Kultur

Fotografie: Die Welt als begehbare Kulisse

Im Grunde, sagt Alfred Seiland, arbeite er seit 40 Jahren gleich: Mit einer Großbildkamera, in Farbe, den Sprung in die Digitaltechnik habe er zwar versucht, aber nie vollzogen.

40 Jahre sind eine lange Zeit, wenn es um Fotografie, ihre Technik, aber auch ihre künstlerische Akzeptanz und das dahinter stehende Bildverständnis geht. Als Seiland (*1952) in den späten 1970er Jahren die Fotografie für sich entdeckte, konnte er in Österreich noch als „Pionier“ durchgehen – in den USA hatten William Eggleston und Stephen Shore aber längst damit begonnen, Farbfotos unspektakulärer Alltagslandschaften im Kunstkontext zu zeigen.

Aufgeräumte Welt

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Die aktuelle Werkschau der Albertina, die einen Querschnitt von den ersten bis zu den jüngsten Arbeiten Seilands zeigt, führt vor, wie der gebürtige Steirer seine Nische in einer perfekt komponierten Fotografie fand, die stets danach trachtet, die Welt in Ordnung zu bringen.

Quer durch die Motive, die Seiland über die Jahre erforschte, zieht sich dieser Gestaltungswillen, so dass sich die Frage, ob das Abgebildete real vorgefunden oder konstruiert ist, irgendwann erübrigt: Historische Ruinen und abgewohnte Strandhäuschen begegnen einem in Seilands Bildwelt auf derselben Ebene wie Filmkulissen und Plakatwände.Dass sich dieser Eindruck ergibt, hat mit Seilands Arbeitsweise zu tun: Man solle ins Bild „eintreten“ können, und daher müsste vom Vorder- bis zum Hintergrund alles so scharf wie möglich sein, erklärt der Fotograf. Seiland erreicht den Effekt nicht nur durch belichtungstechnische Entscheidungen, sondern auch dadurch, dass er seine Kamera oft frontal vor Häuserwänden oder Toren positioniert und Durchblicke sowie „Bilder im Bild“ aufspürt. Mitunter sieht das Foto dann aus wie eine Theaterbühne, auf die verschiedene Kulissenteile vom Schnürboden herabgelassen wurden.

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Aus den Motiven, die Seiland auf seinen frühen USA-Reisen (1979 – 1986) entdeckte, tritt dieser Theater-Charakter fast natürlich hervor: Sind doch die Häuserfassaden, Tankstellen und Reklamen im amerikanischen Straßenbild stets auf eine Schauseite hin angelegt. Doch auch in Österreich entdeckte der Fotograf durchaus vergleichbare Bühnen-Bilder. Eines seiner bekanntesten entstand 1981 in Proleb nahe von Seilands Heimatort Leoben: Das Foto zeigt weiße Wäschestücke an einer Leine, dahinter tut sich der Blick auf eine Winterlandschaft auf.

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Kluge Köpfe

In der Imagekampagne für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Seiland von 1995 bis 2001 fast durchgehend beschäftigt hielt, überlagern sich ebenfalls Requisiten und Realitätsebenen: „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ lautete der Spruch, zu dem Seiland Prominente in besonderen Umgebungen, den Kopf stets hinter der Zeitung versteckt, ablichtete.

Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld, der „homme des lettres“, saß da in einem Depot zwischen riesigen Leuchtreklame-Buchstaben, Regisseur Wolfgang Petersen („Das Boot“) in einem Ruderboot, hinter dem düstere Wolken aufziehen – der Himmel entpuppt sich jedoch selbst als gemalte Kulisse, der Regisseur sitzt in einem Filmset.

Mit einer Attrappe beginnt auch die Serie „Imperium Romanum“, die Seiland seit 2006 beschäftigt: Eine Rekonstruktion des römischen Forums in den Cinecittá-Studios in Rom gab den Startschuss für eine jahrelange Erforschung von Orten, an denen das römische Imperium Spuren hinterlassen hat oder noch spürbar ist. Das Projekt führte Seiland auf ausgedehnte Reisen – dass das Kolosseum ebenso zur Serie zählt wie das „Cesar’s Palace“-Casino in Las Vegas, verdeutlicht die fließenden Übergänge zwischen Realität und Imagination.

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Imperiale Tour

Die Landesgalerie in Linz hat dem Zyklus „Imperium Romanum“ eine eigene Ausstellung gewidmet (bis 26.8.). Anders als in der Albertina, die eher einzelne Werke als autonome Kunstwerke inszeniert, erlebt man die Serie hier wie eine begehbare National-Geographic-Reportage: Insgesamt 130 Bilder sind ausgestellt, ein Saalheft liefert Informationen zu jedem einzelnen Motiv.

Das Spannungsfeld zwischen absichtsfreier Kunst und Dokumentation, in dem sich Fotografie fast immer irgendwie bewegt, wird zwischen den beiden Präsentationen besonders spürbar: Jede Institution macht andere Vorschläge dazu, ob der Fokus mehr auf die Form oder auf den Inhalt zu legen ist. Dass sich Seilands Fotografien in beiden Kontexten sehen lassen können, steht allerdings außer Zweifel.