Kultur

"Finding Vivian Maier" im ORF: Die Fotos von Frau Sonderbar

Werk ohne Autor“ hieß eine halb-fiktive Filmbiografie über den Maler Gerhard Richter, die heuer im Rennen um den Auslands-Oscar leer ausging. „Werk ohne Publikum“ könnte der Dokumentarfilm heißen, den ORF 2 heute Sonntag ab 23.05 sendet – auch er war, 2015, für einen Oscar nominiert und gewann ebenfalls nicht.

Entdeckung

Der Film erzählt von der Fotografin Vivian Maier, die ein umfassendes Werk hinterließ, dass aber zu ihren Lebzeiten fast niemand zu Gesicht bekam. Erst nachdem Maier 2009 – völlig verarmt – verstorben war, gelangte der Schatz an die Öffentlichkeit, weil die Miete für ihr Self-Storage-Abteil unbezahlt blieb. Der junge Unternehmer John Maloof kaufte den Bestand.Viele Experten stimmen heute im Urteil überein, dass Maiers lebendige Bilder sich mit jenen von Genregrößen wie Lee Friedlander oder Gerry Winogrand messen können. In weiterer Folge gab es Ausstellungen (2018 auch im Westlicht Wien), und Abzüge der Fotos gelangten auf den Kunstmarkt.

Maloof ist auch Co-Regisseur der Doku „Finding Vivian Maier“, der erstmals 2013 in die Kinos kam. Die Sensationsgeschichte über die mysteriöse Frau, die viele Jahre lang als Kindermädchen in New York und Chicago ihren Unterhalt verdient hatte, war da schon durch die Medien ziirkuliert: „Mary Poppins mit der Kamera“ war eine der Bezeichnungen, die sich Journalisten für die verkannte Straßenfotografin ausdachten.

Finding Vivian Maier“ versucht bereits, den Hype zu reflektieren: Hätte Vivian Maier es gewollt, dass ihr Werk an die Öffentlichkeit gelangt? Die in New York geborene Tochter einer Französin und eines Österreichers, die mit falschem französischen Akzent sprach, dürfte extrem kontaktscheu gewesen sein, das erzählen ehemalige Arbeitgeber und einstige Schützlinge, die Maloof in recht eindrucksvoller Zahl ausfindig machen und interviewen konnte.

Nicht ganz überraschend kommt der Entdecker des Werks zu dem Schluss, dass die Veröffentlichung des Bilderschatzes nach Maiers Tod vielleicht das beste – zu Lebzeiten hätte die sonderbare Frau die Aufmerksamkeit wohl nicht verkraftet.

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Posthum entmündigt

Das Problematische an Maloofs Darstellung ist, dass sie Maier posthum feiert und zugleich entmündigt. Seine Interviewpartner erzählen zunächst viele Details, die das Bild einer schrulligen Außenseiterin zeichnen, zur Erklärung des Werks aber nichts beitragen: Maier trug zu große Schuhe und altmodische Mäntel, fotografierte Mistkübel und hortete wertlose Dinge. Nach und nach verdichten sich diese Erzählungen zum Bild einer psychisch kranken Person, die einige der ihr anvertrauten Kinder schlecht behandelte.

Von der Künstlerin bleibt in dieser Erzählung wenig übrig, die „verrückte Lady“ nimmt überhand, und es gibt niemanden, der tatsächlich für Maier sprechen kann. „Finding Vivian Maier“ hat mittlerweile bereits eine lange Nachgeschichte, da angebliche Verwandte Maiers das RechtMaloofs, über die Bilder zu verfügen, vor Gericht herausforderten. Der Konflikt ist bis heute nicht endgültig geklärt – Maloofs zweifellos gut gemeinter Film erscheint aber gewiss weniger unschuldig als zum Zeitpunkt seines Erscheinens.