Kultur

Interview mit Franz Welser-Möst: Mit Beethoven-Projekt in Wien

 

Der Stardirigent startet mit dem Cleveland Orchestra im Musikverein sein „Prometheus-Projekt“: Alle neun Symphonien Ludwig van Beethovens an fünf Tagen – das wäre nun so neu nicht. Und doch ist die Residenz des Cleveland Orchestra – man feiert heuer sein 100-jähriges Bestehen – im Wiener Musikverein etwas Besonderes. Denn Chefdirigent Franz Welser-Möst will ab, Donnerstag in Sachen Beethoven musikalisch „einige Dinge zurechtrücken“.

„Ich habe mich viele Jahre mit Beethoven, seiner Musik, seinen Gedanken und seinen Botschaften beschäftigt“, sagt Welser-Möst im KURIER-Gespräch. Und: „Ich hoffe, dass wir dem Publikum wie Prometheus das Feuer bringen können.“ Denn, so Welser-Möst weiter: „Beethoven gilt als Inbegriff der Wiener Klassik. Und es gibt auch diese Meinung, er habe den Geist Haydns durch Mozarts Hand empfangen. Das ist ein dummer Satz. Beethoven war ein Romantiker, ein Träumer, ein Idealist, ein Philosoph und ein Revolutionär.“

Selbstbestimmung

Nachsatz: „Beethoven hat in seiner Musik das Recht des Menschen auf Selbstbestimmung manifestiert. Das ist in Zeiten eines Trump, eines Erdoğan oder eines Orban leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Also sollten wir immer daran denken, dass wir unser Leben selbst in der Hand haben und Teil einer Gemeinschaft sind. Es gibt heute so viele Strömungen, die in eine besorgniserregende Richtung laufen. Das spricht Beethoven aus. Aber auch mit einer gehörigen Portion Humor. In Beethovens Musik begegnen wir allen menschlichen Gefühlen, zu denen wir fähig sind. Das ist eine reine Bekenntnismusik.“

Wahrheitssuche

Doch wie viele Gedanken der Originalklangbewegung fließen in Welser-Mösts Deutung ein? „Jede Beethoven-Interpretation ist gelebte Historie. Ich halte es da mit dem von mir sehr geschätzten Nikolaus Harnoncourt, der einmal sinngemäß meinte: ‚In 40 Jahren werden die Leute über das, was wir hier machen, lachen.’‘ Es gibt in der Musik keine absolute Wahrheit. Ich denke ja auch, dass die Originalklangbewegung teils zu einer Originellklangbewegung geworden ist.“

Dass Welser-Möst mit „seinem“ Cleveland Orchestra zum 100-Jahr-Bestehen auch in Wien gastiert, freut den Künstler. Aber: „Wir feiern das Jubiläum, indem wir uns nicht selbst feiern, sondern einen Gang in die Zukunft antreten“, so Welser-Möst in Hinblick auf die erfolgreiche Jugendarbeit des Orchesters. „Wir haben das jüngste Publikum aller amerikanischen Orchester. Mit unserem ‚Education-Programm‘ erreichen wir in Cleveland mehr als 60.000 Menschen pro Jahr. Mein Ziel ist es, dass es in 100 Jahren in Cleveland kein Kind mehr gibt, das nicht mit Musik in Berührung gekommen ist.“

Zusatz: „Wir erleben in den USA mit Donald Trump einen Präsidenten, der die Gesellschaft spaltet, wo er nur kann. Da gehen Risse durch Freundschaften und Familien, die sich nicht mehr zusammenführen lassen. Das typisch amerikanische Zusammenstehen gibt es nicht mehr. In der Musik aber finden wir das genaue Gegenteil.“