Eröffnung Filmfestival: Beziehungsopfer im familiären Kleinkrieg
Von Alexandra Seibel
Das Filmfestival von Venedig läuft streng vermummt, aber meist gut gelaunt ab. Vor allem in den Innenräumen wird die Maskenpflicht strikt eingehalten. Wenn jemandem während eines Films das Gesichtstuch herunterrutscht, wird er vom Saalpersonal sofort sanft, aber eindringlich ermahnt.
So manche Journalistenkollegen lassen sich hinter ihrem Mund-Nasenschutz und mit neuer Lockdown-Löwenmähne erst auf den zweiten Blick erkennen. „Wir sehen aus wie eine Gruppe von Bankräubern“, freut sich ein britischer Filmkritiker. Wenn die Sonne allerdings weiter so herunterbrennt, werden wir am Ende eine Mundpartie haben wie Homer Simpson – nur in Weiß.
Nicht nur sind eklatant weniger Menschen vor Ort, auch scheinen sich alle im Flüsterton zu unterhalten – als hätte man einen Schalldämpfer über das gesamte Event gestülpt. An den weißen Tischen, die auf dem Festivalgelände neben Kaffee- und Imbissständen aufgebaut sind, dürfen immer nur zwei Maskierte Platz nehmen. Aus der Ferne wirken sie wie Besucher einer Wellnessoase für Schwerkranke.
Unverändert geblieben ist dafür die Qualität des Eröffnungsfilms. Die ist bei Filmfestivals traditionell durchwachsen, wobei Festivalchef Alberto Barbera mit der Wahl des italienischen Familiendramas „Lacci“ („The Ties“ – was so viel bedeutet wie Bänder oder Bindungen) Gusto für ambitionierten Mainstream bewies. „Auf ewig verbunden“ heißt die deutsche Übersetzung des italienischen Kurzromans „Lacci“ von Domenico Starnone, auf dessen Buchvorlage Daniele Luchettis Film beruht.
Ferrante
„Lacci“ beginnt in den 80er-Jahren in Neapel. Das ist vielleicht schon deswegen kein Zufall, weil Starnone unter dem Verdacht steht, gemeinsam mit seiner Frau Anita Raja hinter dem Pseudonym Elena Ferrante, Bestsellerautorin der berühmten neapolitanischen Saga, zu stecken. Starnone behauptete natürlich, die „Dame“ nicht zu kennen, muss sich aber trotzdem Vergleiche mit Ferrantes Beziehungsromanen gefallen lassen.
In „Lacci“ (wörtlich: Schnürsenkel) kann man dabei zusehen, wie ein Paar – Aldo und Vanda – sich selbst und im weiteren die Familie zerstört. Es beginnt bei einer Faschingsparty, wo Eltern und Kinder eine lustige Polonaise tanzen. Wieder daheim, werden die Kinder ins Bett gebracht und Aldo teilt seiner Frau mit, dass er eine Affäre hat.
„Hier fühle ich mich wie im Gefängnis“, klagt Aldo, und tatsächlich verströmt die vollgeräumte Bude weniger das Gefühl von Heimeligkeit, als von angesammeltem Beziehungsballast.
Alba Rohrwacher als verlassene Frau verpasst ihrer Rolle der Vanda Nuancen von Hysterie, ohne dabei jemals an die Grenzen der Verzweiflung zu stoßen. Luchetti gibt seinem Ehedrama durch Vor- und Rückblenden „gefinkelte“ Wendungen, offensichtlich mit dem Ziel, so etwas wie eine Mini-Thriller-Spannung zu erzeugen. Die psychologischen Abgründe zwischen zwei Menschen, die ihr Leben gemeinsam verbringen, ohne sich zu lieben, wollen sich aber nicht recht tief auftun. Der familiäre Kleinkrieg, der darin besteht, die Sehnsüchte des jeweils anderen zu zerstören, lässt sich in „Lacci“ nur erahnen.