Kultur

Frequency-Festival 2016: Tanz der Selbstbaumöbel

Es ist ja, das kann man nach der bisherigen Menschheitsgeschichte schon zusammenfassend festhalten, mit der Liebe nicht immer einfach.

Wuchtig und überwältigend kann sie sein, die Liebe; wie zuletzt jene vieler Smartphone-Besitzer zum Einsammeln von Pokémons. Solche heißen Gefühle aber brennen rasch aus; und so war sich die in der ÖBB-Disco (ja, das gibt’s) tanzende Jugend auf dem Frequency-Festival schon wieder einig: Pokémon-Fangen ist blöd.

Sommerwiederholung

Alle Inhalte anzeigen
Anderswo aber verankern sich die Gefühle mit festeren Wurzeln, und was daraus erwächst, ist von Bestand. Zum Glück. Denn so spielte die heimische Band Bilderbuch, die den bereits vorigen Sommer im Zweigestirn mit Wanda zum Feiersommer des österreichischen Pop gemacht hatte, nunmehr auf der Frequency-Hauptbühne vor groß versammeltem Publikum. Und die komplexere, originellere, interessantere Band des vergangenen Sommers wurde in fast eineinhalb Konzertstunden zur Band auch dieses Sommers: Der Auftritt brachte eine hohe Dosis Euphorie.

Bilderbuch haben eine eigene musikalische Sprache, die im Österreichischen das Internationale mit viel Glanz spiegelt. Es funkt, es groovt, es hangelt sich behände von Stil zu Stil. Sänger Maurice ist ein eigenwilliger, interessanter Entertainer. Das Gesamtresultat hat die Grandeur der großen, weiten Welt: Dieses Bilderbuch ist in Großbuchstaben gedruckt.

Allein deshalb, weil der Gitarrist Netzleiberl und Männerdutt tragen kann – und trotzdem gut aussieht.

Der Auftritt der Österreicher war Höhepunkt eines stilistisch hemmungslosen Line-ups: Kein Streamingdienst-Zufallsgenerator hätte das Programm wilder zusammenstellen können. Der Konsenspop von Tagträumer trifft in St. Pölten auf den Metal-Core von Parkway Drive. Das ist dann doch eher eine Hochschaubahn. Für das leichtere Miterleben derartig grober Referenzssystemsprünge gibt es Alkohol.

Apropos komplex: Deichkinds absurdes Kleinkunst-Hip-Hop-Theater auf großer Bühne ist ebenfalls immer wieder ein Ereignis. Die deutsche Band verbindet Intellekt mit Mitmachfaktor und bringt immer eine aufwendige Show mit. Diesmal dabei: Gruppenrudern auf Bürostühlen, eine Choreografie der Selbstzusammenbaumöbel und wieder jene Gitarre, die ganz aus Handys besteht.

Unter dem LED-Helm lugt ein bereits ergrauter Bart hervor, und das zeigt: Auch die Systemkritik ist keine Frage des Alters mehr. "Bückt euch hoch!", rieten Deichkind für die Arbeitswelt. Nicht der einzige Stinkefinger in Richtung der Anzugträger und ihren leeren Versprechungen von Erfolg und Karriere. Arbeit nervt! (Zitat Deichkind)

Einer aber ist nicht von seiner Arbeit genervt, im Gegenteil: Er macht sich so viel davon wie möglich. Wer erinnert sich etwa noch an diesen batteriebetriebenen Hasen aus dem Werbefernsehen, der läuft und läuft und läuft? Der nennt sich jetzt jedenfalls Jack Garratt und macht Musik, und zwar wie aufgezogen.

Garratt steht, in buntem Leiberl und mit zielgruppengerechtem Vollbart, auf der Bühne. Anderes Personal braucht er nicht. Denn er haut, tritt, spielt mit hoher Drehzahl eine Vielzahl an Instrumenten, wie ein leicht verrückt gewordener Ein-Mann-Unterhalter auf der Einkaufsstraße Ihres Vertrauens. Garratt soliert, weil jetzt Zeit ist, an Drums, Stromgitarre oder Keyboard, singt, während er auf ein Drumpad eindrischt, singt dazu seine hochemotionalen Songs, macht also ein ganzes Orchester arbeitslos. Toll!

Und sonst?

Sonst knirscht es im Popmusik-System. In einem Überangebot an Festivals verteilt sich das Publikum heuer besonders weitläufig; auch das Frequency mit seinem doch schon auf sehr festen Bahnen eingefahrenen Rahmenangebot verzeichnet weniger Besucher. Um aber auch noch darüber nachzudenken, wie es sich in Zukunft auswirken wird, dass die Popmusik an Stellenwert im Leben junger Menschen offenbar verliert, dazu war das Wetter dann doch zu schön.

Auch der Freitag hatte Programm

In diesem war folgendes Spannendes zu finden:

Alle Inhalte anzeigen

Ein österreichischer Headliner (Parov Stelar), eine sichere Festivalbank mit den Sportfreunden Stiller (die sind eigentlich sicherer als jede Bank, vielleicht: der festverzinste Bausparvertrag für Festivals), ein paar Ecken und Kanten von den groß aufspielenden Last Shadow Puppets, unaufregend Unterhaltsames von den Foals standen auf dem Programm bzw. sorgten dafür, dass etwas auf dem Programm stand.

Am Samstag aber kommts drauf an: Massive Attack sind wieder da, und die sind schon ein Mal beim Frequency recht gnadenlos durchgefallen. Und dann rittert Stimmungskanone Manu Chao gegen die superschrägen südafrikanischen Rapper Die Antwoord.

Einen Campingplatz gibt es übrigens auch

Alle Inhalte anzeigen