ standen Pate. Die Götterwelt sollte auf menschliches Niveau heruntergeholt werden. Das trauernde Volk sollte als Kinder der „Übermutter“ Alceste fungieren. Das ist alles fein, bloß nichts davon ist zu bemerken.

Dirk Becker hat ein ödes, weißes Schiebetür-Bühnenbild ersonnen; hinter der Tür liegt das Krankenzimmer, der Salon oder die Hölle. Ursula Renzenbrink hat den wirklich auf Kinderheim-Kinder getrimmten Chor (solide der Gustav Mahler Chor) in hässlich-moderne Kostüme von Matrosenanzug über Pettycoat bis hin zu Wollsocken gesteckt. In diesem Rahmen wird somit gestanden, gegangen, gesessen und gesungen.

Frischzellenkur 

Und das meist sogar sehr gut. Vor allem Staatsoperndebütantin Véronique Gens ist eine überzeugende Alceste. Die Sopranistin verfügt über eine wunderschöne Mittellage, alle geforderten Höhen; ihre dunkle, auch zu Lyrismen fähige Stimme könnte nur etwas dramatischer sein. Dennoch: Gens zeigt, was hier an Frische und Vitalität alles möglich gewesen wäre.

Das macht auch das exzellente Freiburger Barockorchester unter der kundigen Leitung von Ivor Bolton. Dieser und die fabelhaften Musiker erzählen im Graben jene Geschichte, die man auf der Bühne nicht sehen kann. Präzise, dynamisch akzentuiert und reich an Klangfarben.

Farbenreich wäre auch die Stimme von Tenor Joseph Kaiser, dem als König Admète aber die für Haus nötige Durchschlagskraft fehlt. Über diese verfügen Clemens Unterreiner (Oberpriester) und Adam Plachetka (Hercule) dafür reichlich. Solide das übrige Ensemble.

KURIER-Wertung: *** von *****

Schade um die Chance

Werk: Die französische Fassung von Glucks „Alceste“ wurde 1776 in Paris erfolgreich uraufgeführt.

Inszenierung: Ein großes, lähmendes Nichts.

Orchester: Das Freiburger Barockorchester und Dirigent Bolton sind exzellent.

Gesang: Véronique Gens ist überzeugend.

Reaktion Buhs für die Regie, Applaus für die musikalische Seite.