Filmkritik zu "Der Fall Collini": Eine Frage des (Vor-)Urteils
Von Alexandra Seibel
Und wieder wurde eine literarische Vorlage von Ferdinand von Schirach verfilmt. Seit Jahren schon beflügeln diverse Bücher und Theaterstücke des schreibenden deutschen Anwalts wie „Verbrechen“, „Schuld“ oder „Terror“ die Quoten-Fantasie deutscher Filmproduzenten, Regisseure und Fernsehstationen. Schirachs hoch gehyptes Flugzeugentführungsspektakel „Terror – Ihr Urteil“ forderte die Zuschauer sogar zum Abstimmen heraus und bescherte der ARD den erfolgreichsten Fernsehfilm des Jahres 2016.
Nun wurde Schirachs Justizkrimi „Der Fall Collini“ mit einem von Deutschlands wenigen Superstars in der Hauptrolle zum potenziellen Erfolgspaket geschnürt. Elyas M’Barek, seit „Fack ju Göhte“ feuchter Traum der jugendlichen Menschenmehrheit, spielt einen Anwalt, der seine erste Pflichtverteidigung übernimmt.
Sieht Elyas M’Barek aus wie ein Jurist?
Nein, findet die blonde Pizza-Verkäuferin, denn: Wer kennt schon einen Türken, der von Beruf Anwalt ist?
Alles eine Frage des Vorurteils, versteht sich.
Mit diesem hat M’Barek als unerfahrener Junganwalt Caspar Leinen aber nur am Rande zu kämpfen. Seine Hauptaufgabe besteht darin, einen offensichtlichen Mörder – Fabrizio Collini – zu verteidigen. Dieser betrat am helllichten Tag eine Hotelsuite in Berlin und erschoss aus nächster Nähe den deutschen Großindustriellen Hans Meyer. Nach vollbrachter Tat sitzt Collini – Ex-„Django“ Franco Nero mit rotgeränderten Augen – in Haft, schweigt verbissen und will seinem Anwalt partout nicht verraten, aus welchem Motiv er den Mord begangen hat. Was seine Verteidigung nicht leichter macht.
Fans von Schirachs Prosa bewundern seine nüchterne Sprache und seinen schnörkellosen Stil – eine Kunst, die der sichtlich im TV geschulte Regisseur Marco Kreuzpaintner nicht beherrscht.
Seine aufgeblasenen, fernsehaffinen Bilder sind auf Hochglanz poliert, überdeutlich und mit Gusto fürs Grandiose (Helikopter-Kameraflug über die Toskana) schwerfällig aneinandergereiht. Langatmige Rückblenden unterbrechen den ohnehin schon zähen Fluss einer überkonstruierten Handlung unnötig und lassen keinen dramaturgischen Rhythmus aufkommen. Jede Gefühlsregung bekommt musikalische Verstärkung und kippt wahlweise ins Bombastische oder Sentimentale.
Zudem schafft es Kreuzpaintner nicht, wichtige Infos, die Leinen für seinen Gerichtsfall zugespielt bekommt, so einzusetzen, dass sie die Spannung steigern. Stattdessen stellt sich speziell im ersten Teil der Handlung lähmender Stillstand ein.
Da kann Heiner Lauterbach als geschleckter Ankläger mit noch so geölter Zunge über Recht und Gerechtigkeit palavern. Immerhin steht nichts weniger auf dem Spiel als die Geschichte deutscher Rechtssprechung, die Nazi-Kriegsverbrecher von ihrer Schuld entlastete.
Schusselig
M’Barek selbst macht als schusseliger Jungjurist in schwarzer Robe ausgesprochen gute Figur und bringt auch eine nette Portion Witz in den steifen Gerichtssaal. Um die Attraktion seines Körpers Fan-gerecht zur vermarkten, hat Kreuzpaintner auch gleich ein paar Box-Szenen ins Drehbuch geschrieben, um die Muckis seines Stars herzuzeigen.
Aber mit der Besetzung M’Bareks kommt noch eine weitere Bedeutungsebene ins Spiel, denn sein Caspar Leinen hat türkische Wurzeln. Als kleiner Junge wurde er von der Familie des späteren Opfers aufgenommen und gefördert. „Wenn es meinen Großvater nicht gegeben hätte, würdest du jetzt in der Döner-Bude arbeiten“, giftet ihn seine Stiefschwester Johanna (verweint: Alexandra Maria Lara) an.
Ganz plötzlich kippt das freundschaftliche Verhältnis der beiden und lässt eine rassistische Haltung aufblitzen, die sich hinter Toleranz und Wohlwollen gut verborgen hielt. Insofern verhandelt der Gerichtssaal-Krimi nicht nur das Verhältnis Deutschlands zu seiner Vergangenheit, sondern auch zur unmittelbaren Gegenwart.
INFO: D 2019. 118 Min. Von Marco Kreuzpaintner. Mit Elyas M’Barek, Heiner Lauterbach, Alexandra Maria Lara.